Schreiben der Betroffenen des rassistischen Vorfalls in der Tafel Schwarza vom 20.03.2020

Wir veröffentlichen hier ein Schreiben der Betroffenen, welche vergangene Woche Freitag in der Tafel Schwarza () einen rassistischen Vorfall erlebten. Das Schreiben ist eine Reaktion auf den OTZ Artikel vom 25.03.2020 und das Interview mit dem Saalfelder Tafel-Chef Jürgen Brengel. Dieses soll dazu dienen, sich ein eigenes und neutrales Bild der Ereignisse zu schaffen.

„Aufgrund der personellen Engpässe der Tafel, bedingt durch die Coronakrise, entschlossen sich am 20.03.2020 freiwillige Helfer*innen aus dem Umfeld es Jugend- und Wahlkreisbüro Haskala, die Tafel im Landkreis -Rudolstadt zu unterstützen. Gerade weil wir wissen und anerkennen, welche Bedeutung die Tafelarbeit für sozial Benachteiligte und ältere Menschen in unserem Land hat wollten wir unbedingt unsere Hilfe anbieten und unterstützen.
Bereits in der Woche vom 9.03. bis 15.03 wurde diesbezüglich Kontakt durch einen Mitarbeiter des Haskala mit zuständigen Personen der Tafel in der Region aufgenommen. Da der Vorsitzende der Saalfelder Tafel, Jürgen Brengel, in dieser Woche selbst nicht zu erreichen war, wurde durch eine Mitarbeiterin ein Telefonat für die nächste Woche vereinbart, welches am Mittwoch, dem 18.03, mit Herrn Brengel stattfand. Daraus ergab sich am folgenden Tag ein persönliches Gespräch, in dem alle Einzelheiten zum Einsatz von mehreren Personen am Freitag, dem 20.03., besprochen wurden. Der Vorsitzende der Saalfelder Tafel gab an, dass zwei bis vier Personen sinnvoll unterstützen könnten. Somit entschlossen sich – aufgeteilt auf zwei Schichten – sieben Engagierte aus dem Umfeld des Haskala, von 9 bis 12 und 12 bis 15 Uhr die Ausgabestelle Rudolstadt-Schwarza personell zu unterstützen.Am Morgen des Freitages um 9 Uhr erschienen die ersten drei Unterstützer*innen – alle ohne erkennbare Migrationsgeschichte – und stellten sich bei den Ehrenamtlichen der Tafel vor. Diese wussten im ersten Moment nicht von der Hilfe (offenbar gab es Kommunikationsschwierigkeiten zwischen dem Vorsitzenden der Tafel und den Ehrenamtlichen vor Ort), nahmen die Hilfe jedoch dankend an und wiesen die Helfer in ihre Arbeit ein.Gegen 10 Uhr frühstückten alle Helfenden (Ehrenamtliche und Unterstützer*innen aus dem Haskala) gemeinsam in den Räumen der Ausgabestelle. Dabei offenbarten sich bereits erste Vorurteile und Verallgemeinerungen gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund. So wurde über diese ausgesagt, dass sie nichtmal ihren Namen schreiben könnten und auch ihr Geburtsdatum nicht wüssten. Weiterhin führten sie aus, die Geflüchteten müssten wieder zurück, um dort ihr Land wieder aufzubauen, denn hier hielten sie sich eh nicht an „unsere Regeln“ und Deutschland sei ohnehin ein zu kleines Land für so viele andere Menschen.Nach der eigenen Meinung zu diesem Thema gefragt, antworteten die Unterstützer*innen aus dem Haskala-Umfeld, dass man Geflüchtete akzeptiere, man moralisch und humanitär gesehen verpflichtet sei, diese aufzunehmen und der Meinung wäre, dass diese durchaus einige Probleme in Deutschland lösen könnten – gerade in Bezug auf den Fachkräftemangel. Darauf wurde zwar erwidert, dass dies keine Fachkräfte seien, allerdings wurde die Meinung vorerst akzeptiert bzw. nicht weiter darauf eingegangen, da die Helfer*innen des Haskala für kurze Zeit vor die Ausgabestelle traten, um eine Pause zu machen. Während dieser kurzen Auszeit wurde festgestellt, dass das Arbeiten durch die geäußerten Meinungen der Ehrenamtlichen etwas unangenehmer wird und es durchaus ein Schock ist, dass gerade Ehrenamtliche der Tafel, die Hilfsbedürftige unabhängig ihres Glaubens, ihrer Herkunft oder anderer Verschiedenheiten unterstützen, eine solche Meinung gegenüber bestimmten Gruppen von Menschen haben. Ein Abbruch der Tätigkeit wurde zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht in Erwägung gezogen. Die Personen der ersten vereinbarten Schicht arbeiteten somit noch bis 12 Uhr weiter.Um diese Zeit kamen auch die zweite Schicht von Unterstützer*innen aus dem Haskala an – zwei davon mit erkennbarer Migrationsgeschichte – und betraten die Räumlichkeiten der Ausgabestelle. Darauf reagierten einige Ehrenamtliche der Tafel mit dem Kommentar, was diese Ausländer denn jetzt auf einmal hier wollten. Man ging erst davon aus, dass sie sich registrieren und die Dienste der Tafel in Anspruch nehmen wollten, bis ein Unterstützer der ersten Schicht darauf hinwies, dass dies die Personen der zweiten Schicht seien und die bisherigen Unterstützer*innen jetzt – wie abgesprochen – gehen würden. Dadurch wohl in Aufruhr versetzt, reagierte eine Ehrenamtliche der Tafel mit den Worten: „Das lasse ich mir nicht bieten. Wenn die Ausländer kommen, werde ich gehen.“ Andere Ehrenamtliche stimmten ihr entweder zu oder widersprachen zumindest nicht. Anschließend führte eine Ehrenamtliche der Tafel aus, dass man den Mindestabstand, um eine Übertragung des Coronavirus zu erschweren, gar nicht einhalten könne und auch alle hier Helfenden einen Gesundheitspass bräuchten. Beide bis dahin an keiner Stelle erwähnten Hygienevorschriften hatten bei der ersten Schicht keine Rolle gespielt. An dieser Stelle sei erwähnt, dass aus der Haskala-Gruppe nur die zwei mit Migrationsgeschichte über einen Gesundheitspass verfügen. Es wurde ein Gespräch mit „dem Verantwortlichen“ (Katharina König-Preuss, MdL) gefordert, schließlich jedoch wurde die (telefonische) Kommunikation mit ihr abgelehnt. Da es keinerlei weitere Reaktion auf die Vorfälle gab, wurde die Unterstützung für diesen Tag abgebrochen und die Unterstützer*innen aus dem Umfeld des Haskala trafen sich im Wahlkreisbüro, um die Vorfälle zu reflektieren und gemeinsam eine Pressemitteilung zu formulieren.
Trotz der schweren Vorfälle hatten die Unterstützer*innen aus dem Umfeld des Haskala beabsichtigt, die wichtige Arbeit der Tafel an anderen Ausgabestellen weiterhin zu unterstützen. Auch über ein klärendes Gespräch mit den Ehrenamtlichen der Tafel wurde sich intern weitestgehend bereits abgestimmt, jedoch herrschte noch Uneinigkeit darüber, wie es in Zeiten der Ansteckungsgefahr durch Corona durchgeführt werden soll. Diese Überlegungen haben sich nun erübrigt. Leider müssen wir erneut feststellen, dass Betroffenen nach rassistischen Vorfällen nicht geglaubt wird. Nur weil etwas vermeintlich nicht so gemeint war, heißt das nicht, dass es nicht rassistisch war. Wir gehen aufgrund der Vielzahl von Äußerungen jedoch davon aus, dass die Aussagen bewusst getroffen wurden. Wir stellen damit weder die Tafel noch die Ehrenamtlichen in die „rechte Ecke“. ist ein Problem quer durch unsere Gesellschaft hinweg. Wir haben ihn benannt und werden ihn weiter benennen, weil er uns und unseren Freund*innen alltäglich begegnet und viel zu häufig unwidersprochen bleibt. Dass wir, die sich solidarisch zeigen, nun auch noch als die Bösen dargestellt werden und eine Entschuldigung für die Thematisierung von und Kritik an Rassismus gefordert wird, lässt uns nur noch kopfschüttelnd zurück.
Wir wollten die Tafel in dieser schweren Zeit weiter unterstützen und wir waren mehrheitlich zu einem Gespräch bereit. Wir sind jedoch nicht dazu bereit, uns zu entschuldigen, wenn wir rassistisch beleidigt werden und dieses öffentlich thematisieren. Wir sind nicht die Täter, sondern die Betroffenen. Wenn die Tafel Saalfeld-Rudolstadt nicht in der Lage ist, Rassismus zu erkennen und zu benennen, sehen wir leider keine Grundlage für eine weitere Zusammenarbeit.

– gezeichnet von Adem Lahaj, Leon Schwalbe, Ali Ali, Tanita, Andreas, Max und Stephan“

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