Im aktuellen Anstoß – der hier auch als pdf gelesen werden kann – findet sich ein Artikel von uns, der im folgenden dokumentiert wird:
Nicht auf Spaltungsversuche hereinfallen
…und weitere gebärfähige Personen
Im letzten Anstoß wurde die „Women’s Humans Right Campaign” (WHRC) zitiert, die einen Beschluss der Bundestagsfraktion der LINKEN kritisierte, in dem von „Frauen und anderen gebärfähigen Personen“ die Rede war. Die WHRC schrieb: „Wenn Begriffe wie ‚schwangere Personen’ und ‚gebärfähige Körper’ benutzt werden, werden Frauen ausgelöscht und unsere Erfahrung des Frauseins entwertet“. Das wäre vielleicht wahr, wenn der Antrag der unserer Fraktion im Bundestag nur von „gebärfähigen Personen“ gesprochen hätte. An erster Stelle wurden aber „Frauen“ genannt, erst danach kamen „weitere gebärfähige Personen“. Frauen wurden weder (sprachlich) ausgelöscht noch ihre Erfahrungen entwertet. Die WHRC unterschlägt das, weil sie behaupten wollen, dass Frauenrechte und Rechte für Transmänner und -frauen sich gegenseitig ausschließen. Und Kara Dansky, eine der Führungsfiguren der WHRC, ist für solche Thesen gerngesehene Interviewpartnerin bei Tucker Carlson, einer der rassistischsten und faschistischen Einpeitscher beim rechten US-Sender Fox News. Die LINKE tut also gut daran, nicht auf die Behauptungen einer solchen rechten Gruppe hereinzufallen.
Transmänner und das dritte Geschlecht
Wer ist also gemeint, wenn die Bundestagsfraktion von „weiteren gebärfähigen Personen“ spricht. Gemeint sind Menschen, die schwanger werden können, aber keine Frauen sind. Männer, die im Körper einer Frau geboren wurden, können nach dem Transsexuellengesetz (seit 1980) ein kompliziertes Verfahren inklusive einer verpflichtenden psychologischen Begutachtung durchlaufen, um auch vor dem Gesetz als Männer zu gelten, inklusive Namensänderung und Änderung des Geschlechtseintrags. Seit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes 2005 ist dafür auch keine mehr Zwangssterilisation mehr nötig: Manche Transmänner sind also „gebärfähige Personen“.
Darüber hinaus gibt es Menschen, die sich weder als Mann noch als Frau fühlen. Sie können seit 2018 beantragen, dass im Personenstandsregister ihr Geschlecht als „divers“ vermerkt wird oder der Geschlechtseintrag leer gelassen wird. Vor dem Gesetz und für den Staat gelten diese Menschen ungeachtet des Geschlechts, das vor der Änderung in ihrem Personalausweis stand, nicht als Frauen. In einem Antrag, der die Situation von Schwangeren verbessern soll, neben Frauen nicht auch von „weiteren gebärfähigen Personen“ zu sprechen, würde diese also potenziell von Unterstützungsangeboten ausschließen.
Haben die keine anderen Probleme?
Doch, haben sie. Transpersonen verdienen unterdurchschnittlich (in der Studie „Out im Office“ berichten etwa 25% der Transmänner und -frauen und 40% derer, die weder Männer noch Frauen sind, dass sie unter 1000 Euro netto verdienen), werden am Arbeitsplatz diskriminiert oder wurden (wie in der Studie 8 Prozent berichten) sogar entlassen, als sie sich als trans outeten. Trans-Jugendliche erleben in großer Mehrheit Ablehnung von ihren Eltern und in der Schule, transfeindliche Gewalt ist keine Seltenheit. All das führt dazu, dass die Selbstmordrate unter Transpersonen deutlich höher ist als im Durchschnitt. Es geht also nicht nur oder auch nur hauptsächlich um die korrekte Sprache oder Toilettenschilder – wie es die AfD gern behauptet – sondern darum, dass Leute begreifen, dass Transmenschen keine Menschen zweiter Klasse sind, die man beleidigen, schlagen und wie Dreck behandeln kann.
Dieser neumodische Kram
Weil in den letzten Jahren mehr über Transmenschen geredet wird, kann man die Idee bekommen, dass es sie früher nicht gab. Vielleicht kann die Geschichte von Evgenij Federovitsch diesen Irrtum beheben: Evgenij war Kämpfer in der Oktoberrevolution und Mitarbeiter der Tscheka, der sowjetischen Geheimpolizei. 1922 heiratete er eine Postangestellte und erkannte ein paar Jahre später das Kind, dass seine Frau zur Welt brachte als das seine an. Etwas später wurde gegen ihn Klage wegen eines „Verbrechens wider die Natur“ erhoben, weil Evgenji Federowitsch als Evgenja Federovna geboren wurde und bis zum Tod seines Vaters – Evgenij war 17 – als Mädchen lebte. Die frühe Sowjetunion hatte jedoch kein Problem mit Transmännern und erkannte Evgenij und auch seine Ehe (die Homoehe existierte in der Sowjetunion nicht) an. Evgenij war also, 1922 in der Sowjetunion, eine der „weiteren gebärfähigen Personen“, von der unsere Bundestagsfraktion sprach.
Lauter skurrile Minderheiten
In der Linken wird in den letzten Jahren vermehrt darüber diskutiert, ob es falsch ist, sich für die Rechte von Transpersonen, Migrant*innen usw. einzusetzen, und man sich lieber auf die Arbeiterinnen und Arbeiter konzentrieren sollte. Meines Erachtens ist diese Diskussion falsch, weil sie den bürgerlichen Gegensatz von liberaler Freiheit (von Diskriminierung) und sozialer Freiheit (von Ausbeutung) wiederholt. Falsch einerseits, weil die meisten Teile dieser „skurrilen Minderheiten“ Arbeiter*innen sind, häufig sogar aufgrund von Diskriminierungen in schlecht bezahlten Jobs und Berufen zu finden. Andererseits aber auch, weil die Linke (und die LINKE) es nie schaffen wird, die Mehrheit der Erniedrigten, Geknechteten, Verlassenen und verächtlich Gemachten in einem gemeinsamen Kampf zusammenzubringen, wenn Solidarität nicht über Unterschiede hinweg (ob nun Hautfarbe, Geschlecht, Sexualität oder Essgewohnheiten) hergestellt werden kann. Und dass das möglich ist, dafür muss man gar nicht bis in die frühe Sowjetunion schauen: In den Bergarbeiterstreiks in Großbritannien 1984/1985 – der großen, leider verlorenen Abwehrschlacht gegen Thatchers Neoliberalismus – fanden sich Schwule und Lesben, Bisexuelle und Transpersonen als „Lesbians and Gays Support the Miners“ zur Unterstützung der streikenden Bergarbeiter zusammen. Sie sammelten Geld für die Streikkasse und fuhren in die Bergbauregionen, um die Streikposten zu unterstützen. Der Arbeitskampf ging verloren, aber 1985 waren wiederum Bergarbeiter mit ihren Gewerkschaftsfahnen auf der „Lesbian and Gay Pride“-Demonstration in London unterwegs, um für queere Rechte einzutreten. Sich nicht auf Spaltungen der Klasse einlassen, sondern für die Solidarität werben und kämpfen: das ist linke Politik.