Neonazi-Szene in Kahla: Der Molotow-Cocktail-Werfer Sebastian Dahl und das Hausprojekt

In soll in diesem Jahr das Neonazi-Festival „Thüringentag der nationalen Jugend“ stattfinden. Wir möchten in den nächsten Monaten dazu beitragen, das örtliche Neonazi-Umfeld dort ein wenig mit zu beleuchten. In der heutigen Folge: Sebastian Dahl. Er attackierte im Jahr 2001 in Königs Wusterhausen (Brandenburg) zusammen mit zwei Mittätern die  Bühne eines antirassistischen Festivals mit vier Molotow-Cocktails, während dort mehrere Personen schliefen. Dahl wurde 2005 deswegen zu 5 Jahren Haft verurteilt und kam 2010 wieder frei, unmittelbar nach der Haft war er wieder in der Szene aktiv. Ende 2011 Jahr zog der 31 Jährige aus Berlin-Brandenburg mit seiner Freundin nach Kahla in ein ersteigertes Gebäude, was bereits im Mai 2012 Gegenstand einer Kleinen Anfrage von Katharina König an die Landesregierung war. Seine Lebensgefährtin gehört ebenfalls der Naziszene an und ist derzeit Beschuldigte in einem Verfahren wegen „Bildung einer kriminellen Vereinigung“. Wenige Monate bevor er nach Kahla zog, war Dahl in Berlin-Kreuzberg an einer neonazistischen Demo beteiligt, von der aus GegendemonstrantInnen und MigrantInnen u.a.  auch durch Thüringer Neonazis angegriffen wurden. Weiterlesen…

Vor über einem Jahrzehnt bekam er erstmals überregionale Aufmerksamkeit: Gemeinsam mit zwei weiteren Neonazis fuhr Sebastian Dahl in der Nacht zum 14. Juli 2001 nach Königs-Wusterhausen und warf  vier  Molotowcocktails auf die Bühne des antirassistischen Festivals „Le monde est à nous“ („Die Welt gehört uns“),  dort schliefen zum Zeitpunkt des Angriffs mehrere Jugendliche. Nur zwei Wochen später, in der Nacht zum 30. Juli 2001 sollen sich die drei Nazis an einem Brandanschlag auf ein Lager von Sinti und Roma bei Wildau beteiligt haben. In beiden Fällen war es nur dem beherzten, schnellen Eingreifen der potentiellen Opfer zu verdanken, dass kein größeren Schäden bzw. Verletzungen entstanden. Weil er bei Kameradschaftsabenden mit den vollbrachten und geplanten Taten prahlte, flog er schließlich auf. Das Landgericht Potsdam sah zumindest im Fall des Anschlags auf die Festvial-Besucher die Beweislast gegen Dahl so erdrückend, dass er deswegen zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren Haft u. a. wegen versuchten gemeinschaftlichen Mordes in Tateineit mit Verstoß gegen das Waffengesetz verurteilt wurde. Am letzten Prozesstag versuchte Dahl noch das Gericht davon zu überzeugen, „nicht mehr in der Szene aktiv“ zu sein. Sein Pech: er wurde erst 10 Tage zuvor bei einem Neonaziaufmarsch in Berlin fotografiert. Dahl war bereits NPD Mitglied, hatte jedoch mehr Fuß in der Kameradschadfts-Szene von Berlin Köpenik/Treptow gefasst, auch das Antifaschistische Infoblatt berichtete 2005 über seinen Prozess. Rund 30 Neonazis aus der Kameradschaftszene kamen zur Unterstützung in den Gerichtssaal. Verbunden fühlt er sich auch mit der Nazirockergruppe „Vandalen – Ariogermanische Kampfgemeinschaft“, mit entsprechende Textilien dieser Gruppe (i), die einen kruden Germanenkult zelebriert und die SS verherrlicht liess er sich in der Öffentlichkeit ablichten.

Während seiner Haftzeit arbeitet der gelernte Raumausstatter in der Polsterei der JVA Tegel in Berlin. Seit der Entlassung aus dem Gefängnis 2010 nimmt er auch wieder an NPD-Veranstaltungen teil. Noch während seiner Haft hatte er verkündet: „Politisch werde ich nicht ruhiger werden. Das weiß ich schon heute!“. Das AIB bzw. „Berlin Rechtsaußen“ berichteten 2010: „Gemeinsam mit jungen Berliner Neonazis fotografierte er erst kürzlich Teilnehmer einer antifaschistischen Gedenkveranstaltung in Berlin-Karlshorst. Seine Begleiter werden einer Gruppe Neonazis zugerechnet, welche durch zweifelhafte Strafanzeigen gegen AntifaschistInnen und Prozessbeobachtungen versuchen an Adressen von politischen Gegnern zu kommen. Deren Bilder und Namen wurden in der Folge auf einem neonazistischen Internetportal veröffentlicht (Motto “Linke haben Namen und Adressen”) Ein Zusammenhang zwischen dieser Datensammlung und den Zielen der Anschlagsserien gegen linke Einrichtungen und an den Meldeadressen von AntifaschistInnen in Berlin-Neukölln und Kreuzberg erscheint mehr als plausibel.“ (i)

Nach dem im April 2010 die militante Neonazigruppe „Slavyansky Soyuz“ in Russland verboten wurde, gab es aus Deutschland eine Solidaritäsnote an die russischen Neonazis. Der Überbringer: Sebastian Dahl. Per Youtube-Botschaft, berichtet Dahl “aus der guten alten Reichshauptstadt Berlin”, wie er sagt und richtet seine Durchhalteparolen an den Vorsitzenden der Gruppierung, Dmitri Demuschkin. Jener Demuschkin soll zuvor gegenüber der Nachrichtenagentur AP geäußert haben, das Verbot seiner Gruppe werde zu einer Zunahme der Gewalt führen: Seine Anhänger würden “Autos anzünden, Kraftwerke sprengen, Beamte ermorden und andere Verbrechen begehen”, weil die russische Regierung “legalen Nationalismus” eliminiere. Im Sommer 2005 soll Demuschkin er selbst an einem Sprengstoffanschlag auf eine Moschee bei Moskau beteiligt gewesen sein. Gleich am Anfang der Videobotschaft macht Dahl mit einem Grinsen im Gesicht den Antisemitismus als gemeinsamen Nenner zwischen deutschen und russischen Rechten aus. Man kämpfe gemeinsam gegen “einen noch übermächtigen Feind (…) Ich sage nur lange Nase, Locken (…)”. An seine Kameraden appeliert er „Haltet durch und lasst euch nicht unterkriegen. Es werden wieder bessere Zeiten kommen.”

Einem Bericht auf dem linken Internetportal Indymedia (i) zufolge zog Dahl vor seinem „größten Coup“ bereits die Aufmerksamkeit der Polizei auf sich: Zusammen mit dem späteren Betreiber der Szenekneipe „Zum Henker“ standen beide  im Jahr 2001 im Verdacht, mittels einer Rohrbombe einen Anschlag auf einen ausländischen Imbiss verüben zu wollen. Die Ermittlungen verliefen jedoch ergebnislos. Außerdem soll er angeblich mit dem gleichen Gesinnungsgenossen die Internetseite „SS88.de“ gestaltet haben,  wo er unter der Überschrift: „Die Kugel ist für Dich“ einen Beamten des Berliner Staatsschutzes abgebildet hatte, ein Jahr danach hätte er bei der Biermeile in Friedrichshain einem Vietnamesen eine Flasche auf den Kopf geschlagen, ihn schwer verletzt und rassistisch beleidigt.

Interessant ist auch eine Querverbindung: Dahl gehörte ebenso zu einer rechten Gruppierung aus Königs-Wusterhausen, in der auch der Neonazi Carsten Szczepanski aktiv war. (i) Im so genannten „Schäferbericht“, einem Gutachten zum Verhalten der Thüringer Behörden und Staatsanwaltschaften bei der Verfolgung der sog. „Zwickauer Zelle” bzw. „Jenaer Trio“ werden auch  Abhörmaßnahmen gegen den mutmaßlichen NSU-Unterstützer und sächsischen “Blood & Honour”-Chef Jan Botho Werner im Jahr 1998 geschildert. Demnach stand auch Werner in Kontakt mit einem Handyanschluss, der auf ein Innenministerium registriert war. Wie der antifaschistische Infoflyer Gamma Ende Mai 2012 berichtete, handelt es sich dabei wohl um das Telefon von Dahls Gesinnungsgenossen, Carsten Szczepanski, welcher als V-Mann „Piato“ für den brandenburgischen Verfassungsschutz aktiv war. Der befand sich damals selbst in Chemnitz und galt als Kontaktmann der britischen Terrorgruppe “Combat 18″. Im November 2010 war Dahl mit zwei weiteren Neonazis in Berlin- Lichtenberg unterwegs, als gleichzeitig der Rundgang zum ehemaligen jüdischem Leben stattfand. Die drei bauten sich gegenüber den Teilnehmenden auf und Dahl, der anderen Berichten nach im Nacken eine 18 für „Adolf Hitler“ eintättowiert haben soll fertigte Fotos von den Besuchern an. Am 14. Mai 2011 mobilisierte die Naziszene zu einer Demonstration nach Berlin  unter dem Motto „Wahrheit macht frei – Für die Erfassung der Nationalität bei Straftätern“. Aus dieser heraus wurden GegendemonstrantInnen und MigrantInnen u.a. durch Thüringer Neonazis angegriffen. Mit in der Demonstration: der heute in Kahla lebende Sebastian Dahl.

Am 13. März 2012 wurde das Objekt von Sebastian Dahl in Kahla von der Polizei durchsucht. Im Fokus stand diesmal jedoch nicht er selbst, sondern seine Lebensgefährtin Lisa Bauer. Die 22-Jährige soll Angehörige des „Aktionsbüro Mittelrhein“ sein, das bestätigte auch die Thüringer Landesregierung in der Kleinen Anfrage Drucksache 5/4426: „Die Frau wird verdächtigt, der kriminellen Vereinigung „Aktionsbüro Mittelrhein“ anzugehören.“ Dem Umfeld aus dem rheinland-pfälzischen “Braunen Haus” in Bad Neuenahr-Ahrweiler und dem “Aktionsbüro Mittelrhein” wird neben der “Bildung einer kriminellen Vereinigung” auch schwerer Landfriedensbruch, Brandstiftung, Raub und Verwendung verfassungswidriger Kennzeichen vorgeworfen. Ihnen wird u.a. der Überfall auf das linke Hausprojekt Praxis in Dresden am 19. Februar 2011 und eine Reihe weiterer gewalttätiger Übergriffe und Körperverletzungen angelastet. Seit dem August 2012 läuft vor dem Landgericht Koblenz das entsprechende Verfahren gegen 26 angeklagte Neonazis im Alter von 19 bis 54 Jahren, einer von ihnen ist der Vorsitzende des NPD-Kreisverbandes Koblenz. Die junge Naziaktivistin aus dem Rheinland ist seit mehreren Jahren in der rechten Szene aktiv und nimmt regelmäßig an Neonazi-Veranstaltungen teil, so auch bei dem genannten Aufmarsch in Berlin-Kreuzberg, bei dem sie im Nachgang zusammen mit weiteren Versammlungsteilnehmern der Neonazi-Szene namentlich identifiziert wurde, die bei einem rechten Aufmarsch teilnahmen, aus dem heraus ein gezielter Übergriff auf vier NazigegerInnen stattfand.

In der Kleinen Anfrage zum Hintergrund des Hauses „Burg 19“ in Kahla antwortet die Landesregierung „Das Objekt wurde von zwei der rechtsextremistischen Szene zuzurechnenden Personen ersteigert. Für diese Personen wurde im Grundbuch eine Auflassungsvormerkung eingetragen, sie sind noch keine Eigentümer.“ Darüberhinaus hätte die Landesregierung keine Hinweise , wonach das Gebäude zum Nazi-Treff ausgebaut wird. Wie uns mittlerweile bekannt wurde, sind dort aber auch schon andere Thüringer Neonazis gesichtet worden, u.a. jene aus dem Umfeld des Braunen Haus Jena. Auch Dahls Freundin Bauer hat für ein paar Monate in Jena gewohnt, besitzt Kontakte zur Jenaer Neonazi-Szene und studiert dort derzeit an der Friedrich-Schiller-Universität. Mehr infos zu ihr gibt es bei der ATF Jena hier.

Aktualisierung 1 / weitere Neonazis im Objekt: Wie zwischenzeitlich bekannt wurde, wohnte im Objekt „Burg 19“ im letzten Jahr auch der Betreiber des Braunen Haus Jena, Maximilian L.. Darüberhinaus ist dort ein „Leuchtenburg“-Versand oder Verlag ansässig, der unter dem Deckmantel eines „Antiquariats“ NS-Literatur wie „Sieg Heil! Eine deutsche Bildgeschichte von Bismarck zu Hitler“ oder „Panzerjäger brechen durch! – Erlebnisse einer Kompanie im Großdeutschen Freiheitskrieg 1939/1940“ vom ehemaligen Zentralverlag der NSDAP verkauft.  Außerdem steht ein Jenaer NPD-Aktivist mit dem Gebäude in Verbindung, er registrierte u.a. die Internetseite seines Online-Shops auf die Adresse „Burg 19“ in Kahla. Bei ihm handelt es sich um Rick W., welcher angeblich seit dem Rücktritt des derzeit inhaftierten NSU-Unterstützers Ralf Wohlleben von dessen Vorstandspositition im NPD Kreisverband Jena den Verband weiter leiten soll. Das äußerte eine NPD-Anwältin 2011 bei einem Gerichtsverfahren in Gera. Rick W. ist Funktionsträger der „Burschenschaft Normannia zu Jena“. Weitere Infos hier.

Aktualisierung 2 / Razzia März 2013: Am Morgen des 20. März 2013 fand in Kahla eine Razzia bei Neonazis statt, darunter auch im Objekt Burg 19, Infos gibt es hier

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