Unser Redebeitrag auf der Kundgebung „Wir sind mehr – solidarisch durch die Pandemie“ am 22.1.2022 in Saalfeld:
Wir haben heute schon einiges über die Coronapandemie und die Belastungen gehört, die mit ihr für das Gesundheitssystem, aber auch für uns alle einhergehen, ebenso über die Maßnahmen, die staatlicherseits zur Eindämmung der Pandemie ergriffen wurden. Über diese Maßnahmen ließe sich vieles sagen. Ich erinnere nur an die Kampagne #ZeroCovid, die im Januar 2021 forderte, durch einen konsequenten Lockdown die Pandemie einzudämmen anstatt bloß zu versuchen, die Belastungen für die Krankenhäuser zu kontrollieren und „moderate“ Ansteckungszahlen zu erreichen; „moderate“ Ansteckungszahlen, die bisher 115.00 Tote in Deutschland bedeuteten. Immer wieder gab es in Deutschland und anderswo aber auch Schüler_innenproteste gegen eine vorschnelle Rückkehr in den Präsenzunterricht. Vereinzelt, etwa in Italien, gab es zu Beginn der Pandemie gar Streiks von Arbeiter_innen, die die Schließung ihrer Fabrik und aller nicht lebensnotwendigen Produktionsstätten forderten.
Die Proteste gegen die laschen und kapitalfreundlichen Anti-Corona-Maßnahmen fielen auch deshalb so schwach aus, weil sich massenhaft zu versammeln während einer hochansteckenden Pandemie schwierig ist – wir stehen hier nicht mehr Leuten, weil wir Abstand halten können wollen.
Diese vernünftige Zurückhaltung hat die Straßen lange denen überlassen, die die Hygiene- und Eindämmungsmaßnahmen als Gefährdung ihrer Freiheit ansehen, sich von einer Schutzimpfung bedroht fühlen und alles in allem den Beginn einer Diktatur zu erkennen meinen, die dem historischen Nationalsozialismus in nichts nachstehe.
Über den antisemitischen Gehalt dieses Vergleichs, in dem Ungeimpfte heute aufgrund von 3G oder 2G-Regelungen im Nahverkehr oder der Gastronomie mit den Jüdinnen und Juden gleichgesetzt werden, die im Holocaust ermordet wurden, und über die vielen antisemitischen Stereotype in den Thesen über eine Weltverschwörung, die die Pandemie erfunden habe oder zumindest die Maßnahmen gegen sie lenke, will ich heute nicht reden.
Stattdessen möchte ich über das Verständnis von Freiheit reden, das diese Freiheit davon bedroht sieht, im Nahverkehr einen Mund-Nase-Schutz zu tragen. Die Freiheit, die da bedroht ist, ist die Freiheit, selbst kleine Unannehmlichkeiten nicht in Kauf nehmen zu müssen, um andere, Alte, Risikogruppen, aber auch alle anderen, zu schützen. Es ist die egoistische Freiheit, keine Rücksicht auf Schwächere nehmen zu müssen, sich nicht mal über sie Gedanken machen zu müssen.
Dass bei den sogenannten Querdenker_innen viele organisierte Neonazis mitlaufen und häufig organisatorische Funktionen übernehmen, ist daher kein Zufall. Und es liegt auch nicht bloß daran, dass dort, wo der Nationalsozialismus verharmlost wird, antisemitische Stereotype verbreitet werden und die Demokratie angegriffen wird, Neonazis sich pudelwohl fühlen. Sondern es liegt auch an diesem Verständnis von Freiheit. Auch Neonazis haben die Vorstellung, dass nur der Starke frei sein darf, und seine Freiheit eine Freiheit zur Herrschaft über die Schwächeren ist. Historisch sah man das an dem Vernichtungskrieg im Osten, der Siedlungsland für die angebliche Herrenrasse schaffen sollte, eine Fantasie, in der Pol_innen und Russ_innen maximal als Arbeitssklav_innen vorkamen. Man sah es aber auch an der Ermordung von Menschen mit geistigen, körperlichen und seelischen Behinderungen im nationalsozialistischen Deutschland in der „Aktion T4“.
Neonazis schlossen und schließen an den historischen Nationalsozialismus an, etwa in der Welle an Morden an Obdachlosen Anfang der 1990er Jahre, auch in Thüringen, oder in den Angriffen auf Geflüchtete, damals wie heute. Sie schließen aber auch an den historischen Nationalsozialismus an, der gegen die angeblich „jüdische“ Impfpflicht – damals ging es um Pocken – mobilisierte. Die Idee damals wie heute: Ein starker Körper brauche keine Impfung und keine Schutzmaßnahmen, und wenn Schwache an Krankheiten wie Covid-19 sterben sei das „natürliche Auslese“.
Gegen eine solche Vorstellung der Freiheit, Freiheit zur Verachtung der scheinbar Schwachen, stehen wir hier heute zusammen. Unsere Freiheit ist die Freiheit einer Gesellschaft, in der sich alle entfalten können, eine Freiheit die Rücksicht nimmt auf unsere Mitmenschen. Eine Freiheit, die solidarisch ist.