„Die Berichterstattung des Thüringer Verfassungsschutzes zum Phänomen der ,Reichsbürger‘ mutet angesichts der Antwort des Thüringer Innenministeriums auf meine Kleine Anfrage außerordentlich dürr an“, stellte Katharina König, Sprecherin für Antifaschismus der Linksfraktion, fest. Seit Jahren berichtet der Inlandsgeheimdienst nur über eine einzelne Gruppierung in Thüringen, die der Auffassung sei, dass das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937 fortbestehe und die gelegentlich Treffen mit ca. 40 Personen, meist von außerhalb, an einem Ort nahe Eisenach organisierte. Nach den jetzigen Angaben des Innenministeriums wurden den Behörden jedoch über ein Dutzend Namen verschiedener solcher Gruppierungen in Thüringen bekannt und 90 bis 140 Personen würden dem hiesigen „Reichsbürger“-Spektrum aktuell zugeordnet. Allein in den letzten zweieinhalb Jahren hat es in Thüringen knapp 25 Veranstaltungen gegeben und fast 80 Straftaten seien den „Reichsbürgern“ vorgeworfen worden. Einige von ihnen besitzen Schusswaffen, andere gaben sich rechtswidrig mit Ausweisen und Uniformteilen als Polizeibeamte aus.
„Bei den ‚Reichsbürgern‘ handelt es sich nicht nur um bedeutungslose Spinner, die die Existenz der Bundesrepublik Deutschland verleugnen. Ideologische Verbindungen zur extrem rechten Szene und deren revisionistischem Weltbild sowie Verstöße gegen das Waffengesetz, Urkundenfälschungen, Nötigungen, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Körperverletzungen offenbaren auch die von diesem Spektrum ausgehende Gefahr“, so Frau König, die sich u.a. auf die nun vorliegende Anfrage-Antwort bezieht.
Die so genannten „Reichsbürger“ erkennen das deutsche Rechtssystem nicht an und nennen sich z.B. „Republik Freies Deutschland“ oder „Exilregierung Deutsches Reich“, vergeben Pseudoämter, wie „Reichsminister“ und „Reichskanzler“, und verteilen Phantasiepapiere wie „Reichsausweise“. Einige von ihnen treten mit ‚bürgerwehrähnlichen Charakter‘ auf, so die Gruppierung „DPHW“ (Deutsches Polizeihilfswerk), die auch mit Veranstaltungen in Eisenberg, Altenburg und im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt auffällig wurde. Im letzten Jahr kam es mehrfach zu Übergriffen auf Gerichtsvollzieher in Thüringen, schwerpunktmäßig seien dabei die Städte Weimar und Sonneberg betroffen gewesen, so das Innenministerium.
Diese Gruppierungen suggerieren den Bürgern auch, dass sie sich nicht der Gerichtsbarkeit unterwerfen und z.T. keine Steuern zahlen müssten. Sie treten als Hilfsgemeinschaften für angebliche Justizopfer auf, auch um einen gesellschaftlichen Resonanzboden für extrem rechtes Gedankengut zu schaffen. König weist darauf hin, dass in der Vergangenheit einige der „Reichsbürger“-Veranstaltungen in Thüringen auch vom bundesweit aktiven Neonazi Meinolf Schönborn organisiert wurden, der bei der mittlerweile verbotenen „Nationalistischen Front“ (NF) für Thüringen Generalsekretär war. Im Rahmen einer von ihm herausgegebenen Neonazi-Publikation wird bereits das nächste Revisionisten-Treffen in einer Woche im Norden Thüringens angekündigt.
„Während der Thüringer Verfassungsschutz in seinem letzten Jahresbericht den ,Reichsbürgern‘ nur drei kleine Absätze widmete, wussten seine Schwesterbehörden in den anderen Bundesländern immerhin wesentlich mehr zu berichten. So informierte Brandenburg auf knapp 20 Seiten im letzten Jahresbericht zu diesem Spektrum“, bemerkt die Abgeordnete. Ausweislich der neuen Anfrage-Antwort seien Vertreter der „DPHW“ in Thüringen teilweise auch mit blauen Overall samt „Deutsche Polizei“ -Aufdruck und entsprechenden illegalen Polizei-Ausweisen aufgetreten, um eine Nähe zur Polizei zu suggerieren bzw. sich das Amt anzumaßen. Nach ähnlichen Aktionen in Sachsen hatten dortige Behörden im Februar 2013 eine Razzia gegen die Gruppierung durchgeführt und wegen des Verdachts auf Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt.
Auch im Bereich Saalfeld kam es im letzten Jahr mehrfach zu Polizeieinsätzen wegen Hausfriedensbrüchen im Zusammenhang mit „Reichsbürgern“. 22 Anhänger hatten vor einer angekündigten Zwangsversteigerung im August ein Gelände belagert und mussten von der Polizei erst verwiesen werden. Später hatte ein bekannter Neonazi versucht, das Gelände zu kaufen. Bereits im Juni 2012 wurde dort im Rahmen einer Zwangsvollstreckung auf dem Gelände, über deren Eingang eine schwarz-weiß-rote „Reichsfahne“ wehte, eine Makarov-Schusswaffe sichergestellt, während Polizeibeamte mit Maschinenpistolen den Einsatz sicherten. Die Landesregierung bestätigte nun: Von den „Reichsbürgern“, die in Thüringen aktiv sind, verfügen neun über eine Waffenbesitzkarte und acht auch über eine entsprechende Schusswaffe.
„Der Thüringer Verfassungsschutz hat hier sowohl das Personen- als auch da Gefährdungspotential verpennt“, resümiert die Abgeordnete König mit Blick auf dessen bisherige Veröffentlichungen zum Thema. „Dieses Beispiel belegt ein weiteres Mal, dass die Gelder zur Rechtsextremismusbekämpfung und -prävention bei der Polizei und bei einem Informations- und Dokumentationszentrum besser aufgehoben wären, als bei einem überflüssigen Inlandsgeheimdienst, der wichtige Entwicklungen im Bereich der extrem rechten Szene offensichtlich weder wahr nimmt, noch in der Lage ist, über solche auch angemessen die Öffentlichkeit zu informieren“, so König. Von den Sicherheitsbehörden erwarte sie eine Entwaffnung, mindestens jedoch eine Zuverlässigkeitsüberprüfung der registrierten Thüringer Reichsbürger mit Waffenbesitz, die das deutsche Rechtssystem ablehnen und sich auf das „Deutsche Reich“ berufen.
Download der Anfrage samt Antwort hier (PDF, 14 S.).