Thüringer Landesprogramm gegen Rechtsextremismus bleibt Zankapfel der Fraktionen
Erfurt. Das neue Thüringer Landesprogramm gegen Rechtsextremismus stößt auf heftige Kritik. Zu allgemein, blind auf dem linken Auge, verwässtert, kritisiert die Opposition. Sozialministerin Heike Taubert (SPD) verteidigte die Initiative, räumte aber Fehler ein. Thüringen sei zwar keine Hochburg rechter Parteien, doch die Zahl rechter Straftaten alarmierend.
VON ROBERT BÜSSOW
Tolerant zu sein, wenn die „Auffassungen sehr weit auseinander liegen“, ist mitunter schwierig, wie Sozialministerin Taubert ausgerechnet beim neuen „Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit“ erleben musste. Über ein Jahr dauerte es, die weit auseinander klaffenden Positionen der rund 60 Vertreter aus Parteien, Verbänden, Kirche und Bürgerbündnisses in papierform zu gießen. Zeitweise stand das ganze Projekt vor dem Aus und kündigten fünf lokale Bürgervereine ihre Kooperation auf, weil schon darüber keine Einigkeit bestand, was überhaupt unter Extremismus zu verstehen ist, und welchen man überhaupt bekämpfen will: den rechten oder den linken.
In einer Regierungserklärung verteidigte taubert das Landesprogramm gestern nicht nur, sondern stellte auch klar: „Die Gefährdung geht vor allem vom Rechtsextremismus aus“. Die Statistik verzeichnet in den letzten zehn Jahren 585 rechte und 323 linke Gewaltstraftaten. Mit run 450 Mitgliedern ist die Thüringer NPD sogar überdurchschnittlich gut organisiert im Ländervergleich. Bei den Kommunalwahlen 2009 erreichten ihre Funktionsträger 25 Mandate, und bei der Landtagswahl scheiterte die NPD mit 4,3 Prozent nur knapp an der Fünf-Prozenthürde.
Mit einem blauen Auge sei Thüringen bislang davongekommen, so Taubert, und nur das einzige ostdeutsche Land, in dem bis heute keine rechte Partei im Landtag Fuß fassen konnte. Das Landesprogramm gegen rechts soll das auch künftig sicherstellen und die zuvilgesellschaftlichen Abwehrkräfte stärken. Mit einem Jahresetat von 2,6 Millionen Euro werden flächendeckend lokale Aktionspläne gefördert sowie Opfer- und Aussteigerprogramme unterstützt, Aufklärung und Prävention in Kitas, Schulen, Sportvereinen und der Feuerwehr betrieben. Denn Thüringen sei keine Insel der Glückseligen, erklärte Taubert: „Es gibt Antisemitismus ohne Juden und Ausländerfeindlichkeit ohne Ausländer.“
Bei der Opposition im Landtag fand Tauberts Rede viel Beifall, das Programm selbst gefiel hingegen keiner Partei wirklich: die CDU glänzte weitgehend mit Abwesenheit und die Abgeordnete Beate Meißner erklärte vergnatzt, es gehe der CDU garnicht um Gleichsetzung von Links- und Rechtsextremismus, aber der linke dürfe eben nicht ausgeblendet werden. FDP-Chef Uwe Barth erinnerte daran, dass sich die Linke ja auf dem Weg zum Kommunismus befinde, was ebenfalls eine Bedrohung der demokratischen Grundordnung sei.
Die Grünen-Fraktionschefin Anja Siegesmund bedauerte, dass „die ziellosen Debatten um den Extremismusbegriff viele ehrenamtliche lokale Akteure verschreckt haben.“ Die Linke kritisierte viel demokratisches „Wortgeklingel“ und zu wenig konkrete Untersetzung. Denn konkret wird vor allem die Linke immer wieder Ziel von Anschlägen. Seit Herbst 2008 wurden 24 Angriffe auf Büros Thüringer Abgeordnete verübt, davon überwiegend Büros der Linkspartei und durch Täter mit rechtem Hintergrund, wie eine OVZ-Anfrage ergab.
Für heftige Irritationen sorgte ein Antrag der Linken. Darin wurde die Landesregierung aufgefordert, sich gegen die „Demokratieerklärung“ einzusetzen, die der Bund im Gegenzug für seine Fördermittel verlangt. Sie ist als Persilschein für die Projekte gedacht, doch Taubert lehnt dies ab: „Das hört sich zunächst unverfänglich an, unterstellt aber, dass jeder der gegen Rechts kämpft, potenziell linksextrem ist. Damit werden alle, die gegen rechts aktiv werden, unter Generalverdacht gestellt.“ Der Linken-Antrag fand daher auch bei einigen in der SPD Sympathie. Doch zustimmen könne man nicht, erklärte der Abgeordnete Heiko Gentzel: „Denn da hatte Kuschel die Hand dran“ – gemeint war der ehemalige Stasi-Zuarbeiter und Linken-Abgeordnete Frank Kuschel.
Der Eklat war perfekt und die Grünen-Fraktion so verärgert über die Begründung, dass sie den Antrag der Linken fast wortgleich selbst einbringen wollte – damit die SPD doch zustimmen kann. „Wir wollten den Sozialdemokraten die Hand reichen, weil es uns um die Sache geht“, sagte Siegesmund. Der Vorgang ist unzulässig, entschied jedoch die SPD/CDU-Mehrheit, der Antrag wurde abgelehnt und der Koalitionsfriede bewahrt. Soweit ging die Toleranz dann doch nicht.