Weiterer Neonazi-Spitzel im NSU-Umfeld aufgeflogen – er kommt aus Saalfeld

Ein weiterer Spitzel im Umfeld des NSU ist aufgeflogen. Der Spiegel berichtet, dass es sich dabei um die Gewährsperson mit Tarnnamen “Alex” handelt, der für das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz spitzelte. Der Informant ist der 41-jährige Andreas Rachhausen aus Saalfeld, der als Neonazi bereits seit Anfang der 1990er Jahre zu den Größen der rechten Szene im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt gehörte und auch in den letzten Jahren im Zusammenhang mit rechten Aktivitäten in Erscheinung trat. Im Jahr 2009 beispielsweise unterstützte er die Thüringer NPD beim Landtagswahlkampf, im selben Jahr organisierte er auch ein Konzert der rechten Hooligan-Band “Kategorie C / Hungrige Wölfe” in Saalfeld. Rachhausen ist Unternehmer eines Saalfelder Kühltechnik-Unternehmens mit bundesweiter Reichweite und nach vorliegenden Hinweisen wohl auch einer der beiden Betreiber des “Thüringer Heimatschutz”- Stützpunktes in Heilsberg, in dem 1997 das bis dahin größte Waffenlager der rechten Szene ausgehoben worden war.

Vor dem NSU-Untersuchungsausschuss des Thüringer Landtages berichtete am 11. Juni 2012 der frühere Leiter der Saalfelder Staatsschutzabteilung K33 über den Thüringer Heimatschutz und Entwicklungen der örtlichen Neonazi-Szene. Bevor die Anti-Antifa-Ostthüringen bzw. der Thüringer Heimatschutz, aus dem das NSU-Trio hervorging, entstanden sind habe es bereits 1991 in Saalfeld eine Neonazi-Gruppe von 15-20 Personen gegeben, die von Rachhausen angeführt worden sein soll. “Rachhausen war aus meiner Sicht einer der gefährlichsten Rechtsextremisten, er kam nach meinem Verständnis noch vor Tino Brandt, dem Chef des Thüringer Heimatschutzes”, schilderte der 54-Jährige Beamte. Er erzählte auch von Rachhausens Flucht nach Dänemark wegen einer gefährlichen Körperverletzung und dessen anschließendes Wiederaufspüren.

Auch die Thüringer Landesregierung bestätigte im Juli 2012 auf eine Kleine Anfrage: “[Rachhausen] … entzog sich im Jahr 1993 einem Haftbefehl des Kreisgerichts Rudolstadt. Aufgrund polizeilicher Ermittlungen konnte der Aufenthaltsort im Ausland festgestellt und nach knapp Zwölf Monaten mit der Auslieferung in die Bundesrepublik Deutschland der Haftbefehl vollstreckt werden”. Nach damaligen Informationen fand Rachhausen einen Unterschlupf beim Altnazi und Holocaustleuger Thies Christophersen, der 1944 als SS-Sonderführer nahe Auschwitz tätig war. Rachhausen organisierte im Jahr 1992 bereits einen der größen Neonazi-Aufmärsche Thüringens: In Rudolstadt meldete er einen Gedenkmarsch für den Hitler-Stellvertreter “Rudolf Heß” an, 2.000 Neonazis aus ganz Deutschland reisten in die Region und marschierten durch die Saalfelder Nachbarstadt. In den 90er Jahren war Rachhausen im Bereich Saalfeld-Rudolstadt einer der treibenden Kräfte, damaligen alternativen Jugendlichen ist er heute noch immer als gewalttätiger Neonazi in Erinnerung. Rachhausen trat als Führungsperson der örtlichen Kameradschaft Saalfeld/Rudolstadt in Erscheinung.

Durch den sog. Schäferbericht, einem Gutachten zum Verhalten der Thüringer Behörden und Staatsanwaltschaften bei der Verfolgung des Jenaer Trios wurde Rachhausen im letzten Jahr selbst in die Nähe der Mörderbande gerückt. Sein Name taucht dort im Zusammenhang mit der Flucht von Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt auf. Ein V-Mann des Verfassungsschutzes informierte das Landesamt, dass Rachhausen wahrscheinlich am 16.2.1998 nach Dresden gefahren sei, um den unfallbeschädigten Fluchtwagen des Trios zurückzuholen. Bei diesem Spitzel handelte es sich um Tino Brandt aus Rudolstadt, ehemaliger Anführer des Thüringer Heimatschutzes, er habe die Information direkt von André Kapke erhalten, der Führungsperson der Kameradschaft Jena. Im Schäferbericht steht dazu: “Nach Aktenlage erfolgt keine Information an das TLKA oder STA, obwohl durch Kenntnis von verunfallten Fluchtfahrzeug und Standort des Pkw ggf. weiter Ermittlungsansätze gegeben gewesen wären. Ergänzend ist hier zu bemerken, dass nach einem Aktenvermerk vom 20.07.98 die Gewährsperson “Alex“ glaubhaft mitgeteilt hat, Rachhausen habe das Fahrzeug nicht abgeschleppt”. Wie der Spiegel am 7. April 2013 berichtet, habe die Abschleppaktion nun doch stattgefunden. In Kombination mit dem Schäferbericht wird klar, um wen es sich bei “GP Alex” wirklich handelt.

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Seite 150 im Schäferbericht vom 14. Mai 2012

Das Trio war mit dem Wagen auf den Weg in ein Chemnitzer Versteck und sei auf der Autobahn liegen geblieben, kurz nach der Panne wies Ralf Wohlleben den Saalfelder Andreas Rachhausen an, das Fluchtauto zurück nach Thüringen zu holen. Dies habe GP Alex bzw. Rachhausen mittlerweile in einer Vernehmung eingestanden! Aufgrund der Tatsache, dass es sich bei “GP Alex” und Rachhausen um ein und die selbe Person handelt, erscheint der Vermerk vom 20.07.98, den die Schäferkommission entdeckte unglaublich. Es gab eine Spur, aber man folgte ihr aber offensichtlich nicht weiter, da die Spur selbst ein Informant des Landesamtes war und dem Verfassungsschutz Gegenteiliges zur eigenen Beteiligung im Zusammenhang mit dem Fluchtwagen des Terror-Trios berichtete. Der Spiegel schreibt dazu: “Seinen Kontaktleuten beim Verfassungsschutz verschwieg er den “kameradschaftlichen Dienst” damals jedoch – obwohl ihn ein LfV-Beamter wenig später explizit auf das Abschleppmanöver angesprochen hatte. Hätte “Alex” dem Verfassungsschutz seinerzeit die Wahrheit gesagt, hätten die Ermittler die Flüchtigen womöglich schon lange vor Beginn ihrer Terrorserie fassen können.” GP Alex soll 1996 noch während seiner Haftzeit angeworben worden sein und mehrere Jahre dem Verfassungsschutz Informationen geliefert haben. Auf August 1998 datiert der letzte noch vorhandene Vermerk dazu.
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Aufnahmen von Youtube, Kategorie-C Konzert von Andreas Rachhausen in seiner Firmenhalle in Saalfeld (5.12.2009)

Nach einer Pressekonferenz zum NSU im November 2011 hatte Rachhausen gegen Katharina König, Sprecherin der Fraktion DIE LINKE im Thüringer Landtag für Jugendpolitik, Netzpolitik und Antifa, Klage eingereicht. Katharina König hatte in der Konferenz  darauf hingewiesen, dass sich in der Vergangenheit neben Uwe Mundlos, Beate Zschäpe und Uwe Böhnhardt bereits auch andere Thüringer Nazis auf der Flucht vor Behörden im Untergrund versteckten. So unter anderem der Saalfelder Andreas Rachhausen, der auch heute noch Neonazis, Freie Netze und die NPD unterstützte. Rachhausen bestritt die Vorwürfe. Nach einem Verfahren vor dem Landgericht Erfurt, wurde seine Klage am 23. Februar 2012 zunächst abgewiesen. Rachhausen hatte während der Beweisaufnahme in einer eidesstattlichen Versicherung eingeräumt, der Thüringer NPD 2009 einen Wagen,  welcher als Wahlkampfmobil eingesetzt wurde zur Verfügung gestellt zu haben. Außerdem gestand er, das Konzert mit der rechten Hooliganband  Kategorie C am 5. Dezember 2009 in Saalfeld mit 100 Personen auf Wunsch seiner Mitarbeiter als (damals) “HERA” Betriebsfeier in Saaalfeld organisiert zu haben. Die in Szenekreisen sehr populäre Band “Kategorie C” / “Hungrige Wölfe” aus Bremen hatte für ihn als Veranstalter sogar kostenlos gespielt, da sie dort ihre Musik verkaufen durfte – so seine Begründung. Im Dezember 2012 wurde bekannt, dass mit einem Konzert der Band Gelder für die neonazistische “Gefangenenhilfe” gesammelt wurden, welche auch den NSU-Helfer Ralf Wohlleben unterstützt. Nachdem Rachhausen bereits im ersten Verfahren verlor, wollte er es nun noch einmal versuchen und verklagte Katharina König erneut in der selben Angelegenheit, die Hauptverhandlung hatte dazu bereits statt gefunden, noch vor dem Sommer 2013 wird mit einem Urteil gerechnet. Vertreten wird Rachhausen dabei von der berüchtigten Weißenfelser Anwaltskanzlei des Thomas Jauch, welcher seit vielen Jahren bundesweit Neonazis vertritt.

 

Erprobung von Häuser-Stürmungen in Erfurt mit Thomas Dienel & DNP-Umfeld, auch Andreas Rachhausen war zu der Aktion, die der Sender Spiegel TV filmte, extra aus Saalfeld angereist
Erprobung von Häuser-Stürmungen in Erfurt mit Thomas Dienel & DNP-Umfeld, auch Andreas Rachhausen war zu der Aktion, die der Sender Spiegel TV filmte, extra aus Saalfeld angereist

Nach uns vorliegenden Informationen taucht Rachhausen auch in alten Dokumenten zur “Deutschen Nationalen Partei” (DNP) auf. Bereits im September 1992 strahlte Spiegel-TV einen Beitrag aus, in dem die paramilitärische Ausbildung von DNP-Anhängern in Thüringen mit Waffen und selbstgebauten Sprengkörpern in Thüringen gezeigt wurde. Es wurde die Erstürmung von Häusern und Flüchtlingsheimen geübt, zur Gewalt aufgerufen und das “Verbrennen” von “Negern” und “Fidschis” (Wortlaut) gebilligt. Auch Andreas Rachhausen reist aus Saalfeld an und begleitete die Filmaufnahmen, geriet wegen dieser Aktion schonmals ins Visier der Polizei neben Thomas Dienel der als Kopf der “DNP” galt. Auch Dienel stand auf der Gehaltsliste des Thüringer Verfassungsschutzes. In älteren antifaschistischen Publikationen wurde Rachhausen bereits der DNP zugerechnet, wohingegen die Landesregierung im Jahr 2012 anhand des vorhandenen Aktenbestandes keine weiteren Erkenntnisse zu Parteizugehörigkeiten Rachhausens vorbringen konnte. Im Zusammenhang mit der Aktion wurde jedoch damals ein §129 Verfahren u.a. gegen Andreas Rachhausen eingeleitet, wegen des Verdachts auf Bildung einer kriminellen Vereinigung.

Es war nicht die erste und letzte Verbindung Rachhausens zur militanten Naziszene. Wenige Monate vor der Flucht von Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe sowie der anschließenden Rückholaktion des Fluchtwagens durch Rachhausen durchsuchte die Thüringer Polizei einen Neonazi-Treffpunkt in Heilsberg. Auch hier verkehrten die Mitglieder des NSU mehrfach, auch zu Rechtsrock Konzerten. Bei der Razzia stieß die Polizei in Heilsberg auf das damals größte Waffenlager der Naziszene in Thüringen. Auf Nachfrage bei der Landesregierung antwortete diese im letzten Jahr: “Die betreffende Gaststätte war von April 1997 bis etwa Mitte 1998 an einen Angehörigen der rechtsextremistischen Szene aus dem Landkreis Saalfeld-Rudolstadt verpachtet worden. Der Landesregierung liegen Erkenntnisse vor, wonach die in der Frage benannte Person [Andreas Rachhausen als Saalfeld] die Gaststätte gemeinsam mit dem Pächter betrieben haben soll und an Veranstaltungen des “Thüringer Heimatschutzes” teilnahm.”

Ausschnitt aus einer Sequenz der Waffenfunde bei einer Razzia im Oktober 1997 in Heilsberg im Treffpunkt des Thüringer Heimatschutzes (THS). Rachhausen soll einer der zwei Betreiber dieses Stützpunktes gewesen sein.

Aus dem Schäferbericht sind noch zwei weitere Zusammenhänge zum NSU veröffentlicht, demnach habe GP Alex am 17. Juli 1998 den Verfassungsschutz darüber informiert, dass er glaube, dass das Brettspiel “Pogromly” in Spanien hergestellt und über Szeneangehörige in Deutschland vertrieben werde. 13 Tage später berichtet er dem Verfassungsschutz erneut, dass seine Bemühungen, dass “Szenespiel für sich und die Kameraden zu beschaffen”, erfolglos geblieben seien. Brandt hatte bereits zwei Monate zuvor das Landesamt darüber informiert, das Andre Kapke das Spiel vertreibe und drei Aufbewahrungsorte genannt. Kapke hatte im Mai 1998 fünf Spiele zum Verkauf mitgebracht, die er vermutlich vom Trio erhielt und diese für 100 Euro verkaufte, mit dem Geld sollten Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe während der Flucht finanziert werden.

Rachhausen war zusammen mit Enrico R. Gesellschafter eines Montage- und Klimatechnikunternehmens in Saalfeld. R. war u.a. im Schützenhaus Pößneck aktiv, was zeitweise als Treff- und Konzertort der Neonazi-Szene diente. Im April 2005 fand hier der NPD-Parteitag statt, auch Michael Regener, Sänger der Neonazi-Band Landser, gab dort sein Abschiedskonzert vor dem Verbüßen einer mehrjährigen Haftstrafe. Im Frühjahr 2011 wurde bekannt das Enrico R. zeitweise neuer Geschäftsführer der Eigentümergesellschaft des Biesenthaler NPD-Geländes war (“Devesta GmbH”), nach dem der Biesenthaler NPD-Funktionär Mike Sandow aus dieser Funktion ausschied. In Saalfeld beteiligte sich R. in den letzten Jahren u.a. an der Organisation von Rechtsrock-Konzerten im Treffpunkt des ehemaligen “Alten Labor”, in dem zuvor das Vereinsheim eines örtlichen Hells Angels Unterstützerclubs (“Red Devils”) beheimatet war.

Videobeitrag von 1992 über das Häuserkampf-Training von Neonazis in Erfurt, bei dem mindestens zwei spätere Spitzel des Thüringer Verfassungsschutzes anwesend waren: Thomas Dienel alias VM Küche und Andreas Rachhausen alias GP Alex.

Ergänzung: In einem Rechtsstreit zwischen Andreas Rachhausen und Katharina König um dessen namentliche Nennung im Zusammenhang mit der Neonazi-Szene wurde im April 2013 das Urteil gefällt, Rachhausen hat seine nun mehr zweite Klage verloren, hier weiterlesen.

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