Geschichte(n)

Sonne. Kaffee. Burekas. Heute scheint Testfahrtag für die neue Straßenbahn Jerusalems zu sein. Im Takt drehen alle Linien ihre Runden – leer – die Sitze noch mit Schutzbezügen aus Plastik bedeckt. Silbern glitzern sie in der Sonne, das Fahrtziel wechselnd in drei Sprachen angezeigt. Nach mehr als 5 Jahren Bauphase für knappe 14km, ständigen Bauverzögerungen und -verteuerungen sowie Verschiebungen des Eröffnungstermins soll dieser nun im August sein. Die Testrunden drehen die teils gepanzerten Wagons des „Jerusalem Light Rail Transit“ im Takt. Ich werde eine Gewöhnungszeit für diese vom Mount Herzl über die Jaffa-Straße hinaus Richtung Altstadt fahrenden silbernen Ungetüme brauchen.

Noch fahren glücklicherweise die Egged-Busse. Busfahrer in Israel scheinen nach speziellen Kriterien ausgewählt zu sein: wagemutig, risikoreich, musikalisch, Fahrgäste als notwendiges Übel zur Ausübung des eigenen Vergnügens betrachtend. Es macht Spaß. Israelische Schlagermusik hört man meist im Bus und oft laut, in den Kurven entsteht die Gemeinschaft der mehrsprachig Fluchenden. Und ab und zu wird aus den hinteren Reihen schreiend der bereits losfahrende Busfahrer auf noch aussteigende Fahrgäste hingewiesen. Neben uns sitzt ein ca. 80jähriger Mann, insbesondere in den Kurven scheint er in Erinnerungen zu versinken, die ihn leise vor sich hinschmunzeln lassen. Hinter uns erklingen jiddische Sprachfetzen, vor uns erzählen sich zwei Großmütter stolz Enkelgeschichten, bis die eine feststellt, dass sie die Milch im Laden liegen ließ.

Wir sind auf dem Weg nach Yad Vashem.

Auf dem Mount Herzl steigen wir aus, laufen hinunter. Angekommen in Yad Vashem trennen wir uns. Während die einen erstmalig das neue Museum betreten, telefoniere ich lange mit einem israelischen Freund. Seine Großmutter, ungarische Jüdin, welche als einzige der Familie die Shoah überlebte und 1945 nach Israel auswanderte, ist am Morgen verstorben. Die anderen: Auschwitz.

Soll ich kommen, frage ich ihn im Norden Israels Lebenden. Nein sagt er und lacht: ich habe keinen Martini hier. Wir verabreden uns für Mittwoch in Tel Aviv.

Die durchdachte, den Inhalt unterstützende Architektur des Museums von Yad Vashem. Grauer Betonstein, Themen-Räume, die links und rechts im Wechsel vom Gang aus abgehen, alle Räume sind zu durchlaufen, ein schnelles, gerades durchgehen nicht möglich. Beeindruckende, die Kehle zusammenschnürende Interviews mit Überlebenden, Bilder, Texte, Kleidungsstücke… Originalmaterialien.

Die erste Strophe des Deutschlandliedes ist im Hintergrund zu hören, während auf dem Bildschirm vor mir in schwarz-weiß und ohne Ton Menschen ihr eigenes Grab schaufeln, darin kniend von deutschen Soldaten erschossen werden.

Durchatmen. Eine Gruppe israelischer Soldaten, die im Rahmen ihrer Grundausbildung Yad Vashem besuchen, nähert sich. „Kol beseder?“ fragt einer freundlich. Nein antworte ich und erkläre. Er versteht – in Yad Vashem kann nichts in Ordnung sein.

Das Museum durchquert, erreicht man eine Plattform. Draußen. Licht. Der vorher räumlich verengte Blick wird weit – Jerusalem. Die Kindererinnerungsstätte bildet für uns den Abschluss. Im Anschluss nicht reden, langsam zurückkehren in den israelischen Alltag.

Central Bus Station. Meine Mitfahrer_innen besorgen Tickets für ihre Weiterreise innerhalb Israels am Freitag. Kontrollen beim Eingang, die Möglichkeiten eines Terroranschlags werden im Rahmen menschlicher und technischer Möglichkeiten ausgeschlossen. Und doch ist die Bedrohungssituation in den Alltag integriert und lebt mit.

Am Abend Treffen mit einem guten Freund. Er telefoniert mit einem zur Zeit bei der UNRWA in Gaza beschäftigten Bekannten. Ich spreche mit ihm und frage nach Lebensmittelknappheit, Medikamenten. Er verneint und berichtet von Hilfslieferungen aus Israel, Europa, den USA. „Eher stirbt man in Gaza als mutmaßlicher israelischer Kolloborateur als an Hunger.“ so sein Kommentar. Gaza Flotilla? Ja, die mediale Aufmerksamkeit gäbe einen Sinn. Die Lieferungen? Nein. Wobei… bis auf… ja, der Zement wäre schon teuer in Gaza.

Er ist Palästinenser.

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