Mit über 4000 Besuchern und rund 300 Speakern an drei Tagen war auch die re:publica 2012 der Superlativ unter den Veranstaltungen zu Netzpolitik und -kultur in Deutschland. Es gibt nichts Vergleichbares. Nirgends sind die Themenbereiche so weit gestreut und kommen so unterschiedliche Menschen zusammen, um sich mit den modernen Medien und ihrer Auswirkungen auf die Gesellschaft und Kultur zu beraten.
Es ließen sich in diesem Jahr drei Schwerpunkte im Bereich der Netzpolitik erkennen, die für die nahe Zukunft zentral sein werden: Zum einen bildet das Dauerthema Urheberrecht immer noch die Grundlage für eine Reihe von Diskussionen, und es spielt auch bei den anderen Schwerpunkten offensichtlich eine Schlüsselrolle. Eine grundlegende neue Sichtweise ist zum Thema Urheberrecht allerdings nicht in Sicht. Hier geht es darum, Wege zu finden, die gängige Praxis des Kopierens, statt zu kriminalisieren, in einen angemessenen Ausgleich zwischen Urhebern und Nutzern zu überführen. Alle bekannten Modelle haben allerdings Vor- und Nachteile. Wobei es zu bedenken gilt, dass es so etwas wie Kulturflatrates bereits gibt. Dirk van Gehlen verweist nicht zu Unrecht etwa auf Dienste wie Spotify und sieht ähnliches auch in Angeboten von Apple und Amazon.
Cybercrime oder Cyberwar ist ein weiterer zentraler Punkt, denn überall wird an neuen Gesetzen in diesem Bereich gearbeitet – allen voran in den USA und der EU. Interessant ist, dass diese Gesetze in ihrer Ausgestaltung nach Meinung von Experten nur bedingt dazu dienen können, zur IT-Sicherheit beizutragen. Immer wieder finden sich in den vorliegenden Entwürfen Ideen, die eher auf die Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen ausgelegt sind, als Attacken und das Eindringen von Unberechtigten auf IT-Systeme verhindern zu können.
Ein Vertreter des ChaosComputerClubs, der direkt an Verhandlungen der EU beteiligt war, wies darauf hin, dass hinter diesen Gesetzen einzig die Vorstellung steht, mehr angedrohte Strafe bedeutet mehr Sicherheit. Dies aber ist natürlich eine unsinnige Vorstellung, wie nicht zuletzt die Entwicklung der letzten Jahre gezeigt hat.
Um tatsächlich eine Verbesserung im Bereich der IT-Sicherheit zu erreichen, müssten die Gesetze viel mehr darauf abzielen, dass Hersteller von Soft- wie Hardware mehr Verantwortung für ihre eigenen Produkte übernehmen müssen. Diese können sich durch einfache Klauseln in den Nutzerlizenzen ihrer der Verpflichtung entziehen, etwas zur Sicherheit beizutragen. Die Ergebnisse, die von der EU zu erwarten sind, zeugen eher von einem Aktivismus, als von Sachverstand: Hauptsache wir haben etwas getan. Besonders bedenklich sind etwa Bestrebungen in der EU, „hacker devices“ illegalisieren zu wollen. Denn was genau diese sein soll ist völlig schleierhaft. Letztlich könnte darunter jeder Computer und jedes Smartphone fallen. Außerdem ist ein Verbot irgendwelcher technischer Geräte dann fragwürdig, wenn die damit ausführbaren Manipulationen sowieso gesetzlich untersagt sind.
Aber entscheidend dürfte wohl die Frage nach der Infrastruktur des Netzes sein. Wer das Netz besitzt und kontrolliert ist zwar auch eine Frage der angebotenen Software-Plattform und die Kontrolle, die etwa Facebook, Google und Twitter ausüben nimmt bedenkliche Formen an. Dies ist jedoch nur ein Layer im vielschichtigen Netz. Immer wieder ist auch auf der re:publica darauf hingewiesen worden, welche enorme Bedeutung es hat, wo Server lokalisiert sind, welcher Provider den Zugang zum Internet gewährleistet oder mit welcher Technik. Denn all diese Stellen bieten Ansatzpunkte der Zensur, der Überwachung, der Verletzung der Netzneutralität und der Manipulation. Und je mehr Bedeutung das Internet für demokratische Prozesse bekommt, umso wichtiger ist die Gewährleistung eines freien Zugriffs darauf.
Zur Debatte über die Infrastruktur muss es deshalb auch gehören, wie wir jedem Menschen ein Recht auf den Zugang zum Internet gewähren. Es reicht dabei nicht, auf die Kraft des Marktes zu vertrauen, wie das die Regierungen in Land und Bund viel zu lange getan haben. Bezahlbares und in der Bandbreite angemessenes Internet muss ein Grundrecht für alle Menschen darstellen, für dessen Gewährleistung im Zweifelsfall der Staat einspringen muss. Als einem ersten Schritt hat die Linksfraktion im Bundestag bereits die Anerkennung eines internetfähigen PC als Teil des soziokulturellen Existenzminimums gefordert. Einer Ausgrenzung gerade finanziell schwacher Menschen von der Teilhabe am politischen, kulturellen und sozialen Leben soll damit entgegen gewirkt werden.
Die Netzinfrastruktur gehört eigentlich in die Hand der Bevölkerung, der User. Auf der Re:publica ist wiederholt die Idee einer gemeinützigen AG/GmbH angeführt worden, welche als „volkseigenes“ Unternehmen agieren sollte und so die Entwicklung und Sicherstellung der Infrastruktutr übernehmen könnte. Wie allerdings ein solches Unternehmen realisiert werden könnte, blieb völlig offen. Eine viel versprechende Möglichkeit wären dezentrale, weil zum Beispiel kommunal organisierte Genossenschaften – eine mögliche Alternative zu einem zentralisierten Staatsmodell.
Dezentralisierung ist aber auch bei den Plattformen angesagt. Der Herde auf Facebook und Twitter folgen, ist offensichtlich out. Mit Diaspora entwickelt sich eine Alternative im OpenSource-Bereich. Und es deutet sich wohl an, dass andere folgen. Aber es gibt auch einen Wandel in der Nutzung solcher sozialer Netze. Gerade wer kreativ sein will, nutzt Social Media quasi nur noch als Plattform für Werbung und Marketing. Die Ansage auf der #RP12 ist eindeutig: Das kleine Blog, die kleine Website lebt und wird gebraucht.