Zur Vorstellung des Thüringer Verfassungsschutzberichtes für 2016 erklärt Steffen Dittes, innenpolitischer Sprecher der Linksfraktion: „Wir erkennen an, dass sich der Bericht von denen der vergangenen Jahre abhebt und sowohl in Struktur und erklärenden Ansätzen verbessert hat. Andererseits müssen wir feststellen, dass er nichts Neues enthält und im Wesentlichen auf lange veröffentlichte Informationen von Polizei, Journalisten, antifaschistischen Gruppen und Zivilgesellschaft, aber auch des Amtes in Form seiner zu Recht wegen ihrer qualitativen Mängel abgeschafften Monatsberichte, zurückgreift.
So berichtet der Verfassungsschutz ausführlich über Straftaten gegen eine AfD-Politikerin, jedoch über Übergriffe gegen LINKE, SPD und CDU mit keinem einzigen Wort. Dabei gab es viele Fälle, wie einen Sprengmittelanschlag in Saalfeld, Attacken in Eisenach und Altenburg oder ein eigens von der Neonazi-Szene verbreiteter Mordaufruf in Liedform gegen eine LINKE-Landtagsabgeordnete. Bei jeder Verfassungsschutzberichtsvorstellung schreibt sich der Dienst die Zahlen der politisch motivierten Kriminalität auf die eigene Fahne, obwohl diese immer bereits im März des Jahres identisch durch das LKA vorgestellt wurden und sowohl Gefahrenabwehr als auch Strafverfolgung originäre Aufgaben der Polizei sind.
Dass der Berichtsteil ein gravierendes Missverhältnis ausweist, hält Dittes für problematisch. Obwohl zwei Drittel aller politisch motivierten Straftaten dem rechten Bereich zugeordnet werden, werden im Phänomenbereich ‚Linksextremismus’ allein 14 konkrete Fälle über mehrere Seiten ausgeführt, im Bereich Rechtsextremismus mit über 1.570 Straftaten und einen massiven Anstieg der Gewaltdelikte um 40 Prozent findet sich eine vergleichbare Darstellung aber nicht. Dittes verweist in diesem Zusammenhang auch darauf, dass im Bericht ausgerechnet unter der Rubrik Linksextremismus zwei Sprengstoffanschläge auf eine Dresdner Moschee mit Hinweis auf ein vermeintliches Bekennerschreiben auf dem linken Internetportal ‚Indymedia‘ genannt werden. Dabei werde mit der Äußerung ‚Ermittlungen laufen noch‘ suggeriert, dass diese von mutmaßlichen Linksextremisten begangen worden seien. Dies sei „grotesk“, da das Schreiben nicht nur eine offenkundige Fälschung sei, sondern ein Tatverdächtiger, ein extrem rechter PEGIDA-Redner, längst in Untersuchungshaft sitze. Auch, dass etwa die ‚Rote Hilfe‘ nach wie vor Erwähnung finde, der zur Last gelegt werde, dass sie das strafprozessuale Recht der Aussageverweigerung offensiv bewerbe, Übertretungen des Rechtsstaates kritisiere und Beratungen zur Rechtslage in Form von Vorträgen und Publikationen durchführe, treffe auf die deutliche Kritik der Fraktion DIE LINKE.
Katharina König-Preuss, Sprecherin für Antifaschismus der Linksfraktion: „Zwar um Jahre verspätet aber immerhin beleuchtet der Verfassungsschutz nun auch das Thema Neue Rechte. Beschämend ist jedoch, dass der Geheimdienst an dem Punkt fast vollständig von der Bundeszentrale für politische Bildung abschreibt, teilweise aus zehn Jahre alten Dokumenten, und zu keiner eigenständigen aktuellen Analyse fähig ist. Vor dem Hintergrund der in Thüringen aktiven und relevanten Strukturen, wie Identitäre Bewegung, Ein-Prozent Bewegung oder Gruppen wie ‚Bürger für Erfurt‘ ist die fehlende Analyse in Zeiten des Rechtsrucks fatal. Hier zeigt sich erneut, dass Entwicklungen der rechten Szene besser und transparenter durch zivilgesellschaftliche Organisationen dargestellt und analysiert werden.“ Thüringen gilt als Hochburg von RechtsRock-Veranstaltungen, der Thüringer Verfassungsschutz erkennt dies allerdings nur partiell. Während die Mobile Beratung MOBIT 50 extrem rechte Musikveranstaltungen für das Jahr 2016 auflistet, benennt der Verfassungsschutz nur 24.
Katharina König-Preuss weiter: „Ein anderes maßgebliches Problem ist, dass der Geheimdienst in starren, längst überholten Kategorien denkt und bspw. von veralteten Organisations-Konstruktionen bei Neonazis ausgeht, die sie längst nicht mehr anwenden. Dies führt zur falschen Einordnung, dass es 2016 ‚keine Hotspots‘ der rechten Szene gegeben hätte. Eine fahrlässige Feststellung angesichts der Tatsache, dass z.B. die Opferberatung ezra alleine in Erfurt einen Anstieg auf 31 Übergriffe und Straftaten zählt, im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt 23. Letztere beispielsweise verübt im Wesentlichen von Neonazis, die auch der organisierten Neonazi-Szene zurechnen sind, z.B. der Anti-Antifa Ostthüringen, die wiederum vom Verfassungsschutz ebenso wenig aufgeführt wird, wie die Nationale Jugend Eisenach/Wartburgkreis, deren Mitgliedern in Westthüringen diverse Übergriffe zugerechnet werden.“
Dass auch Salafismus und Jihadismus im Bericht erklärend dargestellt werden, ist nach Ansicht der Fraktion DIE LINKE grundsätzlich positiv. „Allerdings ist der Dienst mit der Rubrik ‚wie man Islamisten erkennt‘ über das Ziel hinausgeschossen. Dass man bei Erkennen des Tragens eines Vollbartes, einer plötzlichen Abkehr von Fernseh- und Musikgewohnheiten, veränderter Argumentationsmuster oder der Ablehnung religiöser Neuerungen einen Islamismusverdacht hegen soll, ist überzogen. Ja wir brauchen eine Sensibilität, aber keinen Alarmismus“, betont Steffen Dittes. Zum Bericht verweist er abschließend noch einmal darauf, dass der erkennbare Veränderungswille positiv ist, insbesondere im Einleitungsteil und der Auseinandersetzung des Dienstes mit dem Trennungsgebot, mit Befugnissen und dem Extremismusbegriff. „Damit stellt sich der Bericht und auch das AfV erstmalig einer Debatte um die eigene Notwendigkeit und Einordnung. Wir haben nach wie vor erhebliche Zweifel an der Geeignetheit des Mittels Geheimdienst, diese Zweifel werden auch nicht durch den Bericht beseitigt. In vielen Bereichen wird deutlich, dass wissenschaftliche Einrichtungen die Komplexe deutlich besser bearbeiten können als der Verfassungsschutz, der zwar in der Lage ist, Entwicklungstendenzen zu erkennen, aber nicht, diese zu erklären und einzuordnen. Nach fast drei Jahren Rot-Rot-Grün ist es an der Zeit, dass das Innenministerium die im Koalitionsvertrag vereinbarte und von der LINKEN immer wieder angemahnte Expertenkommission zur Notwendigkeit und möglichen Befugnissen eines Thüringer Verfassungsschutzes einsetzt.“