Zur Vorstellung des Thüringer Verfassungsschutzberichts für 2017 erklärt Steffen Dittes, innenpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE im Thüringer Landtag: „Auch der diesjährige Bericht kann die vielmals behauptete Notwendigkeit des Amtes für Verfassungsschutz (AfV) als ‚Frühwarnsystem‘ nicht belegen. Der Bericht ist auch nicht geeignet, wie etwa im Vorwort noch behauptet, ‚politischen Verantwortungsträgern notwendigen Handlungsbedarf aufzuzeigen‘, wenn man einmal davon absieht, dass dies eigentlich auch keine Aufgabe eines mit geheimdienstlichen Befugnissen ausgestatteten Nachrichtendienstes sein dürfte. Erneut enthält der Jahresbericht längst Bekanntes durch Polizei, Journalisten und antifaschistischen Gruppen, diffamiert wiederum zivilgesellschaftlich Engagierte und verbreitet unbelegte Behauptungen.“
Dass ausgerechnet beim Kapitel „Rechtsextremismus“ im Vergleich zum Vorjahr am meisten verschwunden ist, sei bezeichnend, am Ende aber unerheblich, da der Dienst sowieso keine neuen Analysen oder Erkenntnisse bringt. Katharina König-Preuss, Sprecherin für Antifaschismus der Linksfraktion: „Der Geheimdienst liefert 418 Tage nach dem großen Neonazi-Konzert in Themar eine Schwerpunktzusammenfassung, die weitgehend von antifaschistischen Recherchen übernommen worden ist, die schon wenige Tage nach dem Konzert publiziert wurden. Wie in den Vorjahren erkennt der Verfassungsschutz weniger rechte Musikveranstaltungen als zivilgesellschaftliche Expert_innen wie Mobit, hat kaum eigene Erkenntnisse über Phänomene, wie die extrem rechte Kampfsportszene in Thüringen, und reflektiert nicht die organisierten antimuslimischen und rassistischen Aktivitäten in Thüringen 2017, die zum Beispiel im Zusammenhang mit dem geplanten Moscheebau in Erfurt-Marbach geschahen. Statt dessen publiziert er fragwürdige Analysen, wie die, dass von ‚Rechtsextremisten begangene Gewalttaten in den meisten Fällen spontan‘ begangen würden, und relativiert damit die häufig auch zielgerichteten und organisierten Attacken.“
Steffen Dittes erklärt: „Vor dem Hintergrund der heutigen Diskussion um eine mögliche Beobachtung oder Überprüfung der AfD durch die Verfassungsschutzbehörden ist der Thüringer Verfassungsschutzbericht schon erhellend. Das AfV weiß die AfD ausschließlich als Opfer, beispielsweise von Sachbeschädigungen, darzustellen. Eine Darstellung in ähnlichem Umfang bei anderen Parteien findet sich im Bericht hingegen nicht. Und das, obwohl zum Beispiel die Hälfte der Angriffe auf Büros von Abgeordneten in Thüringen im Jahr 2017 gegen CDU und LINKE verübt wurden. Dieses Missverhältnis kennen wir schon aus dem Vorjahr. Die öffentliche Erkenntnislage zur demokratiegefährdenden Verortung der AfD ist eindeutig. Politik, Zivilgesellschaft, Medien und Wissenschaft sind die Akteure, die darauf reagieren müssen und das in vielen Teilen schon tun. Auf Erkenntnisse des AfV für die notwendige gesellschaftliche Auseinandersetzung zu warten, hieße, die bestehenden Gefahren zu ignorieren.“
Einzelne positive Neuerungen, wie etwa die längst überfällige namentliche Nennung bekannter Neonazis, ein Part zu Antisemitismus oder erklärende Ansätze insbesondere zur Altersstruktur und zum Spannungsfeld von Integration und Radikalisierung im Kontext von Islamismus, geraten durch fachliche Mängel im Bericht und durch absurde Behauptungen leider in den Hintergrund. Katharina König-Preuss: „Immerhin schreibt der Thüringer Verfassungsschutz in diesem Jahr keine von Neonazis begangenen Anschläge ins Kapitel Linksextremismus. Der Dresdner Moscheebomber, der in der letzten Thüringer Jahresausgabe landete, wurde erst vor einer Woche zu 10 Jahren Haft verurteilt. Das Gericht berief sich dabei auch auf den massiven Ausländerhass des Täters, einen bekannten Pegida-Redner. Statt einer kritischen Auseinandersetzung spinnt der aktuelle Bericht aber die Extremismustheorie munter weiter. Mal ohne Begründung, mal mit hanebüchener Begründung werden Menschen zu vermeintlichen Linksextremisten deklariert. Beispielhaft dafür ist eine Versammlung in Jena, bei der das Amt eine linksextremistische Beteiligung ‚explizit‘ wegen eines Transparentes mit der Aufschrift ‚Schöner leben ohne Herrschaft!‘ ausmachte.“ Auf die Nennung einer weiteren Versammlung der „Jugend gegen Rechts“ in Jena mit dem Motto „Grundrechte verteidigen“, die der Dienst auf seiner Homepage in der Monatschronik Dezember 2017 unter „Linksextremismus“ einordnete, verzichtete man immerhin im Jahresbericht, möglicherweise im Wissen um die Peinlichkeit.
Der im 2017er Bericht auftauchende Satz „‚Antifaschismus‘ als Begriff wird auch von Demokraten verwendet, um ihre Ablehnung des Rechtsextremismus zum Ausdruck zu bringen. Mehrheitlich nehmen jedoch Linksextremisten diesen Begriff für sich in Anspruch“ sei exemplarisch für das diffuse Verständnis der Verfassungsschutzbehörde, die keinerlei Belege für derart absurde Behauptungen liefert und zivilgesellschaftliches Engagement nach Gutdünken diskreditiert. Auch an anderer Stelle finden sich blanke Behauptungen, so wird die Überschrift „Linksextremisten mobilisieren zu gewalttätigem Antifa-Protest am 18. Februar in Saalfeld“ im Bericht durch keinerlei Tatsachen belegt. Es fehlen jegliche Informationen, die eine derartige Einschätzung begründen würden. Dass im Zusammenhang mit der heutigen Vorstellung auch vermeintlich neue Zahlen zur politisch motivierten Kriminalität im Fokus stehen, sei albern, weil die identischen Zahlen, die das Landeskriminalamt und nicht der Verfassungsschutz ermittelt hat, bereits vor 162 Tagen auf einer Pressekonferenz in Erfurt vorgestellt wurden.
Steffen Dittes ergänzt: Dass die ‚Rote Hilfe‘ weiterhin Erwähnung finde und es ihr zur Last gelegt werde, dass sie das strafprozessuale Recht der Aussageverweigerung offensiv bewerbe, Übertretungen des Rechtsstaates kritisiere und Beratungen zur Rechtslage in Form von Vorträgen und Publikationen durchführe, „trifft weiterhin auf die deutliche Kritik der Fraktion DIE LINKE“. Andererseits werden im Jahresbericht 2017 die Kapitel Spionageabwehr, Proliferation und Geheimschutz vollständig gestrichen. Angesichts der Attacken ausländischer Geheimdienste auf Parlamentsnetzwerke und fortgesetzter Wirtschaftsspionage müssten diese Bereiche – folgt man der Logik der Verfassungsschutzbehörden – zu ihrem ureigenen Kerngeschäft gehören. „Dass der Thüringer Verfassungsschutz nun auch die bisher einzig publizierten statistischen Daten über eigene Maßnahmen, wie die jährlich mehreren hundert Sicherheitsüberprüfungen, bei denen Betroffene und ihr Umfeld durchleuchtet werden, anders als in den Jahren zuvor aus dem Bericht tilgt, unterstreicht die von uns immer wieder kritisierte Intransparenz. In der Gesamtschau werden unsere Zweifel an der Geeignetheit des Geheimdienstes durch den Bericht nicht beseitigt, sondern weiter bestärkt“, unterstreicht Dittes.