Rede: Unrecht in Kinder- und Erziehungsheimen der DDR

Katharina König, MdLKonsequenzen aus Misshandlungen und anderem Unrecht in Kinder- und Erziehungsheimen in Thüringen

Zum Antrag der Fraktion der FDP – Drucksache 5/1508 –

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, als Erstes, Herr Koppe, bei allem Verständnis für das, was Sie unter Punkt 1 formuliert haben, ich finde es wirklich schwierig, bei solch einem Thema mit mehr oder weniger einer Form von Erpressung zu agieren, indem Sie nämlich sagen, Sie erwarten, dass alle Demokraten in diesem Haus zustimmen. Es mag unterschiedliche Begründungen geben, warum vielleicht Einzelne nicht zustimmen werden. Mit Ihrer Formulierung sprechen Sie diesen aber diese Begründung ab und unterstellen, dass sie keine Demokraten wären. Ich finde das bei diesem Thema wirklich nicht passend.

(Beifall DIE LINKE)
Der von Ihnen vorgelegte Antrag zu Konsequenzen aus Misshandlungen und anderem Unrecht verfolgt meines Erachtens, es ist auch so formuliert, mehrere Ziele, das Unrecht zu benennen und das Unrecht zu erkennen und es zu bedauern. Der Direktor des zum Glück geschlossenen Jugendwerkhofs aus Torgau, Horst Kretzschmar, schrieb in seiner Diplomarbeit: „In der Regel benötigen wir drei Tage, um die Jugendlichen auf unsere Forderungen einzustimmen.“ Ich glaube, dass einigen, höchstwahrscheinlich der Mehrheit bewusst ist, was hinter diesen „drei Tagen“ steht und was mit „einstimmen auf unsere Forderungen“ gemeint ist. Unrecht zu benennen, zu erkennen und zu bedauern ist zustimmungswürdig – definitiv. Ich zumindest werde das auch machen. Aber meiner Meinung nach reicht das nicht aus. Es wird der Situation, es wird den Erinnerungen, den Folgen, den Traumata und ähnlichem mehr der Kinder und Jugendlichen, welche heute Erwachsene sind, nicht gerecht. Meiner Meinung nach reicht es nicht aus, ihnen unser Bedauern mitzuteilen. Aber auch Ihr Antrag geht ja nicht nur so weit, das Bedauern mitzuteilen, sondern fordert ja in den Punkten 2, 3, 4 und 5 weitere Maßnahmen. Da begrüßen Sie die wissenschaftliche Aufarbeitung, fordern die Landesregierung auf, an einer Aufklärung der Problematik mitzuarbeiten, eine Beteiligung der DDR-Opferverbände und eine Berichterstattung. An genau diesen Punkten habe ich Schwierigkeiten mit Ihrem Antrag, die es mir unmöglich machen, heute zuzustimmen. Insofern bin ich glücklich, dass Sie die Überweisung selber beantragt haben.

Sie begrüßen die wissenschaftliche Aufarbeitung, was mir vollkommen unverständlich ist, denn auf die Antwort auf meine Kleine Anfrage an die Landesregierung vom Juni 2010 antwortete die Landesregierung im August, dass sie über keine gesicherten Erkenntnisse, keine gesicherte Datenlage zur Anzahl der Kinder und Jugendlichen in Kinderheimen im Zeitraum von 1971 bis 1990 verfügt. Ebenso ist der Landesregierung nicht bekannt, wie lange die Aufenthaltsdauer war, welche Gründe im Einzelnen zur Einweisung führten, inwieweit politische Repression beispielsweise der Grund der Einweisung war usw. usf. Inwieweit man dann eine wissenschaftliche Aufarbeitung begrüßen kann in Form von „diese gibt es bereits, diese ist abgeschlossen“, ist für mich zumindest fragwürdig.

Worauf ich hinaus will: Ich glaube, dass uns allen das Thema wichtig genug ist und auch ernst genug ist, um eben mehr zu fordern als das, was heute hier im Antrag der FDP steht. Eben eine wissenschaftliche Aufklärung misst eine Sichtung und Sammlung der noch vorhandenen Akten, der noch vorhandenen Daten, die ja leider zum großen Teil auch bereits vernichtet sind, darüber hinaus die Fortführung und Weiterführung der biographischen Interviews, die, wie Frau Taubert bereits erwähnte, mit über 300 Betroffenen schon stattfanden und mit weiteren erfolgen sollen. Das fehlt mir allerdings in dieser Eindeutigkeit in Ihrem Antrag. Für mich gibt es mehrere Ebenen, zum einen die Einzelschicksale, diese wahrzunehmen und auch wahrzunehmen, welche Auswirkungen die Zeit in den insbesondere Jugendwerkhöfen damals in der DDR heute noch haben. Es geht um einen tieferen Blick auf das, was Kindern und Jugendlichen geschehen ist damals. Aber auch hier erhoffe ich einen differenzierteren Blick.

Es gibt im Internet ein Forum, welches sich „Jugendwerkhof.info“ nennt, in dem sich Betroffene unterschiedlicher Jahrgänge und unterschiedlicher Heime über ihre Erfahrungen austauschen, welches sie zur Vernetzung nutzen und welches sie nutzen, um Geschichten voneinander zu erzählen. Diese berichten sehr unterschiedlich. Das reicht – so verrückt das vielleicht klingen mag – von Dankbarkeit für die Zeit, die sie in unterschiedlichen Kinderheimen und Jugendwerkhöfen hatten, bis hin zu den Berichten von Grausamkeiten, die dann allerdings sehr erschreckend. Die Betroffenen ziehen eben diese Unterschiede zwischen den einzelnen Heimen und sie ziehen sie auch in den Jahrgängen. Ich denke, hier müssen wir auf alle Fälle unseren Blick schärfen, wenn es uns um eine differenzierte, wissenschaftliche Aufarbeitung und Aufklärung geht. Es geht eben auch um Möglichkeiten der Rehabilitation und diese geht nicht, wenn keine entsprechende Aktenlage vorhanden ist, so schade das auch im Einzelfall für den jeweils Betroffenen sein mag. Ich denke aber auch, dass es darüber hinaus nicht nur um Geld geht, sondern dann eben auch um psychologische Begleitung und Betreuung, möglicherweise um finanzielle Unterstützung, um z.B. eine Vertretung, einen Verband der Betroffenen in Kinder- und Jugendwerkhöfen der DDR aufzubauen und zu unterstützen. Genau diesen gibt es, wie Frau Taubert gesagt hat, nämlich noch nicht.

Insofern halte ich auch den Punkt der Beteiligung der Opferverbände für schwierig, denn es gibt, wie gesagt, dieses Vertretungsorgan nicht. Dann frage ich mich, wem wollen Sie das Sprachrohr der Betroffenen, wem wollen Sie die Meinungshoheit der Betroffenen, wem wollen Sie die Stimme der Betroffenen dann geben? Ich glaube, unsere Aufgabe wäre es eher, diese bei dem Aufbau einer solchen Vertretung zu unterstützen und die wissenschaftliche Aufklärung und Aufarbeitung voranzutreiben, auch wenn wir höchstwahrscheinlich alle wissen, dass dies sehr viel Zeit und Mühe bedeutet und eben keine Frage von einem Arbeitskreis ist, der auf drei Monate, ein Jahr oder wie auch immer angesetzt ist, sondern höchstwahrscheinlich mehrere Jahre in Anspruch nehmen wird. Aber, ich glaube, es wird sich lohnen. Es lohnt sich für die Betroffenen, es lohnt sich, um Möglichkeiten der Unterstützung, Rehabilitation und Entschädigung auszuloten. Es lohnt sich aber auch, um den Betroffenen mehr Respekt und auch mehr als nur Bedauern per Erklärung zu vermitteln. So wichtig dieses auch ist, ich denke, dass es auch um ganz konkrete Unterstützungsleistungen geht.

Letztendlich geht es auch um mehr als um die erschreckenden Einzelerlebnisse, die die Betroffenen hatten. Es geht um eine für mich differenzierte Aufarbeitung und Aufklärung eines Systems, welches nicht davor zurückschreckte, auch Kinder und Jugendliche mit unterschiedlichen Methoden umzuerziehen – natürlich nicht alle. Natürlich gibt es auch – von zumindest einigen habe ich das gelesen – positive Erfahrungen, aber die Berichte von Betroffenen, die davon sprechen, wie ihnen das Rückgrat gebrochen wurde, nicht im bildlichen Sinne, sondern eher im Sinne wie ihnen die Jugend genommen wurde, wie sie zu sozialistischen Persönlichkeiten ohne Rücksichtnahme auf die jeweils eigene Persönlichkeit erzogen werden sollten, denke ich, all das sollte mit im Mittelpunkt unserer Aufarbeitung, Aufklärung bzw. der der Wissenschaftler stehen.

„Ich bin als Mensch geboren und will als Mensch hier raus“, lautet eine Inschrift, die im Jugendwerkhof Torgau von einem Insassen gefunden wurde. Wenn wir das wollen, dass das den Betroffenen ermöglicht wird, dann brauchen wir mehr als den heute vorliegenden Antrag. Ich bin froh, dass er an den Sozialausschuss überwiesen wurde, hoffe, dass wir dort die Möglichkeit haben, ihn zu überarbeiten, ihn zu verfeinern, und möchte zum Schluss der Ministerin Taubert danken für die Einberufung des Arbeitskreises und vor allem auch für die Einstellung der Mittel in den kommenden Haushalt, des Jahres 2011, denn das ist doch dann letztendlich die Entscheidung, wie ernst es gemeint ist, wenn man dann auch Mittel dafür zur Verfügung stellt. Ich denke, dass die 40.000 € nicht ausreichen werden, um die wissenschaftliche Aufklärung, Aufarbeitung, die uns vorschwebt, die mir vorschwebt, zu bewältigen, aber sehe es als einen ersten sehr guten, positiven Schritt und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE)

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