„ZDF Magazin Royale“ und „Frag den Staat“ haben gestern die ursprünglich für 120 Jahre geheim eingestufte NSU-Akte aus Hessen veröffentlicht.
Dazu erklärt Katharina König-Preuss, Sprecherin für Antifaschismus der Fraktion DIE LINKE und Obfrau der früheren NSU-Untersuchungsausschüsse im Thüringer Landtag:
„Nun wird deutlich, warum der Bericht so lange der Öffentlichkeit vorenthalten werden sollte. Er ist vor allem ein Zeugnis der unfassbaren Inkompetenz des Geheimdienstes. Allein 40 Prozent der Meldungen beziehen sich auf Waffen- oder Sprengstoffbesitz von Neonazis. Trotzdem meint der Verfassungsschutz, dass keine ‚Informationen zu einem gewaltorientierten Verhalten dieser Personen‘ vorlägen. Es ist dringend notwendig, den Geheimdiensten alle ihnen noch vorliegenden Akten, die zur Aufklärung des NSU-Komplexes beitragen können, zu entziehen und einem Archiv zu übergeben, um die seit mehr als zehn Jahren zugesagte transparente und umfassende Aufklärung zu ermöglichen.“
Dass man mit der geheimen Einstufung der Akte für mehrere Jahrzehnte den „Schutz der Funktionsfähigkeit des Staates“ bezwecken wolle, sei absurd und widersinnig, so König-Preuss. „Das Dokument offenbart, dass der Geheimdienst eine Vielzahl von Informationen über Bewaffnung von Personen der rechten Szene hatte, aber diese nicht nutzte, um frühzeitig rechte Straftäter aus dem Verkehr zu ziehen. Eine Behörde, die meint, zum Schutz der Funktionsfähigkeit des Staates sei es notwendig, Informationen über bewaffnete Neonazis jahrzehntelang zurückzuhalten, gefährdet bewusst Menschen, die von rechter Gewalt betroffen sind.“
Die Abgeordnete verweist auf eine Vielzahl von Informationen zu Thüringer Neonazis im hessischen Geheimbericht: „Die meisten Meldungen betreffen zwei Thüringer Neonazis – Thomas Gerlach (28 Meldungen) und Thorsten Heise (20 Meldungen). Beide sind führende Akteure militanter Neonazi-Netzwerke, die nicht nur im NSU-Komplex als Unterstützungsstrukturen gelten, sondern seit Jahrzehnten für Bewaffnung und rechten Terror stehen und darüber hinaus international vernetzt sind. Hinzu kommen einzelne Meldungen zu weiteren in Thüringen aktiven Neonazis, wie Philipp T., über den es heißt, dass dieser ‚möglicherweise Waffen besorgen könne‘. Relevant ist diese Meldung, da er in militanten, kriminellen Neonazi-Netzwerken aktiv war aber bspw. auch Verbindungen zu der aktuell in Thüringen angeklagten rechtskriminellen Neonazi-Struktur ‚Turonen‘ hatte.“ Derartige Informationen zusammenzuführen und damit rechtsterroristische Aktivitäten frühzeitig zu stoppen, werde kontinuierlich durch Geheimdienste und deren Credo „Geheimschutz“ unterlaufen. Dass dieser Bericht den Untersuchungsausschüssen der Länder nicht übergeben wurde, zeige deutlich die Blockade des parlamentarischen Aufarbeitungswillens durch den Geheimdienst.
Die Abgeordnete weist darauf hin, dass der nun geleakte Bericht umfangreiche Schwärzungen enthält und fordert: „Das Land Hessen muss den kompletten Bericht offenlegen. Dies wäre das mindeste, was sie tun könnten, um ihren Teil zur Aufklärung beizutragen.“
Abschließend erklärt König-Preuss: „Gewalt, ebenso Waffenbezüge, sind konstitutiv für Neonazis und dienen zur Umsetzung ihrer tödlichen Ideologie. Dass dies ein Geheimdienst auch im Jahr 2014 nicht erkannte, macht deutlich, dass er entgegen seiner Namensgebung und zugesprochenen zuvordersten Aufgabe weder ein Schutz- noch ein Frühwarnsystem, sondern ein Teil des Problems ist.“