Ob als NPD-Bundesvorstandsmitglied oder als Freund einer deutschen Olympia-Sportlerin – in den letzten Wochen erlangten Neonazis, die keine Neonazis mehr sein wollen bundesweite Bedeutung in der deutschen Medienberichterstattung. Doch wann ist ein Ausstieg eigentlich ein Ausstieg und wie stellt man sicher, dass der oder die vermeintliche Ein-/Aus-/Umsteiger_in wirklich ausgestiegen ist und die Öffentlichkeit nicht an der Nase rumführt? Definitionen und Maßstäbe klaffen da weit auseinander: Für einige Zeitungen reicht bereits der formelle Austritt aus der NPD, für den Verfassungsschutz das Fernbleiben von der Naziszene. Die Aussteigerhilfe Exit geht einen Schritt weiter und rückt die „Überwindung der Weltanschauung“ mit Gesprächen in den Mittelpunkt. Doch ein Rückzug aus der Naziszene wird damit nicht automatisch zum glaubhaften Ausstieg.
Nazis, die sich irgendwann aus der rechten Szene zurückziehen, abtauchen, austreten oder mit ihren Aktivitäten aufhören, gibt es seit eh und je, schließlich gibts auch für Nazis eine ganze Reihe an Gründen ihre Szene zu verlassen. Doch was unterscheidet den vermeintlichen, den vorgegaukelten oder den tatsächlichen Rückzug von einem „richtigen Ausstieg“?
Und was sind adäquate Umgangsformen mit Nazis, die sich aus der rechten Szene lösen wollen oder gelöst haben? Im Magazin für politische Kultur cicero stellt der Publikative-Autor Felix M. Steiner bereits unter dem Titel „Ausstieg ist nicht gleich Ausstieg“ die richtigen Fragen, erklärt warum ein bloßer Rückzug aus den Szenezusammenhängen nicht reicht und das ein Ausstieg ein komplexer Prozess ist, für den es keinen Königsweg gibt.
Das Magazin Antifaschistisches Infoblatt (liegt im auch im Haskala aus) begleitet die Ausstiegs-Thematik bereits seit den 90er Jahren und diskutierte die wachsenden Zahl von Aussteiger_Innen, Umgangsformen und Kriterien für glaubhafte Ausstiegsprozesse auch in den letzten Jahren. Warum „einfach aufhören“, ein Auftritt im Fernsehen oder Lippenbekenntnisse noch kein Ausstieg nach antifaschistischen Kriteren ist, könnt ihr beispielsweise im AIB-Artikel „Aussteiger, Rückzieher, Aufhörer, Austreter“ [PDF, Ausgabe 74] nachlesen. In einer Neuauflage stand 2011 das Umsteiger-Phänomen im Vordergrund, siehe auch AIB-Artikel „Perspektivenwechsel beim Ausstieg aus der Neonaziszene?“ [Ausgabe 91].
Im Kern geht es darum, dass die Reflektion über die eigene Ideologie genauso wichtig ist, wie die Transparenz und Glaubwürdigkeit der Ausstiegsgründe, die Notwendigkeit des Begreifens um der vormals vertretenen Ideologie und die nachvollziehbare Veränderung dieser, sowie das Verbauen des Rückwegs, zum Beispiel durch das Offenlegen neonazistischer Strukturen an antifaschistische Projekte, die in der Lage sind entsprechende Angaben einzuschätzen. Auch das Antifaschistische Infobüro Rhein-Main widmete sich im Text „Über ›AussteigerInnen‹ aus der Neonaziszene und den Umgang mit ihnen“ 2009 den Motiviationslagen, dem Ablauf des Bruchs mit der Szene und den Grenzen und Notwendigkeiten bei einem Ausstieg.
Anlässlich der aktuellen Debatte um den Freund der Olympia-Sportlerin empfehlen wir noch einen Artikel bei der Publikative: Warum Fischers Ausstieg bislang keiner ist. Jene 23 jährige Drygalla verließ wegen ihres Freundes, einem nun vermeintlich geläuterten Ex-Nazi, der bis vor wenigen Wochen noch auf neonazistischen Internetseiten publizierte, die Olympischen Spiele. Nach einer großen Debatte in Medien und Politik empfinden nun plötzlich viele Leute Mitleid mit der jungen Sportlerin und vergessen wer die effektivsten Helfer der Neonazis sind: die Untätigen. Im Kommentar „Kein Mitleid mit Drygalla“ wird in der Frankfurter Rundschau die Eigenverantwortung der Sportlerin thematisiert und warum Nazis erst durch eine Kultur des Wegsehens unterstützt werden – egal ob auf der Straße, in der Kneipe oder eben in privaten Beziehungsgeflechten.