Am 17. August, dem Todestag des verurteilten Naziverbrechers Heß, riefen die Nazis von Thügida zum Fackelmarsch in Jena auf. Bereits das zweite Mal in diesem Jahr, dass die Rechten an einem für sie symbolträchtigen Datum in der Universitätsstadt einen Fackelumzug durchführten, nachdem bereits zum Geburtstag Hitlers ein solcher Aufmarsch stattfand. Ein weiterer Aufmarsch ist für den 9.11. bereits angekündigt und allein diese Reihung sollte zeigen, dass die Intention hinter diesen Anmeldungen ist, die Verherrlichung der NS-Diktatur als Demonstration zu tarnen. Bisher will das zuständige Gericht in Gera aber keine Zusammenhänge erkennen – obwohl Teilnehmer vor, während und nach dem Aufzug ganz öffentlich von einem Heß-Gedenkmarsch sprachen. Eine Bezugnahme auf Heß war eigentlich untersagt worden, doch bereits das Mitführen eines Sarges als „Demonstrationsmittel“ wurde erlaubt – eine, gelinde gesagt, seltsame Entscheidung. Dass letzten Endes auf dem Sarg nicht der Name des Hitler-Stellvertreters prangte, war nur darauf zurückzuführen, dass die Nazis lieber andere Menschen unter der Erde sehen wollten: Der Sarg trug den Schriftzug „Antifa“ – was man durchaus als Gewaltandrohung hätte werten können, wenn auch die bezeichnete Personengruppe im rechtlichen Sinne nicht spezifisch genug ist.
Jena stellt jedoch im Vergleich zu manch anderen Städten noch eine sehr positive Ausnahme dar – das sich gegen Nazis auf die Straße zu begeben, hat Tradition, die weit in bürgerlich, auch bürgerlich-konservative Kreise hineinreicht. Bereits am Vortag hatten sich Anwohner des Damenviertels und weitere Menschen aus Jena zu einer Gegenaktion auf der Aufmarschroute der Nazis zusammen gefunden und feierten ein ausgelassenes Straßenfest. Dabei verwandelten sie unter dem Motto „Kreide gegen Dummheit“ (facebook-Link) das Grau der Straßen in ein buntes Meer aus Sprüchen und Bildern gegen Rassismus und rechte Ideologien. Auch an den Häusern waren Regenbogenfahnen und Spruchbänder gegen Nazis aufgehängt worden. Dem Aufmarsch von Thügida, der mit 180 Personen kläglicher ausfiel, als die doch recht aufwendige Mobilisierung der Nazis erwarten ließ, stellten sich nach Polizeiangaben 3500 Menschen entgegen.
Weil die große Zahl der Gegendemonstranten einige Laufwege füllten, die ursprünglich für die Nazis gedacht war, konnte die „Demonstration“ der Rechten erst mit erheblicher Verspätung beginnen. Die Polizei wollte den Thügidisten erst einen Weg zu ihrem Startplatz organisieren und fand den, indem sie einen Bus der Jenah Verkehrsgesellschaft sozusagen
zwangsverpflichtete und die Nazis damit in das Viertel chauffierte, was den Unmut vieler Jenaer, auch gegen den Verkehrsbetrieb, nach sich zog. Jenah erklärte zwar am nächsten Tag, dass man „weder gern, noch freiwillig“ geholfen habe, doch bleibt ein fader Nachgeschmack zurück. Dies umso mehr, da der Einsatz des Busses von der Polizei im Nachhinein damit begründet wurde, dass die Nazis damit drohten sich gewaltsam ihren Weg durch die Gegendemonstration zu bahnen.
Es ist ein fatales Zeichen, wenn eine Gewaltandrohung gegen eine angemeldete Demonstration mit einem kostenlosen Bustransport belohnt wird. Auch dass die Polizei tatenlos zusieht, wie Journalisten von den Rechten bedrängt und in ihrer Arbeit behindert werden, ist weder neu noch gut. Mit teils unverhältnismäßiger Härte ging die Polizei dagegen auf der anderen Seite vor, so dass es laut einer Pressemitteilung von Demo-Sanitätern zu 44 Verletzten durch Polizeigewalt kam – hauptsächlich durch Pfefferspray. Als der Bundestagsabgeordnete Ralph Lenkert (Die
LINKE) sich erkundigen wollte, warum friedliche Demonstranten ohne Ankündigung von der Polizei mittels körperlicher Gewalt von der Straße gezogen wurde, wurde er selbst von den Beamten angegangen (facebook-Link). Ähnliches traf auch einen Jenaer Stadtrat, der mit Pfefferspray bedacht wurde, als er in seine Wohnung im Bereich der Nazi-Route gehen wollte. Insgesamt wirft dieser Polizeieinsatz viele Fragen auf, die aktuell sowohl im Stadtrat von Jena als auch auf Landesebene nachbearbeitet werden.
Aggressiv eingestellt waren die angereisten Nazis. Neben dem Thügida-Organisator Köckert aus Greiz waren weitere, lange in der Neonazi-Szene aktive Personen anwesend. So gehören die Redner von der Partei Die Rechte zu den Stammgästen bei den Thügidisten: Michel Fischer, ein polizeibekannter Schläger, der diesen Ruf auch im vergangen Jahr bei einer Demonstration in Jena verteidigte, redete ebenso, wie Alexander Kurth aus Leipzig, der nur wenige Tage nach dem 17.8. wegen unerlaubten Waffenbesitzes verurteilt wurde. Dass ihm hervorragende Kontakte zur Polizei in Leipzig, wo er herkommt, nachgesagt werden, ist angesichts des zweifelhaften Einsatzes sächsischer Beamte nicht gerade beruhigend. Auch aus Halle waren Vertreter der Partei angereist.
Nicht überraschen konnte der Auftritt von Nazis aus Berlin und Brandenburg, hatte doch Köckert mit seinem Thügida-Fischverkaufs-Mobil vor nicht allzu langer Zeit dort vor Ort ausgeholfen. Nun hat man sich wohl revanchiert. Mit aus Berlin angereist war der NPD-Kader Stephan Böhlke, der dafür bekannt ist, dass er in „Anti-Antifa-Manier“ antifaschistische Gegenproteste fotografiert, so dass man gezielt Einzelpersonen nachstellen kann. Der Mit-Organisator von Bärgida (Thügida, nur mit Berliner Bär) und ähnlichen Veranstaltungen ging diesem zweifelhaften Hobby auch in Jena nach.
In letzter Zeit häufiger bei den Thügida-Veranstaltungen, vor allem im Raum Saalfeld-Rudolstadt, traten „Die Parteifreien Wähler“ (DPFW) auf, die sich als Träger des Sarges (Christian A.) beziehungsweise des davor her getragenen Kreuzes (Frank G., Pößneck) betätigen. Bei der DPFW handelt es sich laut eigener Aussage „nicht um eine Reichsbürgerpartei“, allerdings vertreten sie diese Ideologie. Zu dieser Gruppe zu zählen ist auch Ralf G., aus Kamsdorf, der ebenfalls als Sargträger tätig war und bisher durch Verschwörungstheorien bei Montagsmahnwachen aufgefallen
ist. Alle drei sind auch in Saalfeld und Rudolstadt ständig als Begleiter, Redner und technische Unterstützung der Thügidisten und in unterschiedlichen rechten Gruppen unterwegs. Ebenso unterstützte der sogenannte „Freundeskreis Thüringen/ Niedersachsen“, der hauptsächlich aus bekannten Rechtsextremen aus dem Raum Göttingen und Nordthüringen zu bestehen scheint, den Aufmarsch in Jena. Dieser Freundeskreis organisierte gemeinsam mit Personen aus der Führungsriege des niedersächsischen Jugendverbandes der AfD Kundgebungen gegen Unterkünfte für Flüchtlinge.
Zum Vorgehen von Thügida, Aufmärsche mit Fackeln an „wichtigen“ Daten des Nationalsozialismus zu veranstalten, äußerten manche in sozialen Medien besorgt, dass die Nazis sich damit auch explizit in eine Traditionslinie mit dem NSU beziehungsweise dem Thüringer Heimatschutz, aus dem der NSU hervorging, begeben wollen. Das Auftauchen mehrerer T-Shirt mit der Aufschrift „Heimatschutz“ verstärkt dieses Empfinden. Umso dringender wäre ein konsequentes Handeln von Seiten der Stadt und der Gerichte geboten, dem braunen Spuk ein demokratisches „so nicht!“
entgegen zu setzen. Eine Chance besteht für die Stadt Jena, dieses für den angemeldeten Aufmarsch der Neonazis am 09. November zu tun.