Katharina ueber Jenaer Naziszene und Alltagsrassismus

Die »Debatte« um den rechtsextremen Terror steuert schnell auf vermeintliche gesetzliche Lösungen zu: Verbot der NPD und Schaffung einer neuen zentralen Datei für Rechtsextremisten. Doch wie stichhaltig lässt sich die Partei tatsächlich mit dem Terror-Trio in Verbindung bringen? Und wäre so das Rassismus-Problem gelöst? Die Jenaer Landtagsabgeordnete Katharina König, intime Kennerin der Szene, hat Zweifel: Das Problem liege in den 56 Prozent der Thüringer, die Deutschland für »überfremdet« halten. Ein Interview mit der Tageszeitung „Neues Deutschland“.

nd: Frau König, in Jena herrscht Aufregung über die ZDF-Sendung »Aspekte«. Diese habe die Stadt beleidigt, indem sie sie als rassistisch dargestellt habe. Haben Sie die Resolution auch unterzeichnet?
König: Das werde ich ganz bestimmt nicht tun. Ich halte es für anmaßend, dass sich jetzt 4000 Leute um den Ruf der Stadt sorgen, während sich bei der Demonstration für die Opfer vor einigen Tagen gerade mal 300 haben blicken lassen. Vielleicht war der Beitrag unglücklich, aber er stellt die richtigen Fragen. Nach jüngsten Zahlen denken 56 Prozent der Thüringer, Deutschland sei »überfremdet«. Das ist das Problem. Da müssen wir ran, statt Medien zu beschimpfen.

Sie haben die drei vom »NSU« in ihrer Jugend persönlich gekannt, sind von ihnen drangsaliert worden. Hätten Sie dem Trio etwas Derartiges zugetraut?
Eine solche Kaltblütigkeit traut man wohl niemand zu. Das hat mich schon geschockt. Andererseits waren es, ohne zynisch klingen zu wollen, nur zehn Tote mehr. Zusätzlich zu den mehr als 150, für deren Leben sich doch keiner der Politiker, die sich jetzt profilieren, sonderlich interessiert hat. Man sieht das ja schon daran, dass die Regierung nicht einmal eine halbwegs korrekte Zählung der Todesopfer rechtsradikaler Gewalt auf die Reihe bringt. Stattdessen verwendet der Staat weiterhin viel seiner Energie in dem Bereich darauf, linke antifaschistische Jugendgruppen zu bespitzeln und zu verfolgen.

Um das Jahr 2000 gab es die letzte große Empörungswelle über rechtsradikale Gewalt, damals war einer der Auslöser der Anschlag auf die Düsseldorfer Synagoge. Ist der seinerzeit so genannte Aufstand der Anständigen versandet?
Hier im Land hat sich die Naziszene seit 2000 stark verändert, mit dem »Aufstand« hatte das aber wenig zu tun. Die Neonazis haben sich nach dem Muster »Kampf um die Köpfe, die Straßen und Parlamente« organisatorisch ausdifferenziert. Das bringt mit sich, dass die Rechtsradikalen sich in der Öffentlichkeit etwas zurückhalten. Ab 1999/2000 sind in Jena, das ja der Gründungsort der deutschen Burschenschaften ist, auch verstärkt rechtsextreme Studentenverbindungen wie die »Normannia« aufgetreten. Die Nazis versuchen so, sich zu »normalisieren«.

Welche Rolle spielt die Verquickung der Szene mit dem Verfassungsschutz?
Soweit man das schon sagen kann, hat sich der VS zumindest ungeschickt angestellt. Seine Spitzen-V-Leute haben ein doppeltes Spiel getrieben, Spitzel-Löhne in die Szene gesteckt. Es war in den 1990ern ein offenes Geheimnis in Thüringen, dass der VS in den ganzen Nazi-Gruppen sitzt. Trotzdem konnten diese weitermachen wie gewohnt. Auch das Gros der V-Leute in der NPD hat nichts Bedeutendes zu Tage gefördert. Da stellt man sich schon Fragen.

Nun rast die Politik auf eine »Lösung« zu: NPD-Verbot und zentrale Nazi-Datei …
… und verfehlt damit schon wieder das Ziel. Für ein NPD-Verbot spricht nach meiner persönlichen Meinung zwar der Verlust der Gelder, zu dem es dann kommen würde. Die »Meinungen« aber, die erwähnten 56 Prozent Überfremdungstheoretiker, die antisemitischen Einstellungen werden nicht berührt. Gewissermaßen hat die NPD auch den Vorteil, dass die Union nicht »alles sagen« kann, solange es eine Partei rechts von ihr gibt. Insofern könnte ein NPD-Verbot die unselige Wirkung haben, den Alltagsrassismus noch tiefer einzuschleifen. Weil dann die CDU diese Sentimente bedienen würde, wenn auch etwas weniger unappetitlich. Und eine neue Datei hätte die Morde auch nicht allein aufgeklärt. Hier geht es auch darum, eine offene und freiheitliche Gesellschaft zu verteidigen.

Was sollten stattdessen für Konsequenzen gezogen werden?
Die Bundesfamilienministerin muss die »Extremismusklausel« zurücknehmen. Zivilgesellschaftliche Projekte müssen wieder angemessen gefördert werden. Der VS muss die Verfolgung der linken Gegenkräfte einstellen. Und vor Ort müssen sich Politik und »Mitte der Gesellschaft« selbst befragen.

Wie meinen Sie das?
Heute ist in Jena ein Konzert gegen Rechts mit Udo Lindenberg. Reden sollten nur die Ministerpräsidentin, Sigmar Gabriel und Jürgen Trittin. Die LINKE, die einzige Partei im Land, die immer dagegengehalten hat, sollte außen vor bleiben. So instrumentell wird mit dem Problem umgegangen. Das Land hat jüngst den Beschluss der Stadt Jena kassiert, Asylbewerber dezentral unterzubringen – es sollen wieder Lager sein. Auch so etwas gehört ja zum Thema. Und an die Bürger: Nächstes Jahr, wenn über diese neue Asyl-Unterkunft verhandelt wird, wird sich zeigen, wie weltoffen Jena tatsächlich ist.

Interview: Velten Schäfer

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