Blood and Honour Thüringen: Marcel „Riese“ Degner alias Quelle 2100

B&H SymbolbildMarcel Degner war Ende der 1990er Jahre nach Angaben von Verfassungsschützern eine der beiden wichtigsten Quellen des Landesamtes in der rechten Szene Thüringens. Degner, der auch unter dem Spitznamen Riese bekannt ist, war Thüringer Sektionsleiter des internationalen Neonazi-Netzwerkes „Blood and Honour“ und gleichzeitig bundesweiter Kassenwart. Das Netzwerk hatte sich zur Aufgabe gemacht hat, neonazistische Bands miteinander zu koordinieren und die rassistische Ideologie zu verbreiten, vorwiegend durch die Organisation von Konzerten. Nach dem Untertauchen von Uwe Mundlos, Uwe Bönhardt und Beate Zschäpe versuchte Degner, der zu diesem Zeitpunkt schon V-Mann war, dem untergetauchten Trio Geld zukommen zu lassen. So hat er am 13. November 1999 bei einem Blood & Honour Konzert in Schorba bei Jena teilgenommen, zu dem bis zu 1.000 Neonazis aus dem Bundesgebiet anreisten.Auch Thomas Starke, der mit Beate Zschäpe liiert war und dem Trio die erste Wohnung im Untergrund besorgt haben soll war B&H-Funktionär in Sachsen. Ihm bot Degner eine Spende an, welche Starke jedoch verneinte, „die beiden brauchen kein Geld mehr“, da sie jetzt „jobben würden“*. Zu dem Zeitpunkt hatte das Trio bereits Banküberfälle begangen.

Degner selbst organisierte eine Reihe an Konzerten. Der ehemalige Vize Verfassungsschutz-Chef, Peter Nocken sagte vor dem -Untersuchungausschuss, dass die Konzerte auch überwiegend außerhalb Thüringens stattfanden. Über Degners V-Mann Karriere wollten sowohl Nocken als auch die Vertreter vom Innenministerium zunächst nicht sprechen. Nocken, der damals VS-Abteilungsleiter im Bereich Beschaffung war, der also die Anwerbung & Bezahlung von Spitzeln zu verantworten hatte, gestand jedoch, dass es alle 1 bis 2 Wochen Treffen mit dem Geraer gegeben habe. Das Konzert bei Jena sei laut Auskunft des Thüringer Innenministeriums in einer Kleinen Anfrage von 1999 von der Blood & Honour Sektion Brandenburg organisiert worden [i], deren Führungsspitze bestand zur selben Zeit auch aus V-Leuten. Peter Nocken steht ebenso im Verdacht Marcel Degner vor der Blood & Honour Verbotsrazzia am 12. September 2000 gewarnt zu haben. So soll er kurz zuvor einen wichtigen Termin abgesagt und eine spontane Dienstreise nach Gera unternommen haben. Bei der haben Polizisten dann verblüfft eine „klinisch reine Wohnung“ vorgefunden. Nocken bestreitet bis heute jegliche Verwicklung in den Vorfall und klagt über fehlende Erinnerungen.

Drei Tage vor der Razzia beging der „Nationalsozialistische Untergrund“ an Blumenhändler Enver Simsek seinen ersten Mord. Das Verfassungsschutzamt führte Degner als Quelle Nr. „2100“, er sei „durchaus zuverlässig gewesen“ sagt ein damaliger Mitarbeiter der Beschaffungsabteilung. Bei einem V-Mann Treffen am 9. September 1998 informierte er u.a. über Zschäpes Beziehung mit Starke und eine Spendensammlung für das abgetauchte Trio im Frühsommer 1998 bei einem Konzert, wahrscheinlich in Heilsberg bei Saalfeld. Bei einem weiteren Treffen im November 1998 gab er dem Amt auch den Hinweis weiter, dass die das NSU-Trio kein Geld mehr benötige, weitere nennenswerte Meldungen im Bezug auf die Untergetauchten lieferte er nicht*. Im Juni 2001 klagte Marcel Degner zusammen mit dem Thüringer B&H Aktivisten Mike Bär dann beim Bundesverwaltungsgericht gegen das von Blood & Honour und der Jugendorganisation White Youth. Das Gericht wies die Klage jedoch als verspätet zurück (i). Nach seiner Enttarnung im Jahr 2002 konnte Degner weiterhin unbeschwert in Gera leben und machte sich als Kabel- und Bodenverleger in Gera selbstständig. Normalerweise wechseln enttarnte Quellen den Wohnort oder geraten in ein Zeugenschutzpogramm, sowohl bei V-Mann Tino Brandt als auch bei Marcel Degner unterblieb die Verfahrensweise.

Schäfer-Gutachten (PDF)

Beide wollten weiter an ihrem Wohnort bleiben und hatten scheinbar auch nichts zu befürchten. Tino Brandt, der zur selben Zeit als Quelle beim Thüringer VS geführt wurde, prahlte nach der Enttarnung sogar offen damit, dass er die V-Mann Gehälter in die Szene zurückfliessen lies und für Aktionen verwendete. Auch heute noch tritt er im Internet mit seinem Spitznamen „Riese33“ in Erscheinung, seine Mailadresse trägt den Namen, mit der er übrigens noch vor wenigen Jahren bei der neonazistischen Mode-Marke „Thor Steinar“ einkaufte, was aus dem im März 2010 veröffentlichten Thor-Steinar Hack hervorgeht (i).

 

Blood & Honour Szene in

Die Thüringer Blood & Honourszene hatte einen Schwerpunkt im Ostthüringer Raum, viele Angehörige der Gruppierung sowie der 1997 gegründeten Jugendgruppe „White Youth“ kamen aus Gera und Umgebung. Aber auch in , Gotha, Erfurt, Arnstadt, Altenburg, Südthüringen und anderen Städten waren die Aktivisten beheimatet. Auch soll es in Thüringen eine Frauengruppe mit dem Namen „White German Girls“ gegeben haben. Der ehemalige Innenminister Richard Dewes antwortete 1997 in einer Kleinen Anfrage (i) zu B&H im Freistaat: „Die „Blood & Honour“-Bewegung ist in Thüringen im Zusammenhang mit einer so genannten „Todesliste“ am 2. Februar 1997 in Altenburg bekanntgeworden. Die Authentizität dieser Liste ist jedoch nicht abschließend geklärt. Das eingeleitete polizeiliche Ermittlungsverfahren dauert noch an.“, weitere Informationen hat die damalige Landesregierung aber noch bis zum Verbot im Jahr 2000 unter Verschluss gehalten (i). Zu letzt hatten die Neonazis Mike Bär und Sven „Zimbo“ Zimmermann den Thüringer Jugendverband geleitet, mit dem jüngere Neonazis an die B&H-Bewegung herangeführt werden sollten. Als bundesweite Kontaktanschrift der White-Youth galt die Thüringer Sektion des B&H . Die Veranstaltung von Konzerten stand im Mittelpunkt der B&H-Gemeinschaft, so fanden im Jahr 1998 beispielsweise  eine ganze Reihe an Konzerten eines Geraer Blood & Honour Organisators in Pölzig nahe Gera statt, Besucherzahl: zwischen 200 und 800 Neonazis (i). Nicht wenige rechte Musikgruppen in Thüringen hatten Schnittpunkte zu Blood and Honour, so zum Beispiel die NS-Blackmetal Band „“ aus Gera. Deren Mitglieder bezeichneten sich in der Zeitschrift der B&H Jugenorganisation namens „Voice of the White Youth“ als „Mitglieder der Bewegung“, der Sänger Jens Fröhlich war im Jugendverband sogar führend tätig. Auch

Blood & Honour hatte im Jahr 2000 15 Sektionen, als das Bundesinnenministerium die Vereinigung verbot. Im Rahmen der bundesweiten Durchsuchungswelle wurde auch fünf Thüringer Funktionären die Verbotsverfügung zugestellt, Thüringer Durchsuchungen fanden in Gera und Meiningen statt, sichergestellt wurden B&H-Textilien, CDs und Fanzines. (i). Das Thüringer Innenministerium zählte  damals 20 B&H Aktivisten sowie 15 Anhänger der White Youth (i). Bundesweit gehörten ca. 200 Neonazis der Gruppe an, über 50 der Jugendorganisation. Mitglieder hatten sich den Weisungen der Hierarchie-Ebene, die aus „Divisionsleitung“, „Regionaldirektoren“ und „Sektionschefs“ bestand, unterzuordnen.

Wenn gleich nach dem Verbot die Anzahl neonazistischer Konzerte im Zeitraum 2000 bis 2002 kurzweilig sank, gab es weiterhin Bestrebungen, die alten Strukturen wiederzubeleben. Thüringer B&H Angehörige hielten nicht nur weiterhin engen Kontakt zu einander sondern organisierten ebenso konspirative Rechtrock-Konzerte und vertrieben neonazistische Tonträger. Mehrfach wurden Thüringer Neonazis mit entsprechenden Textilien gesichtet, die Aufschrift und das Logo des verbotenen Netzwerkes zeigten, darunter auch einige mit dem Zusatz „Sektion Thüringen“.  Im März 2003  erschien ein neuer CD-Sampler „Trotz Verbot nicht tot“ bei „Blood & Honour Deutschland“, der über das dänische B&H-Label „Celtic Moon“ vertrieben wurde. Im Cover des Tonträgers heist es: „Die Bands auf diesem Sampler kommen nur aus einem bestimmten Teil des besetzten Reichs. Sieg Heil, Blood and Honour“. Die Interpretenliste der CD offenbart mit den Bands „Eugenik“ und „Totenburg“ aus Gera, „Wewelsburg“ aus Altenburg, „Absurd“ aus Sondershausen, „Bataillon“ aus Gotha, „Barad Dûr“ aus Erfurt und „Blutstahl“ aus Jena, welche Region gemeint ist – drei Jahre nach dem Verbot. Einige dieser CDs fiel den Thüringer Behörden im Winter 2003 in die Hände: Bei 23 Durchsuchungen am 25. November und am 3. Dezember 2003 wurden neben Schriftstücken und PCs auch sieben der Blood & Honour CDs gefunden. Bei der Razzia am 25.  November 2003 entdeckten die Behörden auch ein Sprengstofflabor (i) bei einem Neonazi in Ohrdruf.

Die Geraer Neonazi Band „Legion Ost“, ebenfalls zum B&H Umfeld gehörend und auf der ersten Blood & Honour Deutschland CD mit sechs Liedern vertreten grüßte den Sektionsleiter Degner alias Riese ebenso auf ihrer CD „Ohne Worte“.


 Der damalige Thüringer Innenminister Karl-Heinz Gasser erklärte in der Landtagssitzung am 9. Dezember 2004: „Es fanden in diesem Jahr auch in Thüringen Skinhead-Konzerte statt, die von ehemaligen „Blood & Honour“-Mitgliedern mit organisiert wurden.“ (i) Am 11. Juni 2005 fand unter dem Motto „Fest der Völker“ ein größeres -Festival in Jena statt, bei dem fast ausschließlich Bands aus dem internationalen Blood and Honour Spektrum teilnahmen. (i) Im selben Jahr erschienen mehrere Lieder der Gothaer Rechtsrock-Band SKD auf dem Sampler „Blood & Honour Division Deutschland – Voices of Solidarity“. Am 7. März 2006 folgte eine bundesweite Razzia bei 80 Neonazis wegen des Verdachts auf Fortführung. Neben entsprechenden Bargeld, Fahnen, Shirts und Emblemen fand die mindestens eine schussfähige Kleinkaliber-Pistole und eine funktionsfähige Handgranate. In Thüringen richtete sich die Maßnahme gegen acht Neonazis im Alter von 19 und 34 Jahren und zwei Weiteren in Arnstadt, Geraberg, Meinigen, , Sonneberg und Ilmenau (i), darunter auch das  „Textildruck Presswerk Weimar GbR“, welches sich in der Vergangenheit für den Druck von Nazitextilien auszeichnete. Seit Jahren nutzen Neonazis den Zahlencode 28 (der zweite und achte Buchstabe des Alphabets, BH), um ihre Sympathie zu der Neonazigruppe zu zeigen, unter dem Namen „Division 28“  (Mehr Infos beim AIB) organisieren Mitglieder des Netzwerks ebenso Konzerte. Im September 2008 wurde das internationale Blood & Honour Forum von AntifaschistInnen gehackt, mehr Informationen gibt es hier.

* Stelle aus dem Gutachten der Schäferkomission, Download als PDF hier.

Ergänzung 1: In der Sitzung des Untersuchungsausschusses am 10.9.2012 kam zu Tage, dass sämtliche Treffberichte des V-Manns Marcel Degner in dessen Verfassungsschutz-Akte verschwunden sind. Neben seiner Codierung als Quelle 2100, trug er während seiner Spitzeltätigkeit den Tarnnamen „Hagel“.

Ergänzung 2: Inzwischen liegen neue Informationen zu „Blood & Honour Thüringen“ und entsprechenden Aktivitäten auch aus jüngster Vergangenheit vor. Nach dem bei der Landesregierung fünf Kleine Anfragen zum Komplex eingereicht wurden, hat diese nun alle  beantwortet und bestätigt auf mehrere Kleine Anfragen, dass Anhänger der verbotenen Blood & Honour Organisation in Thüringen weiterhin aktiv sind, u.a. in fünf Rechtsrock-Bands in Gera, Weimar, Sonneberg und Gotha bzw. Crawinkel. In den letzten Jahren gab es über 40 Vorkommnisse mit Bezug zu B&H in Thüringen und auch Konzerte wurden trotz Verbot weiter aus dem Spektrum organisiert. Außerdem nochmal von offizieller Seite eingeräumt: Der Vize-Chef der Thüringer (Thorsten Heise) unterhält auch weiterhin Kontakte ins B&H Milieu. Hier gehts zur Pressemitteilung und den Antworten auf die Anfragen.

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