Saalfelder Neonazi-Funktionär verhaftet / Hintergründe zu den Durchsuchungen

Am 6. Juni 2012 durchsuchte das Landeskriminalamt Thüringen mehrere Wohnungen und Garagen von Neonazis aus Thüringen. Unter den 10 Objekten befinden sich Gebäude in Saalfeld, Jena, Crawinkel und Altenburg. Insgesamt wird gegen drei Männer wegen „Verdacht auf Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat“ ermittelt, eine Anschlagsplanung wird den Neonazis vorgeworfen. Zwei Haftbefehle wurden erlassen: Einer der Festgenommenen ist der Saalfelder Neonazi-Funktionär Steffen Richter. Er ist führender Kopf der Neonazigruppe „Freies Netz Saalfeld“ und trat 2009 für die NPD im Landkreis zur Landtagswahl an. Bei der Durchsuchung wurden zahlreiche Schuss-, Hieb- und Stichwaffen sowie Munition und Munitionsteile sichergestellt. In Jena wurde außerdem das Braune Haus durchsucht, in dem man eingemauerte Waffen vermutete, Wände und Böden wurden aufgestemmt.

Das LKA Thüringen führt seit dem 16. Dezember 2011 ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gem. § 89a StGB gegen drei Thüringer Neonazis. Am Morgen des 6. Juni begannen die Durchsuchungen in den zehn Objekten, mit dem Ziel illegale Waffen und Computer sicherzustellen.

Während der Durchsuchung im Braunen Haus Jena wurde der Neonazi-Liedermacher und Pächter des Braunen Hauses, Maximilian Lemke von der Polizei mitgenommen. Lemke, der mittlerweile nach verzogen ist befindet sich jedoch wieder auf freiem Fuß. „Scharfe“ Waffen wurden im Gebäude nicht entdeckt. Er ist seit Mitte der 90er Jahre in der Thüringer Neonazi-Szene aktiv, war Mitglied im Thüringer Heimatschutz und ist einschlägig vorbestraft. Er gilt als einer der aktivsten neonazistische Liedermacher im Freistaat und ist auch darüberhinaus in der Musik-Szene bekannt. Im Jahr 2002 hat er in der Jenaischen Straße 25 ein Gebäude gepachtet, was von den Bewohnern selbst als „Hausgemeinschaft ‚Zu den Löwen‘ bezeichnet wird. Seit Jahren dient das Gebäude als Wohn- und Veranstaltungsort, sowohl  Lemke als auch diverse Nazibands nutzten zum musikalischen Training den hauseigenen Proberaum. Seit mehreren Jahren tritt er vermehrt bei größeren Nazi-Veranstaltungen mit musikalischem Rahmenprogramm auf. Sein braunes Haus ist seit ca. zwei Jahren wegen bautechnischer Probleme und illegalen Umbauten von der Stadt gesperrt. Erst im September 2010 hatten Polizeibeamte das Gebäude durchsucht, nachdem es Hinweise gegeben hatte, wonach Plastiksprengstoff C4 versteckt worden sein soll. Die Suche blieb damals erfolglos. Anfang 2012 hatte Lemke der Stadt Jena das Objekt erfolglos zum Kauf angeboten.

Gegen zwei weitere Neonazis wurden hingegen Haftbefehle erlassen und am Nachmittag vollstreckt:

Marco Zint (Crawinkel)

Unter ihnen der 34 Jährige Marco Zint aus Crawinkel. Zint kommt aus dem Landkreis Gotha,war dort bereits Mitte der 90er Jahre in der örtlichen Naziszene aktiv. In einem Gewölbe unter der alten Turnhalle der Gothaer Arnoldi Schule traf er sich regelmässig mit Neonazis, von denen einige später in der Rechtsrock-Band „SKD“ aufgingen. Als bei einem Nazikonzert 1996 von dem Nazitreff aus auf Passanten mit einem Luftgewehr geschossen wurde, durchsuchte die Polizei das Gebäude und fand Munition, Baseballschläger, Hakenkreuzfahnen und Hitlerkonterfei. Im März 1997 sorgte Marco Zint mit seinen Kameraden erneut für Aufsehen: Bei der Durchsuchung eines „Wehrsportlagers“ in Gotha wurden Kampfausrüstung, Waffen, Hakenkreuze und SS-Runen entdeckt. Ein Ermittlungsverfahren wegen „Bildung bewaffneter Gruppen“ ( § 127) folgte. Wenige Monate später experimentierten Marco Zint und der Bandleader der Rechtsrockband SKD mit einer neuen Schusswaffe. Zints Pech: Sein Kamerad schiesst ihm in seiner eigenen Wohnung ausversehen mit der Pumpgun ins Bein. Die Waffe wurde durch die Polizei beschlagnahmt (siehe auch Dokumentation: „Im Westen nichts neues“). 2001 muss Zint eine längere Haftstrafe in der JVA Suhl-Goldlauter antreten, wird Mitglied der „Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene e.V.“ (HGN). Zusammen mit dem Altenburger Neonazi-Funktionär Thomas Gerlach gründet er außerdem den „Kameradschaftsbund für Thüringer POWs“ – ein informelles Gefangenennetzwerk. Die Abkürzung steht für „Prisoner of War“, zu deutsch Kriegsgefangener, wie in der Neonaziszene häufig inhaftierte Gesinnungsgenossen bezeichnet werden. Nach der Haftentlassung Zints fasst dieser wieder Fuß in der Thüringer Szene außerhalb von Gefängnismauern und nimmt an zahlreichen Nazi-Veranstaltungen teil. Auch für Rechtsrock-Konzerte zeichnet er sich verantwortlich, so löste die Polizei am 11. November 2006 ein Szenekonzert mit den Bands „Gigi und die braunen Stadtmusikanten“, „Valhallas Patriots“ und „SKD“ in Wernshausen in Südthüringen auf.  Das Hammerskin-Konzert war ursprünglich in Bayern geplant, Zint organisierte die Ersatzveranstaltung in Thüringen – 400 bis 600 Neonazis kamen an dem Abend zu seinem Konzert.  Am 15. Dezember 2011 unterschreibt er mit einem weiteren Neonazi aus dem Gothaer Raum den Kaufvertrag für ein Gebäude in Crawinkel. Für 100.000 € entstand dort ein neuer Nazitreff: Die „Hausgemeinschaft Jonastal“, in der in den vergangen sechs Monaten bereits diverse Neonazi-Konzerte und Veranstaltungen mit durchschnittlich 70 bis 100 Teilnehmern stattfanden (siehe Mobit-Chronik 2011/2012). Zum vergangenen Samstag lud Zint noch persönlich über das Internet zu einem Kinderfest in das Crawinkler Nazihaus ein, bei dem sich Zitat auch „Erwachsene ein eigenes Bild fernab von Pressehetze oder politischer vorgeschriebener Correctness machen könnten“. Auf dem Account, mit dem er diese Zeile schrieb, posiert er gleichzeitig im Profilbild neben einer lebensgroßen Wachsfigur Adolf Hitlers. Nach seiner heutigen Festnahme zeigen sich Zints Freunde in Sozialen Netzwerken jedoch mehr darüber besorgt, dass nach der Razzia vielleicht auch bald das Haus durch die Behörden geschlossen werden könnte. Fotos: Oben als Teilnehmer einer Neonazidemo am 5. April 2008 in Weimar, unten bei einer Störaktion zu einer Infoveranstaltung über die „Heimattreue Deutsche Jugend“ im April 2009 in Arnstadt.

Steffen Richter (Saalfeld)

Der zweite Inhaftierte ist der 28 Jährige Steffen Richter aus Saalfeld, Kader der Gruppierung „Freies Netz Saalfeld“. Der seit über 10 Jahren aktive Neonazi ist seit längerer Zeit führend in der Thüringer Neonazi-Musik- und Vertriebsszene tätig. Eine Vielzahl von Rechtsrock-Konzerten gehen auf seine Kappe und er gehörte zum engen Umfeld der Naziband SKD aus Gotha.  Richter trat als Betreiber von Szeneläden, Treffpunkten und Internetshops in Erscheinung. 2005 gehörte er zum Führungspersonal des Nazitreffpunkts „Sturmlokal“ in Saalfeld-Gorndorf, in dem er mehrere Konzerte organisierte.  Am 16.Juli 2005 sollte dort der „Abschied eines Kameraden“ gefeiert werden, allerdings wurde diese Zusammenkunft von der Polizei vor dem eigentlichen Ende aufgelöst nachdem Gesänge mit neonazistischen und antisemitischen Textzeilen in die Nachbarschaft vorgedrungen waren. Hierbei wurden eine Schusswaffe, mehrere Schlagstöcke und 63 CDs mit verfassungsfeindlichem Inhalt sichergestellt. 2006 eröffnete er in Gotha den Laden „Sniper Store“, in dem er Rechtsrock & Thor Steinar Textilien anbot. Der Laden schloss wenige Monate später mit einer dubiosen Betrugs-Affaire: durch einen mutmaßlich fingierten Einbruch sollten vermutlich bis zu 15.000 € an Versicherungsgeldern abgegriffen werden. Eine Anfrage von Katharina König ist hierzu noch bei der Thüringer Landesregierung offen. Seit Januar 2007 unterhielt er den „2hard4U“-Versandhandel, welcher inzwischen jedoch nicht mehr existiert. Aktuell betreibt er einen „Frontschweine Records“ und ist am Strike Back Shop aus Apolda beteiligt.

In Saalfeld hält er die Strippen zum ehm. Rocker-Treffpunkt der Red Devils,  das „Altes Labor“, in dem er bereits mehrfach Nazikonzerte organisierte. Im Internet posiert er auf Fotos mit einem T-Shirt des „Hammerskin“-Netzwerks. Nach dem Verbot von Blood & Honour-Division Deutschland im Jahr 2000 versuchte sich dieses internationale Neonazi-Netzwerk verstärkt auf dem Markt der neonazistischen Musik- und Konzertorganisation zu profilieren. Nach einem in Saalfeld erstmaligen Konzertverbot im Treff „Altes Labor“  meldete Richter im  März 2012 zwei Spontandemos in Saalfeld und Unterwellenborn an, an denen mehrere Duzend Nazis teilnahmen und Jugendliche in der Innenstadt bedrohten.  Zur Thüringer Landtagswahl 2009 kandidierte er als parteiloser Direktkandidat für die NPD im Wahlkreis SLF-Ru I und erhielt 6,4% der Erststimmen, im Jahr 2010 meldete er außerdem den 9. Thüringentag der nationalen Jugend in Pößneck an. Gewalt dient ihm ebenso als Mittel der politischen Auseinandersetzung, so war er 2002 bei einem Angriff auf eine linke Kundgebung vor dem Brauen Haus Jena und 2005 bei einer Auseinandersetzung auf dem Saalfelder Rummel beteiligt. Den vermutlich letzten Eintrag in sein Strafregister brachte ihm das Zeigen von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in Form eines Tattoos beim 9. Thüringentag 2010 ein. Er unterhält enge Kontakte zu Ralf Wohlleben, welcher derzeit wegen Unterstützung des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) in der JVA Tonna inhaftiert ist. Steffen Richter wurde am 6. Juni, während einem Montageauftrag durch Polizeikräfte im bayrischen Nürnberg verhaftet und noch am selben Tag dem Haftrichter in Thüringen vorgeführt. Infos zu Steffen Richter gibt es auch bei www.saalfelder-nazis.info. Fotos: Oben,  Steffen Richter auf der Bühne des „Thüringentags der nationalen Jugend“, Mitte: Richter mit T-Shirt zum Gedenken an die Hammerskinführungsfigur Joe Rowan (Quelle: Facebook), unten: Richter auf der Bühne bei einem von ihm organisiert Solidaritätskonzert für das Braune Haus Jena im Alten Labor in Saalfeld mit 200 Teilnehmern, im Hintergrund das Transparent „Thüringer Heimatschutz“, Quelle: MeinVZ.

Eindrücke vom Braunen Haus Jena nach der Durchsuchung:

 

Die Linksfraktion im Thüringer Landtag fordert aufgrund der Vorkomnisse die sofortige Entwaffnung von Neonazis und hat einen Antrag bei der Landesregierung eingereicht, über Anlass und Ergebnisse der Durchsuchungsmaßnahmen in der kommenden Sitzung des Innenausschuss im Thüringer Landtages zu informieren: Presseerklärung.

Über Details der Anschlagspläne hüllten sich sowohl LKA als auch die Staatsanwaltschaft bisher in Schweigen. Erwähnenswert ist jedoch, dass die Ermittlungen zwei Wochen nach der Inhaftierung von Ralf Wohlleben im November 2011 aufgenommen wurden.

Weitere Berichte: SpiegelOnline, MDR Thüringen, JG Stadtmitte

Ergänzung: 7. Juni: Auch der Spiegel berichtet nun ausführlich über die beiden Verhafteten und die Ermitttlungen, so heißt es u.a.:

Nach dem im Juni 2010 mehrere Neonazis aus dem Jenaer Raum einen Anschlag auf ein von Katharina König genutzten Bus vorbereitet hatten richteten Thüringer Polizisten die Soko „Feuerball“ ein, welche gegen mehrere Mitglieder der Naziszene ermittelte und deren Handys abhörte. Auch Steffen Richter gehörte zu den Tatverdächtigen. Im September 2010 besuchte Richter mit den Neonazis Andre Kapke und Holger Gerlach, der bis vor kurzem noch wegen mutmaßlicher NSU-Unterstützung in Haft saß eine Veranstaltung von Karl-Heinz Hoffmann in Sachsen,  Chef der ehm. Nazi-Wehrsportgruppe Hoffmann. Steffen Richter telefonierte mit seinem Handy, sagte sinngemäß: „Hat das mit der Bauanleitung und dem C4 geklappt?“ C4 ist das Kürzel für einen hochexplosiven Plastiksprengstoff. Die Fahnder der Soko „Feuerball“ waren alarmiert, sie vermuteten, die rechte Szene horte Sprengstoff oder sei im Besitz von Anleitungen für den Bau von Bomben. Es folgte eine Razzia am Morgen des 6. Oktober 2010, 16 Einrichtungen wurden durchsucht – darunter auch das Braune Haus in Jena. Auf dem Handy von Steffen R.: Das Foto einer Pistole Ceska Modell 1924 und mehrere Kurznachrichten, in denen es um Waffen geht. Ein Grund für die Festnahme am Mittwoch ist angeblich auch: Eine V-Mann soll in den vergangenen Monaten den Tipp gegeben haben, Steffen Richter handele mit Waffen.

 

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