Für Katharina König-Preuss, Obfrau für die Fraktion DIE LINKE im Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss, ist das Urteil im Münchner NSU-Prozess nur ein erster Schritt der juristischen Aufarbeitung. „Heute ist nur ein kleiner Teil des NSU-Terrornetzwerkes für den mehr als ein Jahrzehnt andauernden rassistischen Terror, für Morde und Sprengstoffanschläge verurteilt worden. Die Anklage weiterer Unterstützerinnen und Unterstützer muss zügig folgen.“
Neben dem direkten Umfeld der Untergetauchten im Raum Chemnitz werde auch gegen André Kapke als weiterem Thüringer Unterstützer durch das BKA ermittelt, der zumindest in der Zeit nach dem Untertauchen aktiv Geldmittel für die Drei besorgte und gemeinsam mit Ralf Wohlleben das Netzwerk von Helfern und Unterstützern aufbaute. Dieses Netzwerk habe es dem Kerntrio erst ermöglicht, unerkannt zu bleiben und gedeckt durch ihre Kameradinnen und Kameraden Raubüberfälle, Attentate und Morde zu begehen.
Gerade mit Blick auf dieses Netzwerk sei jedoch die juristische Ahndung der Straftaten selbst nur ein Teil der erforderlichen Aufarbeitung ist König-Preuss überzeugt: „Die Aufklärung und Aufarbeitung des NSU ist und bleibt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Sie ist auf allen Ebenen fortzusetzen, solange das Aufklärungsversprechen der Bundeskanzlerin gegenüber den Betroffenen und Angehörigen nicht umfassend erfüllt ist.“ Aufzuklären sei ebenso die Verwicklung staatlicher Stellen und was über den NSU und seine Verbrechen den Sicherheitsbehörden bekannt war. „Das Versprechen der Kanzlerin von uneingeschränkter Aufklärung bleibt solange eine hohle Phrase, wie Sicherheitsbehörden ihr eigenes Handeln aktiv vertuschen und meinen, das Staatswohl stünde über dem Aufklärungsinteresse und den berechtigten Forderungen der Angehörigen der Opfer“, kritisiert König-Preuss die auch im Prozess immer wieder zutage getretenen Versuche, behördliches Wissen zurückzuhalten, Unterlagen zu vernichten und eigenes Fehlverhalten zu leugnen.
Das häufig zweifelhafte Agieren der Sicherheitsbehörden im Zusammenhang mit dem NSU dürfe nicht nur am Rande behandelt und bagatellisiert werden. König-Preuss hat daher heute in drei Fällen Strafanzeige gegen Mitarbeiter Thüringer Sicherheitsbehörden gestellt, die nach ihrer Auffassung durch ihr Tun oder Unterlassen aktiv dazu beigetragen haben, dem NSU das Untertauchen zu ermöglichen oder Geldmittel zur Unterstützung zur Verfügung gestellt haben.
Hinsichtlich der Verurteilung Ralf Wohllebens zu zehn Jahren Haft verweist König-Preuss auf die besondere Rolle, die Wohlleben sowohl im Netzwerk des NSU als auch für die organisierte deutsche Neonazi-Szene spielte. „Wohlleben ist nach wie vor ein überzeugter Neonazi, der, während seine untergetauchten Freunde mordend durch die Bundesrepublik zogen, die ideologische Begleitung in Form der Blood&Honour-Konzerte ‚Fest der Völker‘ in Jena organisierte.“ Er sei im Zuge des Prozesses geradezu zur Ikone der Neonaziszene geworden, die auch auf Konzerten Geld für ihn sammelte und seine Verteidigung unterstützte. Angesichts der langen Untersuchungshaft müsse befürchtet werden, dass Wohlleben bereits im nächsten Jahr aufgrund guter Führung aus der Haft entlassen werden könnte. König-Preuss ist überzeugt, dass Wohlleben dann als „Märtyrer“ der Szene nach Thüringen zurückkomme und ideologisch da weitermachen werde, wo er und der „NSU“ und seine Helfer vor dem November 2011 standen und agierten.
„Wirklich konsequent Verantwortung zu übernehmen und alle Schuldigen zu benennen ist etwas anderes als – zum Teil auch noch lächerlich geringe – Strafen zu verhängen. Diese Verantwortungsübernahme steht immer noch aus“, mahnt König-Preuss mit Verweis auf das Zitat der verstorbenen Nebenklagvertreterin Angelika Lex vom Beginn des Prozesses: Auf diese Anklagebank gehören nicht fünf, sondern 50 oder noch besser 500 Personen, die mitverantwortlich sind für diese Mordtaten, diese Sprengstoffanschläge, nicht nur weil sie sie nicht verhindert haben, sondern auch, weil sie nichts getan haben, um sie aufzuklären, aber auch, weil sie aktiv mitgewirkt und unterstützt haben. Damit haben sie unsägliches Leid über die Angehörigen der Mordopfer und Verletzten gebracht.