Katharina König-Preuss, Sprecherin für Digitalisierung und Netzpolitik der Fraktion Die Linke, erhebt schwere Vorwürfe gegen die Thüringer Landesregierung im Zusammenhang mit der geplanten Videoüberwachung auf dem Erfurter Anger: „Erst wird die Überwachung öffentlichkeitswirksam für den kommenden Montag angekündigt, dann kurz vor der Scharfschaltung wieder abgeblasen, weil die vorbereitete Installation noch gar nicht ausgereift ist. Erst erklärt der Innenminister im Landtag, eine KI-Überwachung der Menschen auf dem Anger sei gar nicht vorgesehen. Dann kommt ans Licht, dass genau das heimlich längst auf dem Papier vorbereitet wurde. Außerdem wird bekannt, dass dafür sogar überteuerte Kameras für 720.000 Euro gekauft wurden, die für den Einsatz von KI-Verhaltensanalyse ausgelegt sind, was in Thüringen aber illegal wäre. Dieses Hin und Her, das Verstecken, Verschweigen und Verwässern ist nicht nur ein politischer Offenbarungseid, es ist dilettantisch. Eine Regierung, die so chaotisch und handwerklich miserabel agiert, sollte nicht auch noch tief in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger eingreifen dürfen. Ein Verschieben der Überwachung allein ist nicht sachgerecht, die Regierung muss das Projekt vollständig auf Eis legen.“
König-Preuss macht darauf aufmerksam, dass der Innenminister in der Landtagssitzung am 14. Mai 2025 auf die Frage, ob die Landesregierung derzeit in Thüringen und auch auf dem Anger eine illegale KI-Verhaltenserkennung per Gesetzesänderung legalisieren wolle, antwortete: ‚Es ist meines Erachtens nicht beabsichtigt‘. Und auf die Frage, ob die polizeiliche Kameraüberwachung ohne Richtervorbehalt stattfinden solle, sagte er: ‚Das kann ich so nicht bestätigen.‘ Die Abgeordnete dazu: „Heute müssen wir feststellen: Beides entspricht nicht der Wahrheit. Entweder wurde das Parlament gezielt getäuscht oder der Minister hat sich schlicht nicht mit den eigenen Vorhaben befasst. Beides ist gleichermaßen gefährlich.“
Sie verweist auf einen der Fraktion vorliegenden Entwurf für ein neues Polizeiaufgabengesetz aus dem Innenministerium: „Darin steht schwarz auf weiß, dass der Minister plant, die Videoüberwachung an Orten wie dem Anger mit einer KI-basierten Verhaltensanalyse zu koppeln. Ziel ist es, Bewegungs- und Verhaltensmuster automatisiert auszuwerten. Im Plenum betonte der Minister noch, man dürfe ‚nicht den Schritt machen wie autoritäre Systeme, namentlich China und Russland‘. Aber einen ähnlichen Weg erleben wir nun in seinen Vorbereitungen. Zehntausende Menschen, die sich nichts zuschulden kommen lassen, sollen auf dem Anger dauerüberwacht und analysiert werden, eine KI soll dann nach den Regierungsplänen ihre Gefährlichkeit bewerten. Das ist mit einer freiheitlichen Demokratie weder vereinbar noch technisch ausgereift, wenn etwa Umarmungen durch die KI als Schlagen eingeordnet werden und Menschen plötzlich in den Fokus polizeilicher Maßnahmen geraten.“
Die Abgeordnete weiter: „Wenn die CDU auf rund 1.000 Straftaten auf dem Anger verweist, dann sollte man sich ehrlich machen: Da wo viele Menschen zusammenkommen, kommt es auch zu Konflikten, und ja, auch zu Körperverletzungen. Aber wer verschweigt, dass diese teils auch aus Wohnungen von zehn angrenzenden Straßen oder Clubs mit einbezogen werden und dass 2023 insgesamt 63 Prozent aller Anger-Delikte Diebstähle und Betrugsdelikte waren, vielfach auch Ladendiebstähle und Schwarzfahren im ÖPNV, der informiert nicht wahrheitsgemäß, sondern selektiv und täuscht damit. Die Videoüberwachung zehntausender Menschen auf dem Anger ist kein geeignetes und verhältnismäßiges Mittel, gerade auch wenn es effektivere Methoden zur Gefahrenabwehr gibt.“
Weiter erklärt König-Preuss: „Für teures Geld wurden Hightech-Kamerasysteme beschafft, bei denen die KI-Funktion künftig jederzeit per Lizenzschaltung aktiviert werden kann, obwohl im Stadium der Beschaffung bereits klar war, dass ein solcher Einsatz unzulässig wäre. Solch vorsorgliches Aufrüsten am Rechtsstaat vorbei ist ein direkter Angriff auf unsere Grundrechte. Was passiert, wenn man solche Systeme im öffentlichen Raum einsetzt, sehen wir zum Beispiel in Ungarn. Dort wird KI-gestützte Videoüberwachung gezielt gegen Menschen eingesetzt, die ihr Recht auf Versammlungsfreiheit wahrnehmen. Wer demonstriert, riskiert Bußgelder. Wer glaubt, das könne hier nicht geschehen, unterschätzt die Dynamik dieser Technologien und die Interessen der Überwacher.“
Abschließend stellt sie klar: „Auch in Erfurt gefährdet diese Form der Überwachung das Recht auf Versammlungsfreiheit, ganz gleich ob eine KI-Verhaltensanalyse im Juli oder erst später freigeschaltet werden sollte. Dass man überhaupt damit plant und Fakten schaffen will, ist das Problem. Auch die Behauptung, man wolle bei Versammlungen die Kameras ausschalten, ist äußerst fraglich, die versammlungsrechtliche Praxis funktioniert gerade so, dass Demonstrationen nicht immer über Monate vorher angemeldet werden, sondern es zu kurzfristigen, auch tagesaktuellen politischen Meinungskundgebungen kommt, durch Spontan- und Eilversammlungen, Flashmobs, kleinere Aktionen mit Transparenten und Schildern. Es ist völlig absurd anzunehmen und darauf zu vertrauen, dass dann jemand die Kameras ganz sicher schon deaktivieren würde, zumal das für Außenstehende weder wahrnehmbar noch überprüfbar wäre. In autoritären Staaten ist es bereits Alltag, dass Menschen durch Kameras und KI in ihrem Verhalten analysiert und bewertet werden. Dass eine demokratische Landesregierung in Thüringen bereit ist, mit Halbwahrheiten, bewusst vagen Aussagen und einem KI-System auf Standby diesen Weg zu beschreiten, ist alarmierend. Wer das zulässt, sägt selbst an der demokratischen Substanz dieses Landes. Ich fordere die Landesregierung aus CDU, BSW sowie SPD und konkret Minister Maier auf, dieses Überwachungsprojekt vollständig zu stoppen!“