Bedient man sich nach Belieben?

Das Sarrazin’sche Fass hat vieles zum Vorschein gebracht, dass man eigentlich gar nicht so genau wissen wollte. Jetzt geht es auch noch um die „christlich-jüdischen“ Werte Deutschlands, die gegen Muslime verteidigt werden müssten. Gerade richtig zum 9. November.

Von Anetta Kahane

Seit Sarrazin ein Fass aufgemacht hat, von dessen Inhalt wir zwar eine Ahnung hatten, aber es eigentlich nicht so genau wissen wollten, haben wir doch einiges gelernt. Ob die Debatte das alte Gesicht des „hässlichen Deutschen“ wiedererstehen lässt, oder am Ende doch nur kreischender Abgesang auf die Idee einer blutsdeutschen, völkischen Nation ist, ist noch nicht entschieden. Vielleicht ist es beides. Dem Rassismus – nennen wir es mal beim Namen – in der deutschen Gesellschaft, wie er sich jetzt wieder zeigt, muss endlich ins Auge geschaut werden. Und: im Grunde weiß es jeder – in einer globalisierten Welt kann es sich kein demokratisch konstituiertes Industrieland leisten, auf Einwanderung zu verzichten. Es müsste, um sich hier ein Umdenken zu ersparen, eines von beidem aufgeben: entweder die Demokratie oder den Wohlstand. So einfach ist das.


Symbol einer deutschen Perversion

Doch der Weg zur Erkenntnis ist lang und oft sehr hässlich. Im Moment versuchen Populisten es erstmal mit einem besonders widerlichen Manöver: sie kategorisieren die in Deutschland lebenden Minderheiten in gute und schlechte, in kluge und dumme, in integrierte und integrationsunwillige und wie zum Symbol einer besonderen deutschen Perversion – in Juden und Muslime. Das kommt gerade recht zum 9. November, dem Gedenktag zu Erinnerung an das, wozu Deutsche fähig waren: das industrielle Morden an den Juden Europas. Und nun, 65 Jahre nach dem Ende dieser Barbarei, nehmen deutsche Politiker die Juden in Anschlag um mit einer angeblich christlich-jüdischen Kultur gegen den Islam zu schießen. Mit den „Klugen“ gegen die „Dummen“, mit den „Zivilisierten“ gegen die „Unzivilisierten“, mit den „Ordentlichen“ gegen die „Schmarotzer“. Das klang vor 70 Jahren genauso – nur waren mit dem Bösen damals die Juden gemeint, während die Nazis im arabischen Raum mit dem Islam kokettierten. Also bedient man sich hier ganz nach Belieben?

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