Am 4. November 2013 fand vor dem Landgericht Gera ein Prozess gegen mehrere ehemalige Mitglieder der Neonazi-Organisation „Thüringer Heimatschutz“ statt. Ihnen wird schwerer Raub vorgeworfen, da sie in den Überfall auf einen Geldboten im Oktober 1999 in Pößneck involviert waren. Dabei wurden eine Schusswaffe, 7 Schuss scharfe Munition sowie 78.000 DM erbeutet. Die Hälfte des Geldes floss in die Übernahme eines Bordells in Rudolstadt. Alle Angeklagten sagten heute am ersten Prozesstag aus und belasteten sich teilweise gegenseitig. Der Tätergruppe bestand aus 8 Personen, fünf Deutsche (aus der hiesigen Neonazi-Szene) und drei Menschen aus Litauen. Ebenso offenbarte sich, dass der Haupttäter einer Polizei-Spezialeinheit aus Litauen angehörte und die Neonazi-Szene aus dem Raum Saalfeld-Rudolstadt Ende der 90er Jahre eng mit dem Rotlicht-Milieu, insbesondere in den Raum Litauen vernetzt war.
Beschuldigte
Eigentlich sollte der erste Prozesstag schon am 14. Oktober 2013 beginnen. Angeklagt waren:
Sven-Kai R. (Saalfeld-Rudolstadt)
Rocco P. (Saalfeld-Rudolstadt)
Marcel K., vorher Marcel B. (Pößneck)
Marcel E. (Saalfeld-Rudolstadt)
Mirko E. (Saalfeld Rudolstadt)
sowie
Raimond R. (Litauen).
Weitere Tatverdächtige:
Rolandas C. (Litauen)
Andrej V. (Litauen)
R. folge freiwillig dem Auslieferungsersuchen. C. stand nicht vor Gericht, weil er in Litauen wegen Verjährung erfolgreich Rechtsmittel gegen die Auslieferung einlegte. Andrej V. ist zwischenzeitlich verstorben. Weil einer der Verteidiger kurzfristig krank war, konnte die Anklageschrift noch nicht verlesen werden. Richter Neidhardt legte einem der Angeklagten nahe ein Geständnis abzulegen, dieser lehnte allerdings ab. Am 4. November begann dann der tatsächliche Auftakt, einige der Angeklagten wurden durch zwei bekannte Weißenfelser Anwälte der Neonazi-Szene vertreten. Die Person Marcel K. war diesmal nicht mehr auf der Anklagebank. Grund: K. wurde zwar von Spanien aus nach Deutschland ausgeliefert, allerdings wegen eines anderen Deliktes. Somit wurde des Verfahren gegen ihn nun wegen eines Verfahrensfehlers eingestellt, er kann nur noch als Zeuge geladen werden. Alle Angeklagten kündigten an, Aussagen machen zu wollen. Sie sind im Schnitt Mitte 30 bis 40 Jahre und waren zur Tatzeit zwischen 19 und 26 Jahre alt.
Anklage
Den Angeklagten wurde zur Last gelegt in den Abendstunden des 05.10.1999 einen Geldboten der Fa. Patrol Sicherheitsdienst GmbH überfallen zu haben. Motiv soll die Übernahme des Bordells „Blue Velvet“ in Rudolstadt gewesen sei. Weil es an Geld mangelte sollen die Angeklagten den Raubüberfall geplant haben. Der Bote begann seine Route mit Bargeldentnahmen von verschiedenen Märkten 14.30 und traf 19.25 vor dem Haupteingang der Volksbank in Pößneck ein. Auf dem Weg zum Nachttresor hätten ihn zwei männliche Personen attackiert (Stoß gegen Oberkörper, Faustschlag, CS-Gas). Während das Opfer um Hilfe schrie und den Geldkoffer mit beiden Händen festklammerte, haben die Täter weiter mit der Faust ins Gesicht geschlagen, bis er davon abließ. Anschließend habe man ihm aus dem Holster die Waffe mit Munition gestohlen. Im Koffer waren 77.842,22 DM, welche unter den Angeklagten aufgeteilt worden sein sollen. Der leere Geldkoffer wurde ein paar Wochen später in einem im Salzteich in Kolba gefunden. Die Angeklagten sollen arbeitsteilig vorgegangen seien: einer hörte den Polizeifunk ab, zwei andere sollen für die Verbringung der beiden Mittäter zuständig gewesen sein und einer entsorgte die Schusswaffe in einem Teich bei Friedebach.
Das die ganze Strafsache nur deswegen fast 15 Jahre später überhaupt zur Anklage kommt ist einem weiteren Neonazi (Michael H.) geschuldet, der als abtrünniger Thüringer NPD-Funktionär in den letzten Jahren versuchte, sich im Milieu der organisierten Kriminalität einen Namen zu machen und seine Kameraden 2012 ans Messer lieferte. Und so räumten die deutschen Angeklagten nun nacheinander teilweise Tatbeiträge ein, belasteten sich gegenseitig, widersprachen sich stellenweise und hatten fast alle auch Erinnerungslücken.
Sven-Kai R. (Saalfeld-Rudolstadt)
(Sven-Kai R. vorne links mit Basecap, über ihm telefonierend sein Anwalt)
Als erster schildert Sven-Kai R. wie in der Pößnecker Kneipe „Roadrunner“ beim Bier der Plan des Überfalls entstand, zuvor seien alle Beteiligten zusammen telefoniert worden. Man hatte das Geldboten-Fahrzeug schon ein paar mal beobachtet. R. gab an, dass alle Angeklagten beim Treffen dabei waren, „es hat dann jeder seine Aufgabe bekommen“. R. selbst habe den Geldtransporter vorher zwei mal überwacht, seine Aufgabe am Tattag bestand darin das Fahrzeug, in das die Beute eingeladen werden sollte mit einem Zweitfahrzeug zu decken. Das Abhören des Polizeifunks bestritt er. Seine Mitangeklagten hätten folgende Funktionen gehabt: Die Litauer sollten mit einfacher körperlicher Gewalt den Widerstand des Geldboten brechen, der Einsatz von Waffen sei aber nicht geplant gewesen, meint er. Mirko E. war Fluchtwagenfahrer für den Litauer Raymond E. sowie derjenige, der den Geldkoffer wegschaffen sollte. Rocco P. und Mirko E. sollten die litauischen Täter in Pößneck und in Neustadt/Orla in Unterschlüpfen verstecken, damit sie später nach Fahndungsende wieder ausreisen könnten. Marcel E. und Sven Kai-R. hatten die Aufgabe das Geldtransporterfahrzeug zu überwachen und durchzugeben, wenn es eintrifft. P. versteckte außerdem die Schusswaffe in einem See. Der Koffer wurde in eine Wohnung nach Neustadt verbracht, dort saßen alle auf dem Boden im Kreis, dann habe man mit einem Brotmesser den Koffer geknackt und dass Geld schließlich ausgezählt. Marcel E. habe sich einen Zwanziger zum Tanken abgezweigt, der Rest sei in eine Tüte gewandert. Am nächsten Tag hätte man sich in Pößneck getroffen, die Beute geteilt: 10.000 DM an die drei aus dem Ausland, je 7.500 DM an die Deutschen. Diese hätten dann alle ihren Anteil in einen Topf gelegt und damit sei das Bordell „Blue velvet“ abgekauft worden. Als der Richter fragte, wie die Täter aus dem Kreis Saalfeld-Rudolstadt überhaupt an die Mittäter aus Litauen kamen, antwortet Rosemann: „Die Frauen kamen aus der Ecke“, aus Litauen. Richter: Was meinen sie damit? „Na Nutten!“. Mit den anderen sei Sven-Kai R. nicht mehr befreundet, mit Marcel E. habe er noch losen Kontakt, aber der Konditionen beim Haftrichter würden einen weiteren Kontakt ja auch verhindern, so der Angeklagte. E. habe ihm gesteckt, dass die anderen Angeklagten beabsichtigten, ihn beim jetzt beginnenden Prozess den schwarzen Peter in die Schuhe zu schieben. Nach den Beweggründen befragt, gibt er an, dass er schon einmal seinen Kumpel Thorsten Lindner wegen eines Sprengstoffanschlages in den 90er Jahren verpfiffen habe. Vermutlich hatten seine Überfall-Mittäter Angst, er könne sie auch verpetzen. Sein Verteidiger Herr Jauch fragte ihn schließlich weiter nach den Osteuropakontakten und warum man auf diese bei der Tat zurückgriff. R. „Weil sie halt Ausländer sind […] die können sich vom Acker machen“. Der Rudolstädter mit Glatze hatte sich mit einem Basecap und Sonnenbrille für den Prozess zurecht gemacht. R. gilt als Waffen-Narr und zählte zu den führenden Akteuren im Thüringer Heimatschutz.
Rocco P. (Saalfeld-Rudolstadt)
(Rocco P. vorne rechts im weißen Pullover)
Als nächster sagte Rocco P. aus. Der 39-jährige kräftige P. aus dem Umfeld der Kampfsportszene kaschierte mit einem langen weißen Pullover vor Gericht seinen auffällige tätowierten Körper. Er schilderte den Überfall aus seiner Sicht: Er wäre nie bei irgendwelchen Vorbereitungstreffen gewesen. Erst am Tag selber habe ihn Sven-Kai R. angerufen und gefragt, ob er sich nicht etwas Geld dazu verdienen möchte. Dann sei er mit Mirko E. in jene Wohnung [des Marcel K.] nach Pößneck gefahren, in der sich alle trafen. Der Wohnungsinhaber Marcel K. habe ihm die Anweisungen erteilt und zwei Stunden später ging es auch schon los. Er sollte einen der Fluchtwagen fahren. Der Geldbote, ein alter Mann, wäre kein Problem gewesen, man wollte ihm den Koffer wegreisen hies es zuvor. K. schilderte wie er mit dem Fluchtwagen in Pößneck wenige Meter neben der Bank wartete, einer der Mittäter nach getaner Arbeit dann ins Auto stieg und ihm eine Waffe aufs Armaturenbrett legte. Er habe die dann erst bei einer Baustelle versteckt, sei Richtung Leipzig verschwunden und kam dann zurück, um sie später in einem Teich zu versenken. Warum ausgerechnet er angeheuert wurde? Man kannte sich, besonders Sven-Kai R. Die anderen brauchten zwei Fahrer, so seine Erklärung. Er selber hätte niemals das Geld gesehen oder in der Hand gehabt, beteuert er, Sven-Kai R. habe das einbehalten. Sein Anteil sei aber wie vereinbart ins Bordell geflossen. Da der Betrag nicht ausreichte, mussten sie noch einen Opel-Corsa zum Puffkauf obendrauf legen. Rechtsanwalt Jauch (Verteidiger Sven-Kai R.‘) versuchte dann noch ein wenig an Rocco P.s‘ Aussagen zu rütteln, insbesondere was seine Beteiligung am Bordell und vertragliche Vereinbarungen angeht. Rocco P. versuchte vor Gericht mit stellenweise gerade zu schüchterner Stimme den Eindruck zu erwecken, nicht vorab und bei allen Einzelheiten involviert gewesen zu sein und beteuert schließlich sogar, dass er während der Aktion auch Gewissensbisse bekam und kurzzeitig überlegt habe, einfach abzubrechen und wegzufahren.
Marcel E. (Saalfeld-Rudolstadt)
(Marcel E. rechts in Blickrichtung)
Die nächste Einlassung folgte von Marcel E. Aus ihm sprudelte es nur so heraus und er bemühte sich mit sachbezogenen und sachfremden Details zu überzeugen. Er erweiterte den bisherigen Ablauf: Statt dem Vorbereitungstreffen in einer Pößnecker Gaststätte habe es noch ein weiteres Vorbereitungstreffen für den Überfall in einem Wald gegeben. Anwesend waren „nur die Deutschen“. Dort hätte man dann an einer Reh-Futtergrippe befindlichen Stadtkarte den Ablauf durchexerziert. Er wusste schon sehr genau, um was es ging. Auch kannte er den Ort, weil er schon einmal mit Sven-Kai R. dort versuchen wollte nachts einen Geldautomaten mit einem Auto aus der Verankerung zu reißen. Außerdem habe er für den Überfall die Wohnung seiner damaligen Freundin zur Verfügung gestellt, dort sei schließlich auch einer der litauischen Täter für 2-3 Tage untergekommen. Vor der Tat sei vereinbart worden, das im Fall der Festnahme alle Beteiligten die Klappe halten und eine Aussage vor den Behörden verweigern. [Das hat ja gut geklappt!] Er selbst habe am Tag nach dem Überfall den zweiten Litauer nach Berlin-Tegel gefahren, dort wechselte er seinen Beuteteile in Dollar um, kaufte sich Anzug und Uhr bevor er sich in den nächsten Flieger nach Litauen setzte. Den einzigen mitangeklagten litauischen Täter Raimond R., derjenige, der in Neustadt übernachtete, kannte er bereits zuvor. E. berichtete, dass er selbst schon in Litauen war und dass er dort Partys besuchte, [bei denen es auch um Prostitution ging]. Die Litauer die beim Überfall in Pößneck waren hatten dort auch „Frauen“ gehabt. Er beteuert, dass man nicht wusste, dass der Geldbote bewaffnet sei. „Ich würde niemanden angreifen, der eine Waffe hat, ohne selber eine Waffe zu haben“ so seine Logik. Nach der erfolgreichen Flucht und der Ankunft im Unterschlupf hätte Abends dann noch umplanmäßig die Türklingel geläutet. Man dachte die Polizei würde jetzt vor der Tür stehen und alle festnehmen. Tatsächlich war es aber nur der Mittäter Rocco P. der plötzlich mit der scharfen Schusswaffe antanzte, man hätte ihm zu verstehen gegeben, dass er gefälligst verschwinden solle, was er auch tat. Am Abend nach der Tat sei das Geld aufgeteilt worden, Sven-Kai R. habe den Teil der Deutschen genommen, Marcel K. zunächst den Teil für die Litauer. Mit seinem Kollegen Marcel K. habe er sich nach der Tat verstritten, der hätte nur „Menschen ausgenutzt“, mit ihm habe er sich dann auch geprügelt, so E. Im Internet rühmt sich E. damit, dass er 1997 in Heilsberg „dabei war“. Damals hob die Thüringer Polizei das größte Waffenlager von Neonazis dort, 10km nahe Rudolstadt aus.
Mirko E. (Saalfeld-Rudolstadt)
(Mirko E. 2.v.l / mittig)
Anschließend berichtet der Bruder von E.,Mirko E., der in der Schweiz als Software-Entwickler arbeitet. Die Initiative zur Überfallbeteiligung sei von seinem Bruder ausgegangen schildert er und bestätigt dessen Version, insbesondere das Vorabtreffen im Wald. Der heute 34-jährige willigte ein, einen Fluchtwagen zu fahren und die Beute wegzuschaffen, „da machste dich nicht groß strafbar“, so Mirko E. vor Gericht. Er dachte sich jedoch, dass hier wenig Arbeit auf viele Leute aufgeteilt wird und schilderte, wer welche Fluchtroute fahren sollte bzw. wo die Haupttäter untergebracht werden sollten. Als im Moment der Aktion der Mitangeklagte Litauer Raimond R. in sein Auto stieg hätte dieser panisch in russischem Dialekt „Problem, Problem“ gesagt und mit den Händen eine Pistole gestikuliert. Mit dabei hätte dieser eine Tasche gehabt, welche er im Fußraum verstaute. Als sie mit der Beute in Neustadt ankamen, habe man dort den Geldkoffer in einen Kühlschrank gelegt, weil man dachte ein eingebautes GPS-Gerät könnte die Position verraten und der Kühlschrank würde das Signal unterbrechen. Nach dem Aufschneiden des Koffers haben Mirko E., sein Bruder Marcel und sowie der Sven-Kai R. das Geld je einmal gezählt. Mirko E. antwortete auf Fragen seines Anwaltes ebenso, dass er im Vorfeld nicht weiter involviert war. Die Ausländer hätten den Geldtransporter schon Wochen zuvor beobachtet, so seine Darstellung. Nach den ersten Ermittlungserfolgen der Polizei kündigte E. gegenüber der Thüringer Allgemeinen im September 2012 von der Schweiz aus an, sich den Deutschen Behörden stellen zu wollen, wies aber damals die Vorwürfe aber noch zurück: „Ich bin an dem Überfall in Pößneck und dem Geldraub nicht beteiligt gewesen“., so E. Er war sowohl im THS als auch bei der NPD organisiert und saß bereits wegen Autoschieberei in Haft.
Raymond R. (Litauen)
(Raymond R. mittig bei der Abnahme der Handschellen)
Als letzter Zeuge ist der litauische Raymond R. an der Reihe. Eine russische Dolmetscherin übersetzt synchron. Er berichtet, wie Marcel K. nach Litauen kam und man sich dort im Bereich der Prostitution vergnügte, auch an Marcel E. könne er sich noch erinnern. Sein Kraftsport-Kollege Andrej V. habe ihn später mit nach Deutschland genommen, man kannte ja die Leute aus Thüringen. Einen Tag vor dem Überfall feierten sie V.’s Geburtstag in Pößneck, K. hatte dafür auch Prostituierte mitgebracht. Dabei hätte ihm V. mitgeteilt dass die Kollegen im Raum Saalfeld-Rudolstadt Konkurrenzprobleme im Rotlicht-Milieu haben und dass es wohl zu einer Schlägerei kommen könnte. Er willigte zur Unterstützung ein. Am nächsten Tag sei er mit V. und dem dritten Litauer Rolandas C. in die Stadt gegangen und er habe an einer Ecke warten sollen, weil V. die Probleme alleine klären wollte. Raymond R. sollte nur zur Sicherheit im Hintergrund bleiben. Dann wäre er für eine Minuten austreten gewesen und habe schließlich „Hilfe“-Schreie auf deutsch gehört. C. und V. seien zurückgerannt und er hinterher, dann seien alle und die bereitstehenden Autos verschwunden. Er saß im Auto bei Marcel E., man sei eine halbe Stunde zum Unterschlupf gefahren. Dort habe er dann das Geld gesehen und schließlich dort alleine übernachtet, am nächsten Tag seien die beiden anderen Litauer gekommen und V. hätte eröffnet, dass er verschwinden müsse, man habe sein Gesicht gesehen. Er flog dann zurück nach Litauen. Später wäre Raymond R. selber nach Berlin gefahren und dann wieder mit dem Bus nach Litauen zurück. Die Erklärung von Raymond R.: Er wusste nicht, dass hier ein Raubüberfall geplant war. Ihm war nur gesagt worden, dass ein Gespräch geführt werden sollte wegen Zuhälter-Streitereien. Sowohl vom Geldkoffer zwischen seien Füßen im Auto als auch vom Geld auf dem Tisch später war er ganz überrascht. Als er V. später traf wollte er auch etwas vom Geld abhaben, doch der hätte ihn abgewimmelt, er hätte ja nur ein paar Meter den Koffer tragen müssen, erzählt R. Andrej V. sei der Haupttäter der Aktion gewesen. R. berichtet, dass beide gut befreundet waren. R. arbeitetet damals für eine Polizei-Spezialeinheit in Litauen, eine Art SEK, die auch für Anti-Terror-Einsätze angefordert wurde. Dabei hatte er spezielle Kampftechniken erlernt. Nebenbei habe er sich als Zuhälter im Prostitutionsgewerbe offensichtlich Geld dazuverdient. V. habe R. die Anweisungen erteilt. Der Richter fragt ihn, warum er die Story nicht schon dem Richter beim Auslieferungsantrag in Litauen erzählt habe. Das hätte er, so der Angeklagte, in den Protokollen findet sich aber nichts. R. berichtet, dass er quasi gelinkt worden sei, angeblich war er vorher nicht involviert. Der Richter hält ihm schließlich vor, dass ihn die Polizei ein halbes Jahr nach dem Überfall erneut in der Wohnung in Pößneck bei den Mittätern antraf, eine schlüssige Erklärung hierfür kann er nicht liefern. Sein Freund Andrej V. ist zwischenzeitlich verstorben. Über eine Stunde diskutieren er, der Richter und die Anwälte der anderen Beschuldigten weitere Detailfragen, bei denen sich auch R. wie die anderen immer wieder in Widersprüche verhaspelte oder an entscheidenden Stellen Erinnerungslücken hatte. Der Richter stellte schließlich fest, dass die Aussagen der deutschen Täter bisher am plausibelsten klingen, die von Raymond R. allerdings unwahrscheinlich. Er möge sich seine Äußerungen bis zum nächsten Termin nochmal überlegen, so der Rat.
(Zeitungsartikel von 1999 , Quelle: Thüringer Allgemeine)
Vorläufiges Resümee
Diverse Widersprüche bleiben. Zum Beispiel was die genaue Geldverteilung angeht und die Anwesenheit einzelner Akutere bei den Vorbereitungstreffen. So stellen sich Rocco P. und die Brüder E. als diejenigen dar, die im voraus nicht groß informiert waren und heben Sven-Kai R. und Marcel K. als die Planer hervor. Auch beim Kauf des Bordells hätte Sven-Kai R. erst auf die anderen einwirken müssen, damit diese ihren Anteil in das „Blue Velvet“ mit einführten, so die Äußerungen der Mitbeschuldigten. Übereinstimmungen gibt es dahingehend in den Aussagen, dass der Elite-Polizist Andrej V. an vorderster Front des Tatortes auftrat [und gegen das Opfer vorging]. Das war auch so beabsichtigt, mehrere Zeugen schwärmten von seinen körperlichen „Fähigkeiten“, mit denen er den bewaffneten Geldkurier offensichtlich niederstrecken und entwaffnen konnte. Dem Richter und verschiedenen Prozessbeteiligten scheint zumindest die Aussage von Raymond R. unglaubwürdig, aber es bleibt fraglich, ob er überhaupt verurteilt werden kann. Seine Behauptung, wonach er unwissentlich in den Raubüberfall „hineingeraten“ sei und ansonsten nichts weiter groß beigetragen habe, wird angesichts des Todes vom Mittäter V. und der gestoppten Auslieferung von C. nur schwerlich zu widerlegen sein. Letztendlich stünde dann auch seine eigene Auslieferung und die nun mehrmonatige Untersuchungshaft in Frage. Er ist der einzige der noch mit Handschellen vorgeführt wird. Wenn gleich mehrere der angeklagten Deutschen der organisierten militanten Neonazi-Szene zugehörig waren und es stellenweise auch noch immer sind, spielt die politische Komponente wegen dem Hintergrund der Täter bislang noch keine Rolle im Verfahren. Auch der pikante Umstand, dass einer der Angeklagten mit dem Thüringer Verfassungsschutz-Spitzel „Otto“ (Tino Brandt) zusammen die Erotikseite „Junge Knaben“ betrieb und ein anderer der Angeklagten mit dem Thüringer Verfassungsschutz-Spitzel „Alex“ (Andreas R.) gemeinsam bei Wehrsportübungen unterwegs war ist bislang ebenso unerheblich wie die vereinzelt von den Angeklagten selbst eingebrachten Einlassungen, zum Beispiel zu einem Sprengstoffanschlag in der ersten Hälfte der 90er Jahre. Entsprechende Nachfragen seitens des Gerichtes oder der Staatsanwaltschaft sind dazu bislang ausgeblieben. Der Raubüberfall wäre nicht politisch motiviert, damit scheint eine politische Dimension vermeintlich vom Tisch. „Vermeintlich“ deshalb, weil der Überfall in jene Zeit fiel, in der das Jenaer Neonazi-Trio, welches auch dem Thüringer Heimatschutz entsprang und später 10 Menschen ermordete, da bereits seit einem Jahr auf der Flucht war und selbst erste Überfälle beging und zu einigen Akteuren aus dem Pößneck-Überfall-Verfahren zumindest personelle Querverbindungen ins Umfeld des NSU-Trios bestanden. Drei weitere Prozesstermine sind geplant.