Aufruf zum 29. antifaschistischen und antirassistischen Ratschlag Thüringen am 1. und 2. November in Bad Langensalza

Seit 1991 findet der antifaschistische und antirassistische Ratschlag jährlich um den 9. November, dem Jahrestag der Reichspogromnacht, an wechselnden Orten in Thüringen statt. Ziel ist die Analyse aktueller Entwicklungen in Region und Gesellschaft, die Vernetzung sowie Suche nach gemeinsamen Handlungsperspektiven gegen Rechts.

Situation in Thüringen

Thüringen ist seit Jahrzehnten für Nazis ein strategisch wichtiges Bundesland. Von Teilen der Landespolitik weitestgehend ignoriert bis begünstigt und auch sonst kaum nennenswerten Hindernissen ausgesetzt, konnten sich Neonazis über die Jahre hinweg frei entfalten. Aus diesem rechten Milieu entstand der NSU.

Finanziell unterstützt vom Thüringer Verfassungsschutz konnten Strukturen aufgebaut werden, mit dem erwirtschafteten Geld aus Konzerten und Veranstaltungen wurden Immobilien erworben und eine profitable Veranstaltungsszene entwickelt. Was wir heute in Themar erleben müssen, ist dabei nur die Spitze des Eisbergs. Während in Kirchheim und Leinefelde unter dem Deckmantel der Versammlungs- und Meinungsfreiheit Nazis ungehindert feiern und ihre Strukturen pflegen konnten, wurde Eisenach aufgrund einer antifaschistischen Demonstration hermetisch abgeriegelt und befand sich im polizeilichen Ausnahmezustand.

Daran und am Umgang mit Geflüchteten und Migrant*innen sieht man, dass auch die rot-rot-grüne Landesregierung und die zuständigen Ausländerbehörden der Kommunen kaum Teil der Lösung sind. Auch wenn die Asyl- und Migrationspolitik im wesentlichen Bundespolitik ist, hat das Land hier Gestaltungsspielraum, wie einige positive Beispiele zeigen – die Ausbildungsduldung oder das Abschiebeverbot aus Kliniken. Trotzdem wurden im vergangenen Jahr knapp 700 Menschen aus Thüringen in Elend, Hunger und Not abgeschoben. Vielerorts herrscht eine Politik der Isolation und Abschreckung gegenüber Geflüchteten und Migrant*innen, die letztes Jahr fünf Menschen in Apolda in den Tod trieb. Während Ausländerbehörden sich weigern, elektronische Aufenthaltstitel auszustellen oder Arbeitsverbote zu streichen, fordert die CDU-Fraktion im Weimarer Land sogar, kein Bargeld mehr an Schutzsuchende auszugeben und das diskriminierende Sachleistungsprinzip mit Essenspaketen oder Wertgutscheinen wieder einzuführen. Auf Bundesebene wurde die Politik in Bezug auf Geflüchtete und Migrant*innen zum wiederholten Male verschärft.

Der Bundesminister für Inneres, Bau und Heimat Horst Seehofer, der sich zu seinem 69. Geburtstag über 69 Abschiebungen freute, brachte mit Zustimmung von SPD und Teilen der Grünen das sogenannte „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ durch, welches u.a. Pro Asyl als „Hau-ab-Gesetz“ kritisiert. Durch dieses Gesetzespaket können Menschen, deren Asylantrag abgelehnt wurde, in reguläre Knäste gesteckt werden. Personen ohne gültige Personaldokumente werden mit Arbeitsverboten und Wohnsitzauflagen belegt. Außerdem bedroht das Gesetz die solidarische Unterstützung von Geflüchteten, weil der gesamte Ablauf von Abschiebungen zur Geheimsache deklariert wird, was zur Folge hat, dass es als „Geheimnisverrat“ strafbar ist, wenn z.B. über Abschiebetermine öffentlich informiert wird.

Situation in Bad Langensalza

Seit Jahren versucht die rechte Szene in und um Bad Langensalza Immobilien zu erwerben. So z.B. die NPD das „Bürohaus Europa“, was sie durch breiten Widerstand vor Ort nicht halten konnte. Weniger Glück hatte die Gemeinde Ballstädt. Dort zogen bekannte Neonazis in eine von ihnen gekaufte Immobilie ein. Diese dient als Treffpunkt und Veranstaltungsort und war Ausgangspunkt für einen gewalttätigen Übergriff auf die örtliche Kirmesgesellschaft. Kurze Zeit später wurde von den Neonazis Marco Z., Steffen M. und dem am Übergriff beteiligten Rocco B. eine Immobilie in Henningsleben, einem Ortsteil von Bad Langensalza, erworben und bezogen. Zwar stand diese zwischenzeitlich wieder zum Verkauf, ist jedoch weiterhin in deren Eigentum und wird bis heute aktiv genutzt. Da Z. und M. zur führenden Neonaziszene in Thüringen gehören, ist davon auszugehen, dass die Immobilie als Treffpunkt und Proberaum diverser Neonazibands wie zum Beispiel „Sonderkommando Dirlewanger“ fungiert.

Bündnis gegen Rechts Bad Langensalza

Um auf diese Zustände aufmerksam zu machen, hat sich in Bad Langensalza das Bündnis für Ju­gendkultur und Toleranz Unstrut-Hainich gegründet. Zu Beginn der Bündnisarbeit hat ein antifa­schistisches Selbstverständnis ausgereicht, um Angstzustände und Ablehnung hervorzurufen. Durch Aufklärung und neue Kooperationen mit ortsansässigen Vereinen und Organisationen sowie ver­schiedenen Projekten und Aktionen gelang es, die anfänglichen Vorurteile zum größten Teil abzubauen.

AfD: Deutschland als Lösung aller Probleme

Zur Gegenwehr zwingt jedoch nicht bloß der Kampf gegen die Nationalsozialist*innen der NPD, sondern ebenfalls das Auftreten der selbsternannten Alternative für Deutschland (AfD). Ein knappes Viertel der Wähler*innen im Unstrut-Hainich-Kreis II gab seine Stimme zur Bundestagswahl 2017 sowie zu den Kommunal- und EU-Wahlen 2019 der AfD. Die Thüringer AfD ist für ihren rechtsra­dikalen „Flügel“ um die Kameraden Björn Höcke und Stephan Brandner bekannt, der v.a. gegen Geflüchtete und sog. Linksextremisten agitiert. Wie menschenverachtend die Behauptungen der Höckes und Brandners sind, wird besonders deutlich, wenn etwa von einer „Flüchtlingsflut“ die Rede ist, die als Naturkatastrophe quasi ungebändigt über Deutschland herein bräche. Ebenso realitätsfern ist es, wenn Parteien wie die SPD und Gewerkschaften als „linksextremistisch“ definiert werden und zivilgesellschaftlichen Organisationen wie der Amadeu-Antonio-Stiftung angedroht wird, die Mittel zu streichen. Die Agitation und der Kampf gegen vermeintliche „Linksextremisten“ sowie gegen Geflüchtete stellen zugleich die Eckpunkte der Ideologie der AfD dar.

Tatsächlich verschleiern die AfDler*innen die faktischen Gründe gesellschaftlicher Krisen und be­kämpfen deren Abschaffung. Das Kapital führt weltweit durch patriarchale Unterdrückung und Aus­beutung der Lohnabhängigen zu einer stetigen Entwertung der Ware Arbeitskraft. Dieses Verhältnis ist der reale Grund für sog. berechtigte Ängste. AfDler*innen plädieren für die Verschärfung der Widersprüche des kapitalistischen Systems und seiner Zusammenbrüche. Dieser Widerspruch kann im Kapitalismus nicht aufgehoben, sondern nur abgemildert werden. Aber nicht einmal das will die AfD: Stattdessen verkehrt sie die Widersprüche zu einem Widerspruch zwischen Deutschen und „Ausländern“. Die aus den – der kapitalistischen Gesellschaft immanenten – Prinzipien von Konkurrenz und Profitzwang resultierenden ökonomischen Krisen, deren Folge Arbeitslosigkeit sowie Kollaps sozialer Sicherungen sind, werden somit umgelogen zu Arbeitsplatzklau durch billiglohnarbeitende oder vermeintlich den Sozialstaat ausnutzende Geflüchtete und Migrant*innen.

Die AfD ist in ihrem Kern antisemitisch und antifeministisch. Die Partei versucht, jegliche Errun­genschaften der Frauen*bewegung zu bekämpfen, um die männlichen Privilegien weiterhin am Leben zu erhalten. Die Partei polemisiert gegen Feminismus und vertritt mit aller Vehemenz eine Politik gegen die körperliche und sexuelle Selbstbestimmung von Frauen und LGBTIQ*- Personen. Die angebliche Gleichstellungspolitik der AfD wird von der Partei für rassistische Forderungen instrumentalisiert. Unser feministisches Verständnis schließt den Kampf für alle Frauen* ein! Antifaschistische Arbeit ist feministisch! Der Ratschlag ist feministisch!

Die AfD stellt sich zwar gern als „Garant jüdischen Lebens“ in Deutschland dar, jedoch sind antise­mitische Denkmuster und Einstellungen unter den Anhänger*innen und Funktionsträger*innen der Partei weit verbreitet: Das zeigen sowohl die Ergebnisse einer Allensbach-Umfrage unter AfD-An­hänger*innen vom Sommer 2018, in der 17 Prozent der Befragten angaben, dass sie nicht gerne neben Juden wohnen würden und mehr als die Hälfte der Aussage zustimmte, dass Juden weltweit zu viel Einfluss hätten, als auch Äußerungen prominenter AfD-Politiker wie Alexander Gauland („Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in unserer über 1000-jährigen Geschichte“, Juni 2018 ), Höcke („Wir brauchen nichts anderes als eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“, Januar 2017) und Wolfgang Gedeon („Wie der Islam der äußere Feind, so waren die talmudischen Ghetto-Juden der innere Feind des christlichen Abendlandes“, 2012). Es zeigt sich deutlich: Judenhass und Geschichtsrevisionismus sind in der AfD zu Hause.

Angriff auf die politische Linke

Die zunehmende Akzeptanz faschistischer Positionen in der Gesellschaft durch die AfD erfordert eine klare Positionierung dagegen und diese wird immer schwieriger. Das Verfahren gegen das Künstler*innenkollektiv Zentrum für politische Schönheit, das sich kritisch mit dem AfD-Politiker Höcke und dessen relativierenden Äußerungen zum Holocaust auseinandergesetzt hat, passt in dieses Schema eines Staates, der mehr Interesse daran zeigt, linke Aktivist*innen zu verfolgen, als die Ursachen und Auswüchse von Rassismus und Menschenfeindlichkeit zu bekämpfen. Die damit beabsichtigte Verunsicherung politisch Aktiver ist längst eingetreten.

Nicht alle Angriffe auf linke Organisationen sind neu – viele beobachten wir seit Jahren. Vereine wie die Rote Hilfe, der Thüringer Flüchtlingsrat, Gewerkschaften und Opferberatungsstellen unterstützen linke antifaschistische Aktivist*innen, Betroffene rechter Gewalt oder staatlicher Repression in vielfältiger Weise. Daran ist nichts Illegales, im Gegenteil. Trotzdem wurde erst kürzlich das Verbot der Roten Hilfe diskutiert, die sich für politische Grundrechte u.a. durch die Vermittlung solidarischer Anwält*innen und in der Prozessbegleitung engagiert. Wir wenden uns gegen die staatliche Verurteilung von linkem Engagement, gegen staatliche Repression einschließlich der Überwachung durch den Verfassungsschutz. Dass ausgerechnet dezidiert linke Organisationen, Initiativen und Zusammenschlüsse von staatlicher und juristischer Seite zunehmend angegriffen werden, halten wir nicht für einen Zufall. Kritische und linke Projekte werden gezielt sabotiert, legitimiert durch die pseudowissenschaftliche Extremismus-Doktrin, die vermehrt wieder Konjunktur feiert. Inzwischen scheinen sich viele so sehr an diese Angriffe gewöhnt zu haben, dass sich auch im rot-rot-grün-regierten Thüringen kaum Widerstand dagegen erhebt und die staatliche Verurteilung von linkem Engagement zusätzlich legitimiert wird.

Breiten Widerstand organisieren

Neonazistische Organisationen und Strukturen gedeihen dort, wo es keinen öffentlichen Widerspruch gibt. Hier müssen Menschen innerhalb und außerhalb der Politik, Engagierte in Vereinen und Verbänden, jede*r selbst vor Ort einhaken, Aufklärungsarbeit und Sensibilisierung gegenüber rechtem Gedankengut betreiben und aktiv werden.

Ein breiter und unabhängiger Antifaschismus gestützt von handlungsfähigen Organisationen kann Transparenz und aktives Handeln von der Politik einfordern, kann rechte Lobbymacht kenntlich machen, kann Solidarität üben und die aktive Beteiligung am politischen Geschehen gewährleisten. Den seit 2015 ansteigenden rechten Angriffen in Thüringen müssen wir etwas entgegensetzen. 2017 gab es die höchste Zahl von gemeldeten Angriffen mit rassistischem Tathintergrund seit 2007, in 2018 die höchste bisher registrierte Anzahl rechter Angriffe. Für bestimmte Menschengruppen ist das Leben in Thüringen nicht sicher. Legitimiert wird dies durch rassistisches, antisemitisches und antifeministisches Denken. Die Parolen und Argumentationen begegnen uns in Schule, Öffentlichkeit und Betrieb.

Der Ratschlag wird auf die aktuelle Situation aufmerksam machen und antifaschistisch und antiras­sistisch arbeitende Menschen in Bad Langensalza und Thüringen vernetzen und unterstützen. Deshalb kommt am 1. und 2. November 2019 nach Bad Langensalza!

Das Programm des Ratschlags findet ihr hier.

 

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