„Rausch“, ein genuin deutsches Wort, kommt vom Rauschen in den Ohren, beispielsweise nach einem Sprint, beschreibt einen Wahrnehmungsüberhang, etwas, das den Sinnen hinzutritt, meist diffus und unscharf, oft unterschwellig, schwer zu greifen, etwas, das das sinnliche Erleben verstärkt, erweitert, verwirrt, etwas, in dem sich der Verstand verlieren und verlaufen kann, das ihn auf manches fokussiert und anderes, manchmal die wichtigsten Dinge, aus dem Blickfeld schubst. Im Rausch zeigt sich die erstaunliche Fähigkeit des Bewußtseins, sich zu erweitern und zu verschieben, Vertrautes produktiv zu befremden und sich Fremdem anzunähern. Der Kapitalismus verengt diese Fähigkeit auf die Frage nach den Mitteln, mit denen sich bestimmte Rauschzustände herbeiführen lassen, als Waren, die produziert, vertrieben und konsumiert werden können.
Die politische Diskussion in kapitalistischen Gesellschaften behandelt entsprechend nur die Rechtmäßigkeit und Kontrolle dieser Warenzirkulation und ihrer sozialen Begleiterscheinungen.
Die Entwicklung von bewußtem Rausch und genußvoll berauschtem Bewußtsein bleibt unter diesen Bedingungen eingeklemmt zwischen einerseits der vergeblichen Jagd nach nüchterner Zurechnungsfähigkeit und andererseits Betäubung mit Hang zur Selbstzerstörung und unbefriedigendem Gewohnheitsgebrauch. Es soll gleichzeitig so viel wie möglich aus den Menschen herausgeholt und so viel wie möglich in sie hineingesteckt werden, und diejenigen, aus denen nicht genug rauskommt und in die nicht genug hineingeht, sollen bei der ganzen Prozedur nicht stören. In der nationalsozialistischen Zuspitzung wurde der Rausch esoterisch-romantisch verbrämt und für die Vernichtung indienstgestellt, selbstbestimmte Berauschung und individueller Genuß wurden hingegen als Feinde bekämpft.
War die bürgerliche Revolution dem Programm nach noch angetreten, die von Mythos und Alkohol benebelten Untertanen der alten Ordnung auszunüchtern, so befördert die realexistierende bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft – mit und ohne leistungssteigernde, aufputschende, schmerzlindernde und ruhigstellende Psychopharmaka – ein rauschhaft-besinnungsloses Rutschen durch die Bahnen der gesellschaftlichen Erwartung von Nützlichkeit und Verwertbarkeit, auf den Kellerleichen der eigenen Komplizenschaft und auf den Trümmern des eigenen schöpferischen Potentials.
Letzteres könnte erst in einer Gesellschaft entfaltet werden, die nach den Bedürfnissen der Menschen eingerichtet ist oder in der kämpfenden Bewegung daraufhin, wofür sich das Potential des Erkenntnisgewinns und der Persönlichkeits- und Bewußtseinsveränderung durch kontrolliertes Herbeiführen und Zulassen bestimmter Rauschzustände als hilfreich erweisen könnte. Sich vom allgemeinen Dauerrausch auszunüchtern und die kritische Vernunft behutsam zu berauschen, sollten dabei keine sich ausschließenden Strategien sein, sondern günstigstenfalls zusammenwirken.
Der Vortrag behandelt die Geschichte der beiden großen globalen Verbotswellen der letzten reichlich 100 Jahre, die bis heute weiterwirken und sich überlagern, und vor deren Trümmerhaufen sich alle gestellt sehen, die sich dem Projekt von bewußtem Rausch und einer bedürfnisorientierten Produktionsweise weiter widmen wollen. Es soll der weitverbreiteten Vorstellung entgegengewirkt werden, zu dem Thema wäre alles gesagt, letztlich wäre das alles nicht mehr so schlimm und eines jeden Privatangelegenheit, man müsse sich nur irgendwie mit den blöden Gesetzen arrangieren – wo doch der allgemeine Aufklärungs- und Bewußtheitsgrad verblüffend niedrig und die zu beobachtende Rauschpraxis oft erschütternd ist.
Um sich nicht der herrschenden Alternative von Verwaltung oder Verfall auszuliefern, gilt es, die eigenen Fähigkeiten zu Selbstorganisation und Ekstase zur Entfaltung zu bringen, andere dazu anzustiften und daran teilhaben zu lassen.