Auf openpetition.de läuft derzeit eine Petition unter der Überschrift „Neonazi-Aufmärsche in Dresden: Gegendemonstrationen anerkennen statt kriminalisieren!“ Klingt erstmal annehmbar, liest man sich jedoch die Petition (genau) durch, dürfte sie nicht mehr unterzeichbar sein – zumindest nicht für sich als antifaschistisch verstehende Menschen oder auch für alle, die den Aufruf des Bündnisses „Dresden nazifrei“ unterzeichneten bzw. diesem Aufruf folgten.
Warum?
In der Petition heißt es:
„Trotz eines erschütternden Gewaltausmaßes von rechts- und linksextremistischer Seite am Rande der Gegendemonstration ist der 19. Februar ein Erfolg für die Stadt Dresden und die Demokratie“
Die hier erfolgte Bewertung von Aktionsformen gegen Nazis, welche abseits der Blockaden stattfanden, leitet die Entsolidarisierung ein. Der Satz des Bündnisses „Dresden nazifrei“ : „Wir sind solidarisch mit allen, die mit uns das Ziel teilen, den Naziaufmarsch zu verhindern. Wir werden uns weiterhin bei Versuchen der Kriminalisierung solidarisch zueinander verhalten.“ scheint keine Bedeutung zu haben. Ebenso setzen die Unterzeichner_innen brennende Mülltonnen mit dem Angriff von ca 150 Nazis auf das Wohnprojekt „Praxis“ in Dresden gleich. Für die Unterzeichner_innen scheint alles dasselbe, alles eins zu sein. Die entpolitisierende Gleichstellung vermeintlich gleichwertig zu behandelnder „Gewalt“ von links und rechts beinhaltet schließlich auch eine politische Gleichsetzung und damit die Verharmlosung der faschistischen Ideologie bei gleichzeitiger Deligitimierung von Teilen der internationalen antifaschistischen und linken Bewegung. Die Ursachen kollektiver Eskalationen bei Versammlungen müssen vordergründung im Auftreten und Vorgehen der Polizei gesucht werden. Einseitige Schuldzuschreibungen gegen „Linksextremisten“ verkennen die Wirkung von berechtigten Emotionen wie Ohnmacht, Enttäuschung, Angst und Wut.
Weiter heißt es in der Petition:
„Von ihrer Stadtregierung fühlen sich viele Dresdnerinnen und Dresdner indes im Stich gelassen – und, was schwer zu ertragen ist, in eine Reihe mit Kriminellen gestellt.“
Schwer zu ertragen ist es für die Unterzeichner_innen, in eine Reihe mit Kriminellen gestellt zu werden. Da im Vorfeld dieser Äußerung keine Eingrenzung stattfindet bezieht sich dieser Satz logischerweise wiederum auf die von den Petitionsersteller_innen so bezeichneten Rechts- und Linksextremisten – erneut die Gleichsetzung. Damit stimmen sie gleichzeitig der bereits erfolgten und weiterhin stattfindenden Kriminalisierung zu: sei es der laut Berichten martialischen Durchsuchung von Räumlichkeiten des Bündnisses „Dresden nazifrei“ oder des Jugendvereins „Roter Baum“ e.V. Zur Durchsuchung heißt es bei „Dresden nazifrei“:
„Am Abend des 19. Februar stürmte ein Sondereinsatzkommando der Polizei maskiert und in voller Kampfausrüstung das „Haus der Begegnung“ in Dresden, sowie das Haus des Jugendvereines „Roter Baum“ e.V. ( http://www.roter-baum.de). Dabei wurden sämtliche Türen des Hauses zerstört und die Einrichtung verwüstet. Mehrere Personen wurden durch das äußerst aggressive und völlig unverhältnismäßige Vorgehen des Sondereinsatzkommandos verletzt. Anschließend mussten sie sich nackt durchsuchen lassen, wurden mehrere Stunden gefesselt festgehalten, dann schließlich in Gewahrsam genommen und erkennungsdienstlich behandelt.
Das Jugendhaus wurde von jungen Sanitätern genutzt, welche die Demonstrationen am 13. und 19. Februar 2011 begleitet haben, um Verletzten unparteiisch und ehrenamtlich zu helfen. Durchsucht wurde das Gebäude nach letzten Angaben des LKA wegen des Verdachts, dass von dort aus Gewaltstraftaten koordiniert worden seien.“
Dieser Kriminalisierung wird seitens der Petitionsunterzeichner_innen Recht gegeben. Ebenso wie den jetzt laufenden Verfahren gegen Menschen, welche am 19. Februar mit verschiedenen Protestformen den Aufmarsch der Nazis verhinderten aber auch den Ermittlungsverfahren nach §129 (Bildung krimineller Vereinigungen), welche gegen Teile des Bündnisses „Dresden nazifrei“eingeleitet wurden.
In der Petition heißt es weiter:
„Brennende Müllcontainer, aufgerissene Straßen, fliegende Pflastersteine – diese Bilder vom 19. Februar dieses Jahres bleiben haften. Doch diese Bilder zeigen nicht einmal die halbe Wahrheit. Denn die weit überwiegende Zahl der Gegendemonstranten war friedlich und fühlte sich in der fragwürdigen Gesellschaft von Linksautonomen nicht sonderlich wohl.“
Spätestens an dieser Stelle wird die Grenze zwischen „guten Demonstranten“ und „bösen Demonstranten“ gezogen. Die angebliche überwiegende Anzahl der Gegendemonstranten war friedlich – nach ihrer Definition – und fühlte sich nicht wohl dabei, dass sich unter ihnen „Linksautonome“ befanden. Die Abgrenzung stellt gleichzeitig den „Fingerzeig“ auf die „bösen Demonstranten“ dar – die da waren es, die da könnt, sollt, müsst ihr mit Repressionen überziehen, verhören, verhaften, verurteilen. Uns nicht. Wir sind die guten Demonstranten.
Und weiter:
„Dazwischen liegen aber mehr als nur ein paar Grautöne, dazwischen liegt die erfolgreiche Verhinderung von nunmehr drei Naziaufmärschen durch friedfertige Bürger dieser Stadt in den vergangenen zwölf Monaten.“
Inwieweit es nur die Blockaden waren, die die Naziaufmärsche verhinderten und inwieweit es nur die friedfertigen Bürger Dresdens waren, die dies erreichten, sei dahingestellt.
Und endlich kommt die Petition zur Extremismustheorie des Verfassungsschutzes, der mit folgendem Satz voll und ganz zugestimmt wird:
„Bürger, die friedlich versuchen, die Straßen nicht Rechts- und Linksradikalen zu überlassen, sind keine Extremisten! Es ist nicht so, dass sie sich dies ausgesucht hätten – sie fühlten sich als Demokraten dazu verpflichtet.“
Ja, genau. Links das Böse, rechts das Böse und in der Mitte das Gute.
Das Bündnis „Dresden nazifrei“ fordert Solidarität gegen Repression:
Nachdem wir mit eurer Hilfe erneut erfolgreich den Naziaufmarsch in Dresden verhindert haben, werden wir uns nun vor allem mit den zahlreichen Repressionen beschäftigen. Mehr als 150 Demonstrant_innen wurden letzten Samstag verletzt, vielen weiteren droht ein Verfahren. Das Bündnis „Dresden Nazifrei!“ ist solidarisch mit allen, die im Zusammenhang mit dem 19. Februar von Repressionen betroffen sind, z.B. dem Jugendverein „Roter Baum“ e.V., dem alternativen Wohnprojekt „Praxis“ und den Opfern von Polizeigewalt. Auch nach den Blockaden stehen wir zusammen. Wir lassen uns nicht spalten!
Dieser Forderung sollte man sich anstelle der Petition anschließen.