Leicht angestrengt begann der Tag. Kaffee und Zigaretten alle – und das am Shabbat in der Jerusalemer Neustadt. Stille, fast menschenleere Straßen dazu gleißende Sonne auf dem Weg zu einem der wenigen 24/7 Läden im Zentrum Jerusalems. Ein orthodoxer Jude spricht mich an: „Jesch lach zigarja?“ nein, habe ich nicht. Noch nicht. Der Laden ist noch 100 Meter entfernt. Ich bitte ihn zu warten und kehre mit genügend Zigaretten zurück. Suchend, die Gegend beobachtend, blickt er um sich, ein Lächeln zieht über sein Gesicht als er die Zigaretten in meiner Hand erblickt und zieht mich in einen Hinterhof. Dort raucht er sehnsüchtig eine Zigarette, zwei weitere versteckt er in seinem schwarzen Mantel. „Shabbat Shalom“.
Am Shabbat ist (in Jerusalem) vieles so anders. Wie ein Sonntag in Europa mal gewesen sein mag. Kaum Autos auf den Straßen, wenn Menschen zu sehen sind, eilen sie schnellen Schrittes Richtung Westmauer oder schlendern auf autoleeren Straßen.
Das bolinat hat offen. Und es gibt Kaffee. Dazu limonad im nana und Frühstück. Der Tag beginnt. Der Streifzug durch Jerusalem schließt sich an. Die menschenleere Neustadt liegt schnell hinter uns und nur wenige Minuten Fußweg entfernt in der Altstadt tobt die Lebendigkeit.Menschen schieben sich und werden durch die übervollen Gassen geschoben, die Masse bestimmt das Tempo.
Tief einatmen, um all die Gerüche wahrzunehmen, schnelle Blicke nach links und rechts, zur Orientierung und um den Kanafeh-Laden nicht zu verpassen.
Das muslimische Viertel hinter uns gelassen, sind wir im christlichen. Etwas Ruhe, die Erlöserkirche und ein Besuch bei Maurice, der einige Zeit in israelischen Gefängnissen verbrachte, nun im christlichen Viertel eine Anstellung gefunden hat und dem die Zeit im Gefängnis anzusehen ist. Nur Teile des Erlebten sind mir bekannt.
Nach einem Gespräch mit ihm, einem Aufstieg auf den Turm der Erlöserkirche und dem damit verbundenen Blick über die Dächer der Altstadt steigen wir hinab in die Gewölbe der Grabeskirche. Weihrauch und Kerzen überall. Jede Kerze für einen Wunsch eines Menschen. Hunderte Menschen berühren die Salbungsplatte Jesu, streicheln zärtlich die Wände, blicken hingebungsvoll gen Himmel. Und stehen an. Stunden. Für 3 Minuten in der Kapelle über seinem Grab. Dann lautes Klatschen des Aufsehers; die Nächsten bitte.
Wir entziehen uns in’s armenische Viertel. Ruhe.
Der Muezzim ruft zum Gebet, in der Grabeskirche beginnt ein Gottesdienst und das Shabbatende steht kurz bevor. Die Gassen in der Nähe des jüdischen Viertels werden voller, das Shabbatende wird an der Westmauer verbracht. Freude in den Gesichtern der Betenden, Gesänge Jugendlicher, Zettel zwischen den Mauerstücken. Wünsche.
Die windig-warme Abendsonne spüren wir auf dem Ölberg.
Neben uns eine Gruppe junger Soldaten, denen eine israelische Reiseleiterin lautstark versucht, die Historie des Ölbergs zu vermitteln.
Sie kämpft gegen den Wind und die in den Gesichtern zu erkennende Müdigkeit an und verliert.
Am jüdischen Friedhof vorbei erhaschen wir einen Blick auf’s „Goldene Tor“, lachen und streiten mit einem Taxifahrer um den Preis. Einen Konsens gefunden, sind wir wenige Minuten später im Gartenrestaurant des Jerusalem Hotel, inmitten von christlichen Familien, jungen unverheirateten muslimischen Paaren und rauchenden muslimischen Frauen. Der Weg zurück in die Neustadt verläuft zwischen zur Westmauer eilenden Juden, lautstark ihre Waren anbietenden Arabern Israels und Polizei.
Kurz vor der Neustadt spricht mich ein junger orthodoxer Jude an: „Jesch lach zigarja?“ Ja, habe ich. Erfreut nimmt er eine Zigarette aus der Schachtel und steckt sie mitten auf der Straße an. Shabbat ist vorbei.