„Unrechtsstaat DDR“: zwischen Kampfbegriff und moralischer Wertung
Vor 20 Jahren hörte der einzige sozialistische Staat auf deutschem Boden auf zu existieren. Die Debatte um den „Unrechtsstaat DDR“ flammt seit dem immer wieder auf. Unter Linken, ob mit oder ohne Parteibuch, wird das als unsachlicher Kampfbegriff von den allermeisten generell abgelehnt.
Für dementsprechenden Wirbel sorgte die LINKE Landtagsabgeordnete Katharina König mit der Aussage: „Für mich war die DDR ein Unrechtsstaat. Ich brauche dazu keine Definition.“
In ihrem Wahlkreis Saalfeld-Rudolstadt, genauer gesagt in der Basisorganisation „Montagstreff“, gab es erhebliche Empörung, die sich in einem langen offenen Brief den Weg bahnte. Darin hagelte es massive Kritik an der Abgeordneten. Die vier Unterzeichner werfen König u.a. „Historische Blindheit“ und „Verblendung“ vor und fordern, sie solle ihr Mandat niederlegen. Sie argumentieren: „dass gegenwärtig […] täglich tausendmal mehr Unrecht geschieht als in 40 Jahren DDR-Geschichte.“ Die Emotionen kochen hoch, in diesem Fall besonders, weil der Begriff von einer LINKEN Abgeordneten verwendet wird, die als Kämpferin gegen den Neo-Faschismus einen hervorragenden Ruf genießt.
Was also hat sie zu dieser Aussage veranlasst. „Es war eine spontane Rede in Reaktion auf Äußerungen von FDP und CDU, die sich beide als die großen DDR-Oppositionsparteien dargestellt haben und so tun, als würden sie heute alle Opfer des Unrechts in der DDR in sich vereinen. Das ist eine Lüge, die mich wahnsinnig empört hat.“ Für König geht es bei dem Begriff Unrechtsstaat nicht um eine rechtliche oder wissenschaftliche Einordnung, sondern um eine moralische, die für sie, auf Grund ihrer Erfahrungen einen ganz persönlichen Charakter hat. „Wenn ich vom Unrechtsstaat rede, ist das meine ganz persönliche, moralische Einschätzung der DDR“, sagt die 32-jährige Landtagsabgeordnete.
Dem stimmt auch Bodo Ramelow zu: „Ich teile den Begriff nicht, verstehe aber Katharina, denn die Aktenordner und angesetzten IM auf die Junge Gemeinde Jena und damit direkt auf die Familie von Katharina füllen ganze LKW-Ladungen. Ich kann sehr wohl verstehen, wenn ein Mensch, der dies erlebt hat und intellektuell verarbeiten muss, das Erlebte als Unrecht qualifiziert“, schreibt der Fraktionsvorsitzende in einem Brief an die Basisgruppe Montagstreff. Die moralische Klassifizierung der DDR als Unrechtsstaat heißt aber nicht, dass König deswegen alles, was in Zusammenhang mit 40 Jahren DDR steht, in Bausch und Bogen ablehnt oder gar die Biographien von Menschen kriminalisieren will, die sich damals für eine gerechtere Gesellschaft eingesetzt haben.
Im Gegenteil. „Die DDR war ein legitimer und notwendiger Versuch. Es brauchte nach 1945 einen antifaschistischen und sozialistischen Staat. Viele, die in diesen Staat nach dem Dritten Reich ihre Hoffnungen setzten, sind meiner Meinung nach in ihrem Engagement missbraucht und ausgenutzt worden. Es ist natürlich nicht einfach, sich eingestehen zu mpssen, 40 Jahre seines Lebens gegebenen zu haben, für etwas, dass falsch war, weil man eigentlich etwas anderes wollte, als das, was dann in der DDR daraus gemacht wurde.“ Auch die BO Montagstreff gibt zu: „Unbestreitbar gab es in der DDDR Unrecht Dogmatismus, Unterdrückung von Kritik.“
Katharina König stellt sich der Debatte. Den Brief der BO Montagstreff sowie alles, was sich an Diskussionen im Nachgang entwickelt hat, ist auf ihrer Webseite (haskala.de) abrufbar. Das sollte dazu beitragen, dass sowohl die Opfer des Unrechts als auch die, die in der DDR für eine gerechtere Welt gekämpft haben, zu einer sachlichen Debatte über Geschichtsfragen kommen. Nur wenn schonungslos die Fehler der Vergangenheit angesprochen werden, können auch die positiven Aspekte der DDR hervorgehoben und die Idee des demokratischen Sozialismus für die Mehrheit der Menschen wieder interessant werden.
Neben der persönlichen Einschätzung hat der Begriff „Unrechtsstaat DDR“ natürlich auch einen Diffamierungscharakter und entzieht sich jeder wissenschaftlicher Definition. Die BO Montagstreff hat unzweifelhaft Recht, wenn sie argumentiert: „dass Unrechtsstaat als Begriff weder juristisch noch geisteswissenschaftlich fassbar oder verwendbar ist“. Es gibt viele Menschen, die ihn deshalb ablehnen. Dazu gehört die kulturpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag und frühere Top-Journalistin, Dr. Luc Jochimsen, ebenso der brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD), der letzte DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière (CDU) oder die Landessprecherin der Grünen in Thüringen, Madeleine Henfling.
Bundeskanzlerin Angela Merkel dagegen hat meine Skrupel den Begriff Unrechtsstaat im Zuge der generellen Diffamierungskampagne, gegen alles was mit DDR zu tun hat, einsetzen und diesen Staat in Gänze, als eine Art „Reich des Bösen“ zu brandmarken – Ex-US Präsident Ronald Reagan lässt grüßen. Das kritisiert auch Theologe und DDR-Bürgerrechtler Friedrich Schorlemmer in der Ostseezeitung: „Mit diesem Begriff rückt die Pfarrerstochter aus Templin die DDR in die Nähe zum deutschen Unrechtsstaat, zum Nazisystem. Das ist verlogen und hat offenbar mehr mit dem Wahlkampf gegen DIE LINKE zu tun, als mit wirklichem Erleben.“ Genau das ist der entscheidende Punkt. Merkel hat, wie viele andere, die den Unrechtsstaat als Kampfbegriff benutzen, persönlich in der DDR kaum nennenswertes Unrecht erfahren. Ihr geht es darum, links und rechts gleichzusetzen. Genau das kann man Katharina König definitiv nicht vorwerfen.