Sarrazin Absagen – Protestkundgebung in Erfurt

Das muss man immer wieder sagen:
Gegen jeden Rassismus und sozialchauvinistische Ausgrenzung.
Protest gegen die Lesung von Thilo Sarrazin am 9. Mai 2012 in Erfurt

“Deutschland schafft sich ab” behauptet Thilo Sarrazin mit seinem 2010 erschienenen Buch, das er seitdem in zahlreichen Lesungen, Talkshows und Interviews vorstellt, publik macht und verteidigt. Über eine Million Exemplare sind verkauft und am 9. Mai 2012 soll Thilo Sarrazin in der Alten Oper in Erfurt lesen. Weil die im Buch wiedergegebenen Thesen Sarrazins sozialchauvinistisch, rassistisch und biologistisch sind, ruft das Bündnis „Sarrazin absagen.“ zu Protesten auf.

Warum wir eine Lesung von Thilo Sarrazin nicht wollen.
Die Inhalte des Buches sind schnell benannt: “Das Deutsche in Deutschland verdünnt sich immer mehr, und das intellektuelle Potential verdünnt sich noch schneller.” fasst Sarrazin eine seiner Kernthesen schwammig zusammen, ohne genauer zu benennen, was das denn sein solle, dieses “Deutsche” und wie es sich “verdünnen” könne. Wichtiger sind ihm die Schlussfolgerungen aus seiner zentralen Feststellung: Da müsse durch Anreize für „Deutsche“ und „Schlaue“ gegengesteuert werden. Konkret schlägt er vor, fertig ausgebildeten Akademikerinnen für jedes vor dem 30. Lebensjahr geborene Kind „eine staatliche Prämie von 50.000 Euro“ zu zahlen. In der Denkwelt Sarrazins wird der erwünschte Nachwuchs erkauft, der weniger oder gar Unerwünschte solle so zumindest relativ weniger werden.
Anstatt Armut an sich zu bekämpfen, grenzt Sarrazin von Armut betroffene Menschen aus, forciert den Ausschluss vieler Menschen von gesellschaftlicher Teilhabe und diskriminiert damit Menschen abhängig von ihrer materiell-sozialen Stellung. Die Aufhebung eines sozialen und ausgleichenden Zusammenlebens versucht er zu verschleiern, indem er seine Forderrungen in den Dienst einer behaupteten und biologistisch begründeten Nation stellt.

Wir lehnen es ab, Menschen nach ihrer Nützlichkeit für eine „Nation“, für einen Staat, für Deutschland zu bewerten.
Wir setzen uns ein für die Gleichwertigkeit aller Menschen, die Ausgrenzung und Diskriminierung ausschließt!

Ein Lieblingsthema Thilo Sarrazins ist die einer rassistischen Logik folgenden Ansicht über eine vermeintlich zu starke Zuwanderung und über die mangelnde Integration von Migrantinnen und Migranten, speziell der Muslime. Sarrazin behauptet, dass „letztlich eine Veränderung unserer Kultur, unserer Zivilisation und unseres Volkscharakters“ in eine ungewünschte Richtung drohen würde, „wenn wir den Zuzug nicht steuern“.
Gesellschaften verändern sich immer auch kulturell und haben durch ihre Offenheit und ihren Austausch erst unsere heutigen Gesellschaften, Bedürfnisse, Lebensweisen und Verhaltensweisen hervorgebracht und bleiben auch weiterhin veränderbar. Die Behauptung eines genetisch begründeten „Volkes“ und einen daraus abgeleiteten wie auch immer gearteten „Volkscharakter“ lehnen wir ab.
An anderer Stelle spricht Sarrazin von einer “Menschenflut” aus Afrika und – in Rückgriff auf Darwin – von einer “negativen Zuchtwahl”. Wohlgemerkt, es geht um Menschen in Sarrazins Buch, nicht um Tiere! Dass er erst auf Raten seines Verlages das von ihm favorisierte Wort „Rasse“ in Bezug auf Menschen durch das Wort „Ethnie“ ersetzt hat, zeigt sein Verharren in der rassistischen Gedankenwelt des frühen 20. Jahrhunderts.

Wir setzen uns ein für die Überwindung der unheilvollen und widerlegten Theorien von „Volk“ und „Rasse“.
Wir wollen keine Lesung, in der einzelne Gruppen von Menschen diskriminierend beschrieben und in ihrer Würde verletzt werden.

Nach Sarrazin ist für einen großen Teil der Kinder „der Misserfolg mit ihrer Geburt bereits besiegelt“. Nicht etwa aufgrund ihrer sozialen und gesellschaftlich ermöglichten bzw. ausgeschlossenen Chancen, sondern aufgrund einer behaupteten Erblichkeit von Intelligenz. Die „intellektuelle Ausstattung ihrer Eltern und (…) deren Bildungsferne und generelle Grunddisposition“ würden Kinder benachteiligen. Explizit bestreitet er die sozialen und politischen Verhältnisse als Ursache von Ungleichheit.
Sarrazin bemisst den Wert eines Menschen an einem Intelligenzbegriff, der alleinig auf einen Bereich beschränkt ist, der einen ökonomischen Erfolg in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem befördert. Er bezieht aber nicht die vielfältigen und sehr unterschiedlichen Kompetenzen und Fähigkeiten, die jeder Mensch innehat und die seine Individualität ausmachen, mit ein.
Wenn Sarrazin insbesondere Muslimen „unterdurchschnittliche Erfolge im Bildungswesen“ unterstellt, gleichzeitig Bildungsgrad und Intelligenz in positive Beziehung setzt, dann wird schnell klar, was Sarrazin denkt. Für ihn sind Muslime genetisch begründet und damit unveränderbar weniger intelligent als Andere.

Wir setzen uns ein für ein Anrecht aller an gleicher gesellschaftlicher Teilhabe.
Wir wollen keine Lesung, die die Erblichkeit von Intelligenz behauptet, gestaltbare gesellschaftliche Bedingungen als irrelevant beiseite schiebt und zudem insbesondere Menschen einer Religionsgemeinschaft biologistisch diffamiert.

Warum wir mit Thilo Sarrazin nicht diskutieren wollen.
In einem Punkt geben wir Thilo Sarrazin Recht: “Gewisse Punkte sind nicht verhandelbar!” schreibt er in seinem Buch. Richtig: Wir halten die Gleichwertigkeit der Menschen und die Würde allerMenschen für nicht verhandelbar. Genau dies aber stellt Thilo Sarrazin mit seinem Buch massiv in Frage. Deshalb halten wir eine Diskussion mit ihm für falsch, hieße es doch, genau diese Punkte seien diskutier- und somit verhandelbar.
Zudem zeigen zahlreiche versuchte Diskussionen mit Thilo Sarrazin, dass es ihm nicht um eine sachliche Auseinandersetzung geht, wie er gern immer wieder behauptet. Genauso wie sein Buch kein Sachbuch ist, ist seine Art der Argumentation keine sachliche. Inhaltliche Entgegnungen ignoriert er und diffamiert sie als ideologisch verbrämte Anschauungen. Er beharrt auf der Richtigkeit seiner Statistiken und seiner Interpretation, die einem rassistischen Grundmodell folgt. Er schmückt sich mit dem Bild desjenigen, der „die ungeschminkte Wahrheit“ ausspräche und allein schon deshalb keine Gegenargumente zulässt.

Und ein Wort zur Meinungsfreiheit:            
Über 200 Einzelpersonen und Organisationen haben in einem Offenen Brief an den Veranstalter Herrn Staub vom DasDieBrettl die Absage der Lesung von Thilo Sarrazin gefordert. Als Reaktion wurde von Zensur und von einer Missachtung der Meinungsfreiheit gesprochen und die Lektüre des Grundgesetzes empfohlen.
Das Grundgesetz schützt die Einzelnen in seiner freien Meinungsäußerung vor Eingriffen des Staates. Und niemand hat ein Verbot des Buches von Sarrazin gefordert oder ein Verbot der Lesung durch staatliche Behörden.
Niemand kann aber verlangen, ein Podium für seine Diskriminierungen kritik- und widerstandslos zu erhalten. Meinungsfreiheit hat Grenzen, wenn sie dazu gebraucht bzw. missbraucht wird, die Würde des Menschen und weitere elementare Menschenrechte zu verletzen sowie gegen das allgemeine Diskriminierungsverbot zu verstoßen. Sarrazins Äußerungen erfüllen den Missbrauch der Meinungsfreiheit.

Wir setzen uns ein für eine Wahrung der Meinungsfreiheit, ebenso für die Achtung der Grund- und Menschenrechte für Alle.
Wir wollen keine Lesung mit einem Menschen, der sich zum Opfer der politisch Korrekten ausruft, wenn seine Thesen und Schlussfolgerungen zu Recht als rassistisch kritisiert werden.

Gesellschaftliche und institutionelle Ausgrenzung jeden Tag bekämpfen:
Mit seinen Gedanken steht Sarrazin tatsächlich nicht alleine. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit findet sich nicht nur im alltäglichen Rassismus am Stammtisch, in den Schulen oder am Arbeitsplatz wieder, sondern auch in der rassistischen Sondergesetz- und Abschiebepolitik des Staates. Die Verschärfung von Armut und Chancenungleichheit bezüglich Bildung führt zu dauerhafter Ausgrenzung. Dieser Situation muss sich dauerhaft widersetzt werden. Und weil Sarrazins Lesung eines von vielen Events der Manifestation statt der Kritik dieser Verhältnisse ist, rufen wir zu Protesten auf:

Mittwoch, 09. Mai 2012 18:00 Uhr
Vor der Alten Oper in Erfurt (Theaterstr. 1)

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