In der heutigen Innenausschuss-Sitzung des Berliner Abgeordnetenhauses bestätigte sich der Verdacht, dass das Berliner Landeskriminalamt eine weitere V-Person in der Neonazi-Szene führte, die sich im Umfeld des NSU bzw. dessen Unterstützern bewegte. Ebenso bestätigt wurde, dass Beamte des Berliner LKA die V-Person in Thüringen aufgesucht haben. Katharina König, Sprecherin für Antifaschismus der Linksfraktion im Thüringer Landtag und Mitglied des NSU-Untersuchungsausschusses, kritisiert die schleppende Aufarbeitung: „Die Berliner Behörden mauern zu dem Vorgang und versuchten heute mit dem Verweis auf Quellenschutz, die Aufklärung zu behindern, dabei geht es hier unseres Erachtens weniger um den bereits bekannten Namen der V-Person als um die ernsthafte Frage, ob Ermittlungsbehörden versucht haben, einen möglichen Zeugen vor einer Befragung im Untersuchungsausschuss zu beeinflussen.“ Der Stein kam ins Rollen, nachdem Frau König am vergangenen Freitag mit einer Pressemitteilung auf den Verdacht ihrer Fraktion aufmerksam machte. Nach den in Thüringen vorliegenden Informationen könnte es sich bei dem vermeintlichen Szeneaussteiger Nick Greger um einen zweiten V-Mann (bzw. VP) des Berliner Landeskriminalamtes gehandelt haben. Bereits 2012 war bekannt geworden, dass der Ex-Freund von Beate Zschäpe, der Chemnitzer Neonazi Thomas S., als V-Mann für das Berliner Landeskriminalamt gearbeitet hatte.
Greger hatte u.a. erst im Dezember 2013 in einem Videointerview berichtet, dass er um den 31. Oktober 2013 Besuch von zwei Beamten des Berliner LKAs in Pößneck bekommen hatte. Diese hätten ihn bedroht, nicht vor einem Untersuchungsausschuss zum Brandenburger Verfassungsschutz-Spitzel „Piatto“ auszusagen und zugesichert, dass man die Altakten zu Greger bzw. dem V-Mann „Piatto“ „so gut es ging“ geschwärzt hätte. Auf Antrag der Berliner Linksfraktion im Abgeordnetenhaus wurde heute das Thema zumindest kurz im Innenausschuss behandelt. Der Besuch von Beamten des Berliner LKA bei einer ehemaligen Vertrauensperson wurde bestätigt, weitere Details müssten noch geprüft werden, so die Ergebnisse der heutigen Sitzung. Innensenator Henkel hatte innerhalb der Sitzung die Opposition als „widerlich und erbärmlich“ dargestellt, da sie solche Nachfragen auf dem Rücken der NSU-Opfer stelle.
„Auch wenn die Berliner Behördenvertreter heute nur sehr wenig Substanzielles von sich gaben, allein das, was geäußert wurde, ist schon sehr bezeichnend“, so König, die den Verdacht ihrer Fraktion bestätigt sieht. Die Landtagsabgeordnete fordert die Thüringer Behörden zum Handeln auf, die nun aktiv werden müssten, um u.a. der Frage nachzugehen, ob im Thüringer Zuständigkeitsbereich durch eine fremde Polizeibehörde auf einen ehemaligen Spitzel eingewirkt wurde, der möglicherweise Angaben zum NSU-Komplex bzw. dem im Umfeld eingesetzten V-Mann „Piatto“ hätte machen können. „Piatto“ soll damals von der Bewaffnung des Trios gewusst haben.
Die Unterstellungen von Senator Henkel wertet Frau König als „unverschämt“, er diskreditiere – aus Angst um einen erneuten V-Mann-Skandal in Berlin – das berechtigte Interesse an parlamentarischer Aufarbeitung.
Frau König ist irritiert über den fehlenden Aufklärungswillen der Berliner Innen- bzw. Polizeibehörde und hält weitere Nachforschungen angesichts der Umstände des ominösen Berliner Polizeibesuchs in Thüringen für unerlässlich. Besonders der Zeitpunkt der angeblichen Quellen-Kontaktierung sei erstaunlich.
„Sollte es zutreffen, dass die Berliner LKA-Beamten um den 31. Oktober 2013 in Thüringen waren und dort ihren ehemaligen Informanten aufforderten, auf bestimmte Aussagen vor einem NSU-Untersuchungsausschuss zu verzichten, so können damit nur der Thüringer oder der sächsische NSU-Untersuchungsausschuss gemeint gewesen sein, da die Ausschüsse im Bund und in Bayern zu diesem Zeitpunkt ihre Arbeit bereits beendet hatten“, so Frau König. Es wäre „ein Skandal für sich, wenn sich ein weiteres Mal herausstellt, dass eine Sicherheitsbehörde erneut einen äußerst militanten Neonazi als bezahlten Spitzel führte“. Aber sollte sich der Vorwurf der aktiven Zeugenmanipulation als zutreffend erweisen, „dann müssen entsprechende Konsequenzen folgen“, verlangt Frau König.
Fraglich sei nun auch, in wie vielen anderen Fällen es ebenso zu solchen Polizeibesuchen des Berliner LKA bei ehemaligen Spitzeln mit NSU-Bezug gekommen ist. Der Vorfall werfe auch ein neues Licht auf die bereits enttarnte Quelle 562, alias „Thomas Starke“, welcher das Jenaer Trio mit Sprengstoff belieferte und bei der Flucht half. „Hat auch Starke einen LKA-Besuch aus Berlin bekommen, bei dem möglicherweise bestimmte Aussagen abgestimmt werden sollten?“, fragt König.
Hier geht’s zur ersten Pressemitteilung: Weiterer militanter Neonazi als V-Person bei der Polizei geführt? Thüringer Linksfraktion fordert Aufklärung von Freitagmittag, dem 27. Januar 2014. Eine weitere Sondersitzung zum Fall Nick Greger ist geplant. Nach Angaben der Berliner Zeitung wollen sich die Mitglieder des Ausschusses nun am Donnerstag dem 30. Januar 2013 im sogenannten Geheimschutzraum des Parlaments treffen, um vertrauliche Akten zur V-Person einzusehen.
(Foto via AIB)