Anhänger verbotener Neonazi-Organisation Blood & Honour in Thüringen immer noch aktiv

bloodandhonour5Vorige Woche wurde bekannt, dass das Berliner LKA eine V-Mann-Information, die Anfang 2002 möglicherweise zur Festnahme der NSU-Mitglieder hätte führen können, nicht an die Thüringer Polizei weitergab. Es handelte sich um Daten zu einem NSU-Kontaktmann, der bis zum Verbot im Jahr 2000 führender Kopf des Neonazi-Netzwerks Blood & Honour in Sachsen war. Wie jetzt die Thüringer Landesregierung auf mehrere Anfragen der Abgeordneten Katharina König bestätigte, sind zahlreiche Anhänger des Netzwerks, aus welchem der NSU seinen Sprengstoff bezog und mit dessen Hilfe er untertauchen konnte, auch in Thüringen bis heute noch aktiv.

„Trotz Verbot nicht tot“, so der Titel einer Blood & Honour-CD mit zahlreichen Thüringer Neonazi-Gruppen, die drei Jahre nach dem Vereinsverbot in Umlauf gebracht wurde. „Zwar hat das Verbot vor über zwölf Jahren Struktur und organisatorischen Zusammenhalt in Teilen geschwächt, ihre Aktivitäten aber nicht beendet. Mehrere Anhänger des Netzwerks von damals sind bis heute in der rechten Szene Thüringens aktiv, vor allem im Bereich des Rechtsrocks“, konstatiert die Sprecherin für Antifaschismus der Linksfraktion im Thüringer Landtag. Von bundesweit ca. 200 den Behörden bekannten Mitgliedern des Netzwerks und seiner Jugendgruppierung seien dem Innenministerium auch bis zu 30 Mitglieder in Thüringen namentlich bekannt gewesen. Nach dem Verbot habe etwa die Hälfte der Neonazi-Szene angehört und sich besonders im Milieu der rechten Musikszene engagiert. Ehemalige B&H-Aktivisten engagieren sich aktuell in mindestens fünf Thüringer Neonazibands, von denen zwei in Gera, eine in Weimar, eine in Sonneberg und eine in Gotha bzw. Crawinkel ansässig sind. Letztere widmete dem inhaftierten mutmaßlichen NSU-Helfer Ralf Wohlleben im Oktober 2012 auf einer Solidaritäts-CD einen eigenen Song, Mitglieder der Band posierten vor Monaten auch mit Anscheinwaffen auf einem Foto unter dem Titel „NSU reloaded“.

Seit dem Verbot registrierte das Innenministerium in Thüringen 46 Vorkommnisse mit Bezug zu „Blood & Honour“ bis ins Jahr 2012, beispielsweise die Verbreitung oder Zurschaustellung von CDs, T-Shirts und Tätowierungen. Während entsprechende Symboliken oft von jüngeren Neonazis ohne unmittelbare Zugehörigkeit zur damaligen Organisation als Ausdruck ihrer Verbundenheit mit dem Netzwerk zur Schau gestellt würden, beteiligten sich seit dem Verbot weiterhin Aktivisten aus dem Thüringer B&H-Umfeld bei der Organisation von rechten Konzerten, beispielsweise im Mai 2009 im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt. Auch traten Thüringer Neonazi-Bands in den letzten Jahren bei ausländischen Sektionen von „Blood & Honour“ auf, wie bei einem „Gedenkkonzert“ in Belgien für den verstorbenen Gründer des internationalen Netzwerks.

„Die Aktivitäten von ehemaligen Blood & Honour-Angehörigen und Sympathisanten in Thüringen zeigen, dass das Verbot der Organisation nicht das Ende von Blood & Honour war, die Ideologie und der Gedanke existieren auch weiterhin, die Szene hat vor allem an Konspirativität z.B. bei der Konzertorganisationen dazugelernt“, so Frau König. Seit dem Verbot habe es in Thüringen 16 Verdachtsfälle auf Fortführung einer verbotenen Vereinigung gegeben. Bei entsprechenden Durchsuchungen gegen Neonazis im Freistaat stießen Ermittler mehrfach auf Beweismittel mit Bezug zum Netzwerk, eine Fortführung der Vereinigung oder Nachfolgestrukturen konnten jedoch nicht juristisch nachgewiesen werden. Dennoch erlangten Thüringer Sicherheitsbehörden Kenntnisse über mehrere Treffen der ebenso illegalen Jugendorganisation von B&H in Thüringen noch vier Jahre nach dem Verbot. Darüber hinaus seien auch mindestens zwei Neonazis mit B&H-Verbindung zwischenzeitlich im kriminellen Rockermilieu aktiv geworden.

Mit ihren Ausführungen zur Organisation widerspricht die Landesregierung in ihrer Bewertung auch dem ehemaligen Verfassungsschutz-Vize Peter Nocken. Nach Angaben des Innenministeriums belegten u.a. die damals regelmäßige Teilnahme von Thüringer Führungsmitgliedern bei Blood & Honour-Deutschland-Treffen sowie die Übernahme einer wichtigen Funktion eines Thüringer Sektionsleiters den Stellenwert Thüringens auf Bundesebene. Nocken hatte vor dem Ausschuss im Juli 2012 noch geäußert, dass die Thüringer Sektion „sehr unbedeutend“ gewesen sei. Jener Sektionsleiter Marcel D. wurde später als V-Mann des Verfassungsschutzes enttarnt. Im Untersuchungsausschuss räumte Nocken auf Nachfrage schließlich ein, dass sich der Verfassungsschutz alle ein bis zwei Wochen mit ihm in Gera getroffen habe.  D. war im B&H-Netzwerk auch als Bundeskassenwart aktiv und bot im November 1999 einem anderen sächsischen Blood & Honour-Aktivisten, Thomas S., Geld für das flüchtige Neonazi-Trio aus Jena an. Hier schließt sich der Kreis: Jener Thomas S. ist auch der V-Mann, der auf der Gehaltsliste des Berliner LKA war, das nun seit einigen Tagen wegen Zurückhaltens von Informationen in der Kritik steht. Entsprechende Fragen zum Thüringer B&H-V-Mann wollte die Landesregierung mit Verweis auf den Geheimschutz in der Anfrage nicht beantworten.

„Der NSU ist keine Erscheinung von drei einzelnen Akteuren, sondern war schon damals in ein breiteres Netzwerk eingebettet und kann sich auch heute auf die Unterstützung der Szene verlassen, was sich am Beispiel der jüngsten Solidaritäts-CDs für Wohleben erkennen lässt. Diese Unterstützernetzwerke gilt es genauer in den Fokus zu nehmen“, so König. Die Abgeordnete weist darauf hin, dass die Landesregierung in ihren Antworten auch bestätigt, dass der derzeitige Vize-Landeschef der Thüringer NPD, Thorsten Heise, aufgrund seiner führenden Rolle im Rechtsrock-Milieu nach wie vor über Verbindungen zu Blood & Honour-Aktivisten verfüge.

Zum kommenden Wochenende, am 4. Mai, veranstaltet Heise außerdem in Leinfelde ein neonazistisches Festival mit Rechtsrock unter dem  Motto „Nationaler Kundgebungstag“, bei dem 1.000 Teilnehmer angekündigt wurden. Die gleiche Veranstaltung  fand in den letzten Jahren unter dem Titel „Eichsfeldtag“ als Familienfest getarnt bereits zweimal statt. „Von Veranstaltungen wie diesen geht die Gefahr aus, dass über den  Erlebnischarakter des Rechtsrock-Events nicht nur Nachwuchs rekrutiert werden soll,  sondern die menschenverachtende Ideologie auch weiter verfestigt wird. Es gilt, sich dem braunen Spuk, egal ob in Rock-, Hardcore- oder Hiphop-Musikrichtungen verpackt, konsequent in den Weg zu stellen“, so König abschließend.

Die Antworten auf die fünf Anfragen der Abgeordneten König sind hier einsehbar:

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