In Gera findet jährlich das Festival »Rock für Deutschland« statt. In der Vergangenheit hat es sich zu einem Großereignis der Neonaziszene entwickelt, nun plant ein breites Bündnis die Blockade des Events. von Till Grefe
Am 10. Juli veranstaltet die NPD zum achten Mal in der ostthüringischen Stadt Gera das Festival »Rock für Deutschland«. Im vergangenen Jahr reisten dafür tausende Neonazis aus ganz Europa an. Gemeinsam mit Gewerkschaften, Jugendverbänden und Parteien mobilisieren Antifagruppen gegen das Rechtsrockfestival, das auf der sogenannten Spielwiese stattfinden wird. Anfang Juni trafen sich die Aktivisten des Bündnisses »Dresden nazifrei« zu einer Bilanz- und Strategiekonferenz, bei der auch über eine mögliche Blockade des anstehenden Nazievents beraten wurde.
Nicht bei allen Teilnehmern fiel die Bilanz dieser Tagung positiv aus. So bemängelte ein Besucher, dass die emanzipatorische Linke in vielen Bündnissen gegen Rechts derzeit nur die Funktion eines Dienstleisters innehabe und sich dem inhaltlichen Minimalkonsens der bürgerlichen Akteure unterordne. Auch die Antifaschistische Aktion Gera (AAG) kritisiert in ihrem Blockadeaufruf den desolaten Zustand der regionalen autonomen Antifapolitik. In den Jahren 2003 und 2004 konnte man bei der Mobilisierung gegen das Festival noch regionale Erfolge verzeichnen, mit der zunehmenden Etablierung des Nazifestivals habe die Solidarität jedoch nachgelassen. Im vergangenen Jahr seien »selbst wenige Kilometer Anreise den meisten Gruppen aus der näheren Umgebung, wie Jena oder Leipzig, zu weit« gewesen. Darüber hinaus skandalisiert die AAG jedoch auch die verbalen Angriffe gegen linken antifaschistischen Protest. So kommentierte der Kommunalpolitiker Dirk Plette vom Wählerbündnis »Arbeit für Gera« im vergangenen Jahr die Mobilisierung gegen »Rock für Deutschland« und warnte, man müsse aufpassen, dass sich nicht wieder solches »Viehzeugs« und »Gesocks« beteilige. Auf Nachfrage der Ostthüringer Zeitung bestätigte er, dass er damit den »linksextremen schwarzen Block« gemeint habe. Auch regionale SPD-Politiker hatten erklärt, es sei » kein Geheimnis, dass Nazikundgebungen und Aufmärsche in gleicher Weise von linksextremen Demonstrationstouristen genutzt werden, um Intoleranz und Menschenverachtung mit gleicher Münze zu beantworten«.
Trotz der Kritik an solchen Positionen setzt man derzeit auf ein breites Bündnis gegen das Nazifestival. »Seit Dresden 2010 ticken die Uhren ein wenig anders, die Entsolidarisierung vom letzten Jahr wurde überwunden«, sagt ein Mitglied der AAG im Gespräch mit der Jungle World. Dass die Vertreter von Gewerkschaften und Kirchen, aber auch Mitglieder von SPD und Grünen in der Blockade eine Möglichkeit sehen, das Nazifestival zu stören, erscheint ihm nach den erfolglosen Mobilisierungsversuchen der vergangenen Jahre als ein Fortschritt. Die AAG mobilisiert gemeinsam mit dem Bürgerbündnis gegen »Rock für Deutschland« und plant darüber hinaus eine Demonstration, die vor dem Festival stattfinden wird. »Für die Demo am Vorabend gibt es mehrere Gründe, sie soll einerseits der Mobilisierung dienen, zum anderen wollen wir die Zustände in Gera, den alltäglichen Nicht-Umgang mit Nazis thematisieren. Nazis immer dann zu blockieren, wenn sie irgendwo aufmarschieren, reicht nicht aus«, sagt Katharina König, Landtagsabgeordnete der Linkspartei, die die Demonstration angemeldet hat. Den Schwerpunkt allein auf das Blockieren von Nazi-Events zu legen, lehnt König ab. Im Gespräch mit der Jungle World kritisiert sie, dass eine Beschäftigung mit Nazistrukturen und der alltäglichen Gewalt, die von Neonazis ausgeht, nur noch selten stattfinde, stattdessen werde die Auseinandersetzung zunehmend auf Großereignisse verlagert. »Mit der Blockade von Naziaufmärschen schafft man keine Veränderungen im Alltag von Flüchtlingen, alternativen Jugendlichen und anderen, die von Nazis bedroht werden.«
Die Polizei habe angekündigt, am 10. Juli hart gegen jegliche Blockadeversuche vorzugehen, bestätigt König. Auch Vertreter der AAG berichten, dass Thomas Quittenbaum, stellvertretender Leiter der Polizeidirektion Gera, und Polizeioberrat Michael Zimmermann in den Kooperationsgesprächen eine »Armada« von Polizeikräften angekündigt hätten. In diesem Jahr rechnet man mit bis zu 3 000 Nazis, die die Veranstaltung besuchen werden, im vergangenen Jahr waren etwa 5 000 Nazis nach Gera gereist.
Publikumsmagnet beim letzten »Rock für Deutschland« war ein Auftritt von »Die Lunikoff Verschwörung«. Sie gilt als inoffizielle Nachfolgeband der als kriminelle Vereinigung verbotenen Gruppe »Landser«, ihr Frontmann ist deren früherer Sänger Michael »Lunikoff« Regener. »Unzählige Nazis im Publikum zeigten während des Konzerts den Hitlergruß, und nichts passierte. Die 600 Polizeibeamten waren an diesem Tag völlig überfordert«, beschreibt ein Mitglied der AAG das Nazifestival im Vorjahr. Begleitet wurde die Veranstaltung von Ansprachen des NPD-Landesvorsitzenden Frank Schwerdt und des Parteivorsitzenden Udo Voigt. »Ich bin stolz ein Nazi zu sein«, bekannte Peter Nürnberger, im vergangenen Jahr NPD-Spitzenkandidat der thüringischen Kommunalwahlen, bei seinem Auftritt auf der Bühne. Während seiner Rede griff er die 700 Gegendemonstranten an, die gegen das Open-Air-Festival protestierten.
Das Nachrichtenmagazin »Report München« wurde auf das Nazispektakel und die äußerst bescheidenen Ausmaße des Protestes dagegen aufmerksam und wertete dies als Indiz dafür, dass sich in vielen deutschen Städten eine Enttabuisierung der Neonaziszene vollziehe. Im Gespräch mit den Reportern zeigte sich Norbert Vornehm (SPD), Bürgermeister der Stadt Gera, hilflos. »Ich bin der Meinung, dass die NPD eine verfassungsfeindliche Partei ist und deshalb verboten gehört.« Aber die Diskussion, verteidigte Vornehm sich und seine Stadt Gera, »können wir nicht führen anhand einer einzelnen Veranstaltung in irgendeiner Stadt, sondern da müssen wir uns einer ganz grundsätzlichen Auseinandersetzung stellen.«
Die AAG geht jedoch davon aus, dass die Initiative für das Nazi-Event »Rock für Deutschland« in Gera nicht ausschließlich auf die NPD der Bundes- oder Landesebene zurückzuführen sei. Den Rahmen des Fesitivals stellt die regionale Nazimusikszene, die mit Proberäumen, Plattenlabels und Treffpunkten fest in Gera verankert ist. »In Gera ist es kaum möglich, alternative Lebensentwürfe zu probieren«, beschreibt Katharina König die Situation in der Stadt. »Genau dies ist meines Erachtens einer der Gründe, warum Gera für Nazis so interessant ist.«