Im Rahmen der am Samstag in Eisenach veranstalteten Demonstration gegen Rechte Gewalt und Rassismus gab es auch einen Redebeitrag zur Situation in Saalfeld, den wir hier wiedergeben wollen. Der Wortlaut wurde uns freundlicherweise zur Dokumentation überlassen:
„Hallo Eisenach, manchmal muss etwas wanken, um wieder gerade gerückt zu werden.
Saalfeld, eine verschlafene 30.000 Einwohner*innen Stadt 30km südlich von Jena, war in den 90er Jahren wie auch die noch verschlafenere Nachbarstadt Rudolstadt mit der Anti-Antifa Ostthüringen und dem späteren Thüringer Heimatschutz ein Nazi-Hotspot und zu großen Teilen ein sicherer Hort für die damalige Nazisszene, aus der sich bekanntermaßen später der NSU entwickelte und stützte. Auch damals waren Antifa-Demos die größte Sorge weiter Teile der Gesellschaft. Zwischen Jena und Saalfeld liegt Kahla, ein Ort mit Naziwohnprojekt und kontinuierlichen Anschlägen auf alle Menschen und Einrichtungen die in das Angriffsraster der Nazis passen. Bei der Bundestagswahl 2017 lag die AfD im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt mit 27 Prozent knapp vor der CDU. Laut Thüringen Monitor haben im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt 23 Prozent rechtsextreme Einstellungen.
Seit Monaten häufen sich Übergriffe und Angriffe auf Antifaschist*innen im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt durch eine hochgradig gewaltaffine Gruppe von Neo-Nazis. Neben Eisenach war der Landkreis 2018 mit 18 Angriffen durch Rechtsextremisten auf Andersdenkende trauriger Spitzenreiter in Thüringen. Viele weitere Attacken werden jedoch bisher von den Betroffenen aus diversen Gründen nicht angezeigt, weswegen sie auch nicht in offiziellen Statistiken erscheinen. Ezra, die Beratungsstelle für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt, erfasste hingegen viele der Angriffe, welche auch die unterschiedlichen Ebenen der Gewalt widerspiegeln. Neben gewalttätig körperlichen Auseinandersetzungen sind zunehmend gezielte Einschüchterungen und Psychoterror Alltag. Dies führt mittlerweile dazu, dass sich vor allem viele Jugendliche vorsichtiger und aufmerksamer durch die Stadt bewegen oder einige Wege in der Nacht komplett meiden. Die Faschist*innen lauern Personen auf oder fahren mit dem Auto ziellos durch die Stadt, um eventuell ein potentielles Opfer zu treffen. Für die Angreifenden spielt es dabei keine Rolle, ob die Zielperson sich tatsächlich antifaschistisch engagiert oder einfach nur ein Konzert in vermeintlich linken Räumlichkeiten besucht hat.
Auch Minderjährige werden mit diesen Mitteln bedroht.
Immer wieder fallen bei den Übergriffen die beiden weit bekannten Neonazis Felix R. und Maximilian W. auf. Zu ihrem Klüngel gehören außerdem noch David H., Eric H. und David N. Dabei agieren sie nicht nur lokal, sondern fallen auch überregional auf: Zum Beispiel auf Demos des III. Weges. Felix R. und Maximilian W. waren zudem an den pogromartigen Ausschreitungen in Leipzig Connewitz am 11.01.2016 beteiligt.
Diese Gruppierung trat seit Anfang 2016 mit weiteren Faschos aus Kahla als Neuauflage der Anti-Antifa Ostthüringen auf. Wir erinnern uns: Im Jahre 1994 entstand damals die Anti-Antifa Ostthüringen, aus der wiederum der Thüringer Heimatschutz hervorging und in der Mordserie des NSU und seines Unterstützungsnetzwerkes gipfelte. Nun geht die ganze Scheiße scheinbar wieder von vorne los… denn Teile der neu gegründeten Anti-Antifa Ostthüringen radikalisieren sich. In den letzten Jahren haben diese Akteure eine weitreichende Vernetzung aufgebaut und sind maßgeblich an z. B. der Organisation der größten Nazikonzerte und Rechtsrock-Festivals der letzten Jahre beteiligt. So stellte David H. aus Saalfeld im Jahr 2016 sein Konto zur Verfügung für die Tickets der Veranstaltungen ‚Rock gegen Überfremdung‘ in Kirchheim bei Erfurt sowie das Schweizer Nazi-Konzert in Unterwasser mit ca. 5000 Besucher*innen. Maximilian W. stellte ebenfalls sein Konto für ‚Rock gegen Überfremdung II‘ in der Südthüringer Kleinstadt Themar zur Verfügung. Im Sommer 2017 feierten dort ca. 6000 Nazis aus ganz Europa. Unter den Augen der Polizeikräfte zeigten hunderte Konzertteilnehmer*innen den Hitlergruß. Weiterhin sind sowohl H. als auch W. Mitglieder des Schlägertrupps „Turonen/Garde 20“, welche sich immer wieder als Security und Saalschutz bei einschlägigen faschistischen Events betätigt und nicht vor Waffengebrauch zurückschrecken. Ebenso wurde von den Turonen Geld gesammelt, um die Schläger, welche eine Kirmesgesellschaft in Ballstädt überfallen haben, vor Gericht im so genannten Ballstädt-Prozess, zu unterstützen.
Seit Jahren vernetzt sich die regionale Naziszene mit anderen Gruppen und Strukturen außerhalb der Region Saalfeld-Rudolstadt. Zuletzt fielen Felix R. und Eric H. am 19. Februar 2019 in Eisenach auf, als sie den ‚braunen local hero‘ Kevin N. zum Gerichtsprozess begleiteten und ihn unterstützen. Auch an bundesweiten Nazi-Veranstaltungen, wie dem ‚Kampf der Niebelungen‘, nehmen sie teil und pflegen regelmäßig ihre Kontakte.
Aha, Oho, da ist eine Spur.
Von wem kann sie sein?
Wohin führt sie nur?
– In die Zivilgesellschaft zu Otto Normalo von nebenan, der geht auch zum Fitness dann und wann.
Dass die Zivilgesellschaft sich nicht entschieden von Nazis trennt, zeigt sich unter anderem am Verhalten des größten Sportvereins in Saalfeld, dem 1. SSV Saalfeld. Einige der eingangs erwähnten Nazis werden dort von einem ebenfalls rechten Trainer im Kampfsport unterrichtet. Nach Veröffentlichung von Recherchen hat der Verein nur mit einer 2-wöchigen Sperre reagiert. Teile der lokalen Politik möchten sich nicht näher damit befassen, denn der Verein bezieht Fördergelder und genießt in der Boxförderung und im gesellschaftlichen Leben in Saalfeld hohes Ansehen.
Dies ist jedoch kein Einzelfall.
Im Saalfelder Gym des amtierenden Kickboxweltmeisters John Kallenbach trainiert seit Jahren Kevin G., dessen rechte Gesinnung weithin bekannt ist. G. hat u. a. an Kampfturnieren wie dem TIWAZ oder dem ‚Kampf der Nibelungen‘ 2018 in Ostritz teilgenommen. Zudem gibt es ein Video, das ihn auf einer Bernd Höcke-Veranstaltung zeigt.
Der Partner des Kickboxweltmeisters ist das rechte ‚Label 23‘ aus Cottbus.
Die Bekundungen zu einer offenen Gesellschaft durch Kallenbach wirken ohne eine öffentliche Distanzierung und Auseinandersetzung mit den Verknüpfungen mit der rechte Szene, von der er angeblich nichts gewusst habe, wie leere Worthülsen. Nach wie vor hält Kallenbach weiterhin an dem rechten Kampfsportler Görke fest. Verstörenderweise kommt hinzu, dass der Saubermann Kallenbach bei einer Anti-Drogen Kampagne und einer Kampagne für „Gewaltfreiheit, Menschlichkeit, Nächstenliebe und ein demokratisches Miteinander“ mitwirkt.
Der Kickboxweltmeister mit Nazis im ‚Invictus Gym‘ wird also für seine Gewaltfreiheit und ein demokratisches Miteinander gehypt oder gar gefördert.
In den aufgezeigten Kampfsportkreisen mit ihrem überzogenen Männlichkeitspathos wird der gleiche Maskulinitätsfetischismus bedient, wie er im Männerfußball häufig vorkommt.
Konkret bedeutet dies, das lokale Nazis mit Hooligans trainieren und deren vorhandenen Räume und Strukturen nutzen.
Ganz besonders werden Kontakte in die rechte Hooligan-Szene des FC Rot-Weiß-Erfurt, z. B. Kategorie Erfurt und Jungsturm, gepflegt. Auch zu Vereinen wie dem Halleschen Fußballclub und Lok Leipzig werden Verbindungen hergestellt.
Vor wenigen Wochen ereignete sich ein Überfall auf eine Gruppe FC Carl Zeiß Jena Fans in einer Bowlingbahn im Saalfelder Stadtteil Gorndorf. Unter den ca. 20 rot-weiß maskierten Angreifern waren auch einige schwarz-weiß-rote Sturmhauben. Bei diesem Überfall wurde wahllos auf teilweise Minderjährige eingeschlagen. Bowlingkugeln, Gläser und Aschenbecher sind geflogen.
Anfang Dezember trug sich am Saalfelder Bahnhof ein ähnlicher Überfall zu. Dort lauerten 60 Hooligans aus Erfurt und Halle den Jena Fans bei ihrer Heimreise auf. Mehrere Personen wurden bei diesem Angriff zum Teil schwer verletzt.
Rechte Hools und Ultragruppen funktionieren fast wie Unternehmen. Durch Verkauf von Szenekleidung und anderen Fanutensilien erwirtschaften sie Geld, welches wiederrum für ihre Strukturen benutzt wird, sei es für Sporträume oder Unterstützung bei Verurteilungen. Es ist und bleibt eine gefährliche Entwicklung. Gerade hier in Thüringen wird dies oft noch stark unterschätzt und nicht ausreichend beleuchtet.Es werden z. B. klar antisemitische Verunglimpfungen wie „Juden Jena“ in keinen politischen Kontext gestellt und ausschließlich rivalisierenden Fußballgruppen zugeschoben.
Es bleibt dabei, dass wir Nazis und ihren Strukturen immer und überall entgegen treten müssen! Ob in Saalfeld-Rudolstadt, Wurzen oder Eisenach. Wir können uns dabei weder auf staatliche Institutionen, noch auf die Zivilgesellschaft verlassen, die leider viel zu oft den Kopf einzieht oder es nicht schafft, klare Kante zu zeigen. Wenn uns Nazis auf der Straße angreifen, müssen wir dafür sorgen, dass sie es nie wieder tun! Mit der Bedrohung durch Nazis bleiben wir ohne gegenseitige Unterstützung alleine. Es hilft nur ein starker Antifaschistischer Selbstschutz, der Aufbau lokaler Supportstrukturen, überregionale Solidarität und das Wachrütteln der Öffentlichkeit. Und solange gegen eine so unglaublich wichtige Antifa Demonstration, wie diese hier, von Seiten der lokalen ‚Zivilgesellschaft‘ Stimmung gemacht wird, bleibt uns nichts anderes übrig als zu sagen: Eisenach – Kümmere dich um dein Naziproblem und hetz nicht gegen diejenigen, die dagegen aufbegehren!“