Aufruf zum 20. antirassistischen und antifaschistischen Ratschlag am 6. November 2010 in Saalfeld
Seit 1992 findet in Thüringen an wechselnden Orten der antirassistische und antifaschistische Ratschlag statt. In der Einladung zum ersten Ratschlag hieß es: „Die Gewalt gegen Angehörige anderer Völker, Andersdenkende und Minderheiten ist fast alltäglich geworden.“ Unser Engagement gegen Neonazismus in all seinen Facetten sowie seine brutalen Folgen ist unverändert wichtig und aktuell. Noch immer sind wir der Überzeugung, dass wir ein breites, gesellschaftliches Bündnis aus unterschiedlichen Menschen und Gruppen brauchen, um gemeinsam Strategien gegen menschenverachtende Ideologien wie Rassismus oder Antisemitismus zu entwickeln und in die Praxis umzusetzen.Im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt erzielte die NPD mit über 6% ihr höchstes Ergebnis bei den Thüringer Landtagswahlen 2009, obwohl sie hier über keine nennenswerten Parteistrukturen verfügt. Darüber hinaus zeigt die Situation am Ort des diesjährigen Ratschlags, dass es für alltägliche Ausgrenzung keine organisierte Naziszene braucht. Beschimpfungen und rassistische Ausgrenzung von Migrant_innen durch „ganz normale Bürger“ gehören auch in Saalfeld genauso zum traurigen Alltag wie das Schimpfen auf „Sozialschmarotzer“ oder „Punker“. Sätze wie „Das ist doch schwul!“ oder „Scheiß Zecken“ kann man auf Schulhöfen, in Kneipen oder auf der Straße hören und bleiben viel zu oft unwidersprochen – gerade in Zeiten zunehmender sozialer Konflikte, in denen die Kosten der Wirtschafts- und Finanzkrise einseitig auf abhängig Beschäftigte und Arbeitslose abgewälzt werden.
Auch diesen Zuständen setzen wir unsere solidarische und kontinuierliche Praxis entgegen. Dabei haben sich die Rahmenbedingungen unseres Engagements in den letzten 20 Jahren verändert: Die ersten Ratschläge fanden in einem gesellschaftlichen Klima statt, in dem große Teile der Bevölkerung auf offener Straße Pogrome wie in Rostock-Lichtenhagen beklatschten. Erschien unser Einsatz gegen Neonazis damals noch verdächtig, so wurde die „Bekämpfung des Rechtsextremismus“ unter Rot-Grün zur finanziell geförderten Staatsdoktrin, welche zeigen sollte, dass „die deutsche Nation“ ihre Lehre aus der Geschichte gezogen hat und die ihr internationales wirtschaftliches und militärisches Engagement nicht in Verruf geraten lassen wollte.
Die daraus hervorgegangenen staatlich-finanzierten Programme haben den Kampf gegen Neonazis professionalisiert und Projekte ermöglicht, die sonst nicht realisierbar gewesen wären. Dennoch gibt es keinen Grund zur Entwarnung: Nicht nur rassistische Sondergesetze und die Trennung in „nützliche“ und „unnütze“ Migrant_innen bleiben gesellschaftlich weitgehend unhinterfragt.
Spätestens seit dem Regierungsantritt der schwarz-gelben Koalition zeigt sich, dass der staatlich geförderte „Kampf gegen Rechtsextremismus“ seinen politischen Preis hat. „Linksextremismus“ heißt angeblich die neue Gefahr. Es erfolgt zunehmend eine gefährliche Gleichmacherei, welche die scheinbar demokratische Mitte in einem umso helleren Licht erstrahlen lässt.
Wir werden unsere Arbeit gegen Rassismus, Antisemitismus sowie Nationalismus und ihre Ursachen fortsetzen. Wir rufen alle, die dieses Anliegen teilen, auf, sich am 20. Ratschlag zu beteiligen. Denn auch heute gilt:
antirassistischer und antifaschistischer Ratschlag in Thüringen vielfältig und entschlossen!
Weitere Infos: www.ratschlag-thueringen.de