Die Nacht des Mittwoch geht in den Donnerstag morgen über. Wir genießen den Sonnenaufgang am Strand, Kaffee und Bagel auf dem Weg zur Unterkunft. Und dann sind wir da und mal wieder ist es ein schwerer Abschied. 15 Jahre kennen wir uns nun, kennengelernt auf einem Zeltplatz am See Genezareth, bereits damals erzählten wir eine ganze Nacht durch. Sohn, Enkel ungarischer Juden, bis zur II. Intifada ein „linker Israeli“. Nach dem Lynchmord an zwei israelischen Soldaten in Ramallah im Oktober 2000 – der im Fernsehen übertragen wurde – war er es – wie viele andere – nicht mehr.
Wir saßen an diesem 12. Oktober im Haus einer israelischen Linken, Künstlerin, engagiert für den Ausgleich zwischen Israelis und Palästinensern, eine Freundin. Während des Gesprächs über Möglichkeiten des Friedens steht sie auf, erklärt dass sie unbedingt die Nachrichten schauen müsse, irgendwas wäre heute passiert. Nach ca. 30 Minuten kam sie wieder. Tränenüberströmt.
„Ein sich am Tatort befindendes italienisches Fernsehteam konnte filmen, wie der leblose Körper eines der beiden Soldaten aus dem Fenster des Polizeireviers geworfen wurde und eine Gruppe von draußen stehenden Männern sofort weiter auf den Toten einschlugen und eintraten. Der Körper des anderen Soldaten wurde angezündet und durch die Straßen geschleift.“ (Quelle)
Seit dem 12. Oktober ist vieles anders. Die linke Bewegung in Israel verzeichnete einen starken Einbruch, Verständnis für die Seite der Palästinenser_innen gab es nur noch selten laut zu hören. In Ramallah, der offensten Stadt der Westbank geschehen. In der Stadt, in der weder die Hamas noch sonstige Gruppierungen bis dahin als beherrschend galten. Täter waren die Bewohner dieser vormals als weltoffenen geltenden Stadt. Der Bruch des Verständnisses und des Engagements auf israelischer Seite für Palästinenser_innen konnte bis heute nicht wieder hergestellt werden.
Der Abschied nimmt wie immer viel Zeit in Anspruch. Er, der heutige „rechte Israeli“, der bis zu diesem Lynchmord mehrere Freunde bei Terroranschlägen verlor und trotzdem immer weiter an Frieden glaubte, und ich, die auf beiden Seiten Freunde Besuchende. In ihm ist im Oktober 2000 etwas zerbrochen. Ebenso wie bei meiner Freundin, die aufgrund der mit dem Lynchmord verbundenen Panikattacken ausreiste und heute mit ihrem Sohn in Schweden lebt. So konnte sie verhindern, dass er den Militärdienst in Israel ableisten musste.
Es ist kaum mehr zu kitten. Immer wieder erzählte ich ihm von Freunden auf palästinensischer Seite, die nicht in jedem Israeli eine Feind sähen, deren Hoffnung aufgrund des Vorgehens der israelischen Armee aber ebenso wegen der von der Hamas gewonnenen Wahlen und deren Unterstützung von Anschlägen dahin sei. Die nicht mehr wüssten, wohin, nicht mehr wüssten, was tun. Die teils auf „schwarzen Listen“ stehen eben wegen ihres Engagements. Diesmal erreiche ich bei ihm ein „ulei“. Vielleicht im September, Oktober, vielleicht nächstes Jahr. Nicht die Hoffnung auf ein gemeinsames Treffen aufgeben.
Ein Abschied bis September. Trotzdem wie immer ein schwerer. 15 Jahre verbinden.
Mittags am Strand, in einem der vielen Cafés. Limonad im Nana, Kafe hafouch. Nichts dabei. Kein Laptop, kein Buch, kein Handy. Stunden sitzen und nachdenken. Aus Deutschland kommen immer noch mails. Wegen meiner Aussage bei „Report München“. Die Minderheit befürwortet. Purer Hass schlägt teils entgegen. „Faschistenfreundin“. „Judenfreundin“. Ob ich nicht wüsste, dass Israel ein rassistischer Apartheidsstaat sei. Ich solle raus aus der LINKEn, den Platz frei machen für andere, die „wahrhaft links“ seien.
Die Gedanken aus dem Kopf schütteln fällt schwer. Und trotzdem, es muss sein. Ein Treffen mit einem weiteren Freund wartet. In einem Café der Dizengoff-Straße sprechen wir über seine Armeezeit, die Situation in Deutschland, Israel, den Nahostkonflikt, persönliches. Ein weiterer Abschied bis September. „Boom Pam“ und ein Konzert im „Barby“ warten zum Abschied. „Boom Pam“ – die ich bei einem Konzert in Jena in der JG-Stadtmitte vor einigen Jahren kennenlernen durfte – sorgen für einen richtig guten Abschiedsabend. Und Uzi freut sich über das Wiedersehen.
Nachts, viertel nach 1 israelischer Zeit. Wir sitzen in einem Café nähe des Mittelmeeres. Rolling Stones mit „You can’t always get what you want“ im Hintergrund.
Ja.
In einer Stunde kommt das Auto zum Flughafen.
Abschied.