Am 10. Juli fand erneut eine Untersuchungsausschuss-Sitzung in Thüringen statt. Geladen waren der erste Verfassungsschutz-Präsident (bzw. Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz Thüringen) Harm Winkler, der ehemalige Innenstaatssekretär Michael Lippert und zum zweiten Mal der Innenminister Franz Schuster. Die humoristische Maßlatte, die Helmut Roewer gestern gelegt hatte, war natürlich unerreichbar. Der Untersuchungsausschuss heute machte vor allem noch einmal deutlich, wie die männlichdominierte Elite innerhalb der Thüringer Sicherheitsarchitektur ihr Behördenkönigreich damals rigoros gegen Kritik von Innen- und Außen verteidigte, dass im Zweifelsfall die anderen schuldig sind und dass sie alle etwas eint: Wenn’s dann mal brenzlig wird, erinnert man sich einfach nicht mehr dran.
Neben der Aufklärung von Verantwortlichkeiten und Behördenversagen im Innenministeirum und Landesamt für Verfassungsschutz, spielte vor allem die Frage eine Rolle, wie Helmut Roewer in sein Amt kam. SpiegelOnline hat den heutigen Untersuchungsausschuss sehr schön im Artikel „Ab morgen bin ich hier Präsident, Sie können gehen“ [anschauen] zusammengefasst. Hier noch ein paar ergänzende Eindrücke (Zitate):
Harm Winkler, erster Leiter des Landesamt für Verfassungsschutz Thüringen:
„Die Beamten des höheren Dienstes, die erhalten keine besondere Ausbildung, die können das alles – Kraft ihres Amtes“
„Die Werbung von V-Leuten ist ein ganz schön schwieriges Geschäft, sie kann bis zu ein Jahr lang dauern“
„Ich habe den Staatsekretär Lippert gewarnt, dass es ein Sicherheitsrisiko gibt, weil ich inoffiziell erfahren habe, dass es ein Verfahren gegen Herrn Nocken [Ex-Vizepräsident vom Thüringer Verfassungsschutz] gab“
„Roewer erschien in meinem Dienstzimmer und erklärte mir, er sei der neue Leiter des Landesamtes. Auf die Frage, ob er Interesse am Aufbaustand habe, sagte er mir, dass er kein Interesse habe.“
„Ich ging dann zum Personalchef des Innenministeriums und sagte: Ich bin Thüringer Beamter, haben Sie ein Dienstzimmer für mich? Ich wollte so lange spazieren gehen, bis man mir ein Büro zuteilt. Ich bin drei Tage spazieren gegangen, dann hatte ich ein Zimmer für mich.“
Ex- Staatssekretär Michael Lippert:
„Guten Tag Frau Vorsitzende. Was ist hier bürokratisch zu erledigen?“
„Angesichts der Jugendlichkeit der Ausschussmitglieder würde ich sie gerne auf eine kurze Zeitreise mitnehmen“
„Als Verfassungsschützer stehen sie unter einem enormen Druck, sie haben kein Erfolgserlebnis, können nicht mit ihrer Familie über den Berufsalltag reden. Es fehlt ein Ventil. Das ist wie, wenn sie an eine Biogasanlage denken, da ist eine Fackel für den Überdruck. Diese Fackel fehlt aber in den Behörden“
„Ich halte nichts von Gegendarstellungen, die nehmen die Dinge nochmal auf und bringen nichts“
„Wir habe keine organisierten verdichteten rechten Strukturen bis 1994 wahrgenommen, das waren eher Rechts-Links-Auseinandersetzung und spontane Entwicklungen“
„Ich habe keine Erinnerung, wie man auf Herrn Roewer kam. Ich habe keine Schreiben verteilt und auch nicht in die Jacken gesteckt und auch keine Ausstandspartys besucht“ [bezogen auf die ominöse Ernennungsurkunde Roewers]
„Das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz war [durch die Aufbauhilfe aus den alten Ländern] stärker hessisch geprägt, die Thüringer Polizei eher bayrisch geprägt“
„Rechte Skinheads waren Anfang der 90er Jahre in Thüringen nur ein wirrer Haufen, die sich an Tankstellen, Raststätten etc. trafen und ab und zu randalierten. Anders hingegen der Schwarze Block. Der Schwarze Block war eine aufgerüstete Einheit mit Standorten in Göttingen und Berlin, die Entglasungen durchführte und einmarschierte. In Erfurt konnte durch einen wichtigen Hinweis des Verfassungsschutzes schlimmeres damals verhindert werden.“
Franz Schuster, damaliger Innenminister:
„Kündigung? Nein, es geht nicht darum jemanden zu kündigen, sondern darum eine Verwendung zu suchen, für jemaden der in seiner neuen Tätigkeit besser aufgehoben sein könnte als bisher“
„Später hat sich dann bei mir ein Herr Roewer gemeldet, den ich nicht kannte und den ich nicht eingeladen hatte. Er hat mir mitgeteilt dass er für die fragliche Stelle interessiert sei“
„Frau Ministerin ich hab ein paar mehr Sachen gemacht, ich hab die Gebietsform gemacht, ich hatte jeden Tag eine Demonstration vor dem Haus, ich kann mich nicht mehr an jedes Ereignis erinnern!“
„Ich habe mich über Roewer beim bayrischen Innenministerium erkundigt. Warum? Weil Bayern einen Innenminister hatte, der sich besonders gut auskannte!“
„Nein ich sag ihnen nicht mit wem ich gesprochen habe. Nein. […] Okay, ich kann es ja jetzt sagen, es war Günther Beckstein. […] NEIN! Ich erzähle ihnen nichts aus dem Gespräch, dass war ein sehr persönliches Gespräch! […] Das werde ich ihnen nicht sagen, weil Herr Beckstein einen Anspruch hat auf Vertrauensschutz hat! Ich muss ihnen überhaupt nichts daraus sagen! [Untersuchungsausschus-Unterbrechung, Androhung von Sanktionen] Okay. Ich hatte mich mit Herrn Beckstein über Herrn Roewer unter halten, er war ihm aber nicht bekannt“
Hier geht es zu den 30 bemerkenswertesten Aussagen des gestrigen Untersuchungsausschuss mit Helmut Roewer: Klick. Hier zur Vernehmung von dessen Vize, Peter Jörg Nocken am 17. Juli: Klick.
Richtig spannend wird es nochmal nächste Woche. Am 17. Juli spricht Peter Nocken vor dem Ausschuss, welcher es vom V-Mann-Führer/Beschaffungsleiter bis zum Vizepräsidenten des Verfassungsschutz schaffte und dessen Name in einer ganzen Palette von Verfassungsschutz-Skandalen auftaucht.
Nachträgliche Ergänzung: Wie MDR und Spiegel mittlerweile berichten, sind alte Kabinettsprotokolle aufgetaucht, die im Punkto „Einsetzung von Roewer“ das Gegenteil von dem belegen, was die Zeugen Schuster und Lippert im Ausschuss während ihrer Befragung geäußert haben. So war es Lippert, der 1994 eine Vorlage ins Kabinett einbrachte, die Roewer als Chef für den Geheimdienst vorschlug, Schuster war ebenso an der Sitzung beteiligt.