„Auch drei Jahre nach dem zweifach vollendeten Mord und dem 68-fach versuchten Mord in der Synagoge im Hallenser Paulusviertel gehören antisemitische Ressentiments, Bedrohungen bis hin zu Angriffen auf Jüdinnen und Juden in Deutschland, aber auch in Thüringen weiterhin zur Realität. Der jüngste Angriff auf die Synagoge in Hannover, eine Vielzahl von antisemitischen Verschwörungserzählungen und Symboliken bei Protesten im Zusammenhang mit Coronapandemie und Energiekrise in Thüringen sowie eine ganze Reihe an antisemitischen Straftaten im Freistaat machen deutlich, dass wir extremen Handlungsbedarf haben, sowohl gesellschaftlich aber auch bei Politik, Verwaltung und Sicherheitsbehörden. Es braucht ein stärkeres präventives Vorgehen vor allem gegen antisemitische Verschwörungserzählungen in der Fläche und eine konsequente Strafverfolgung. Es muss Ziel sein, dass Jüdinnen und Juden keine Angst vor Bedrohungen oder Angriffen mehr haben. Das Bayern einen auf Antisemitismus spezialisierten Staatsanwalt einsetzt, ist ein richtiger Weg, in Thüringen haben wir aber ein derart massives Problem mit antisemitischer, rechter und rassistischer Kriminalität, dass die Einrichtung einer „Schwerpunktstaatsanwaltschaft Hasskriminalität“ endlich erfolgen muss“, so Katharina König-Preuss, Sprecherin für Antifaschismus der Fraktion DIE LINKE im Thüringer Landtag.
König-Preuss verweist auf über 212 antisemitische Vorfälle, die alleine die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) Thüringen für 2021 erfasst hat, von denen über 132 den Behörden 2012 bekannt gewordenen Straftaten auch offiziell als antisemitisch eingeordnet wurden. Vor wenigen Tagen hat die Landesregierung eine Kleine Anfrage der Abgeordneten zur Verharmlosung des Nationalsozialismus durch gelbe „ungeimpft“-Sterne im öffentlichen Raum beantwortet. „Zwischen Herbst 2021 und Oktober 2022 wurden in vier Fällen Ermittlungen wegen solcher Symbole aufgenommen, einmal wurde das Verfahren eingestellt, einmal dauern die Ermittlungen an, einmal wurde Antrag auf Erlass eines Haftbefehls gestellt und in einem Fall eine Anklage erhoben. Die vier Vorfälle aus den LPI-Bereichen Erfurt, Gotha und Saalfeld sind nicht einmal die Spitze des Eisbergs und bilden nur einen Bruchteil der tatsächlichen Vorfälle ab. Viel zu lange schon können extrem Rechte, radikale Querdenker und Verschwörungserzähler weitgehend ohne Konsequenzen ihre antisemitische Hetze verbreiten“, ordnet König-Preuss diese Zahlen ein.
Die Abgeordnete weiter: „Wie schnell sich aus Worten auch Taten entwickeln, ist vergangenes Jahr deutlich geworden, als mehrere Körperverletzungsdelikte erfasst wurden, weil Menschen wegen ihres jüdischen Glaubens oder einer solchen Zuschreibung in Thüringen tätlich angegriffen wurden. Das ist unerträglich!“ König-Preuss mahnt, den im Jahr 2018 – ein Jahr vor dem Anschlag in Halle – im Landtag gemeinsam erzielten Beschluss „Antisemitismus in Thüringen konsequent bekämpfen“ auch umfassend in Thüringen umzusetzen. Die demokratischen Fraktionen waren sich darin einig, alle Formen des Antisemitismus zu ächten und „alles Nötige (zu) tun, damit jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger in Thüringen keine Angst vor Anfeindungen und Übergriffen haben müssen. Wir werden alles Nötige tun, damit antisemitisch motivierte Hasskriminalität konsequent geahndet und bestraft wird“ (Beschluss Drucksache 6/5886)
Dazu gehöre einerseits: Keine Zusammenarbeit der demokratischen Fraktionen mit den „Bürgern für Thüringen“ im Thüringer Landtag, welche antisemitischen Ausfällen bei sogenannten Corona-Protesten ähnlich der AfD Vorschub geleistet haben. Andererseits ist der Beschluss ein Appell an die ganze Gesellschaft, konsequent Widerspruch bei den derzeitigen Protesten zu erheben, wenn dort erneut wie in den letzten Wochen geschehen antisemitische Ressentiments verbreitet werden.
König-Preuss mahnt: „Den Zeitpunkt des ‚Wehret den Anfängen‘ haben wir längst verpasst, nun gilt es endlich das so oft erklärte ‚Nie Wieder‘ durch konsequente Handlungen gegen Antisemitismus auch entsprechend zu füllen.“