#ShalomAnetta

#ShalomAnetta

Ich sitze im ICE von München nach Erfurt, die Aufzeichnung einer Fernsehsendung zum Thema „Nationalsozialistischer Untergrund“ ist beendet. Der Regen prasselt an die Scheiben. Wie passend, nachdem so viel Hass unseren Hashtag #ShalomAnetta anlässlich des Geburtstages von Anetta Kahane geflutet hatte.

Soviel Bösartigkeit.

Heute ist ihr Geburtstag. Seit Wochen, wenn nicht gar Monaten erfährt die Amadeu Antonio Stiftung und deren Vorsitzende Anetta puren Hass. Er lebt sich aus in Mails, Tweets, Facebook-Postings. Manche dahingeklatscht. Wie neongrüner Schleim für Kinder an die Wand geworfen. Hier fliegt er nicht gegen Wände, sondern gegen Menschen. Gegen Anetta. Gegen Timo. Gegen all die, die sich seit Jahren gegen Antisemitismus, Rassismus und Neonazismus einsetzen. Die versuchen, Leute zu erreichen, die ich längst aufgegeben habe. Die mit Hoffnung agieren, wo ich oft genug kein Licht mehr sehe.

Heute hat Anetta Geburtstag.

Anetta, die ich in den 90er Jahren kennenlernte. Nach einem schweren Übergriff durch Nazis mit mehreren verletzten Jugendlichen wirbelte am Tag danach ein roter Lockenkopf mit Berliner Schnauze in die JG-Stadtmitte. Sie sprach mit uns. Sie behandelte uns nicht als Opfer. Sie brachte keine Blumen mit, sondern Empörung. Sie hörte uns an.

Die Stadt Jena interessierte sich in den 90er Jahren kaum für die Auswirkungen rechter Gewalt. Beratungsstellen für Betroffene rechter Gewalt gab es nicht.

Anetta begann, sich für die Neonazi-Strukturen in Jena und Thüringen zu interessieren. Sie fragte Wissen ab. Recherchierte. Fragte Verantwortungsträger. Die Amadeu Antonio Stiftung versuchte, die zunehmende Radikalisierung und die teils täglich stattfindenden Übergriffe durch Nazis öffentlich zu thematisieren.

Brennende Zigaretten im Dekolleté ausgedrückt.

Springerstiefel mit Stahlkappe ins Gesicht.

Arm gebrochen.

Geige zerstört.

Nachts von einer Gruppe Neonazis ausgelacht.

Abgefangen mit Baseballschlägern an der Straßenbahnhaltestelle.

Weggerannt. Keuchend. Die Schläge auf den Freund gehört, der nicht schnell genug war. Das Schluchzen unterdrückt, um nicht gefunden zu werden.

Verdacht auf Schädelgehirntrauma.

Er hat immer den Dolch dabei.

3 Wochen im Krankenhaus.

„Was ziehst du dich auch so an?“

Es war die Hochphase des Thüringer Heimatschutzes. Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt mittendrin.

Niemanden interessierte es. Der JG-Stadtmitte wurde der Vorwurf der Polarisierung und Feindbildschaffung gemacht. Sie – die JG – könne nur existieren, da sie überall Neonazis sehen würde. Man müsse doch den Ruf der Stadt Jena bedenken. Und überhaupt: Die akzeptierende Jugendarbeit in den Stadtteilen Lobeda und Winzerla würde Jugendliche vor dem Abdriften in den rechten Untergrund bewahren.

Die Verunglimpfung ganzer Stadtteile durch die JG müsse aufhören. Sonst …

Anetta hörte zu.

Heute – etwa 20 Jahre später – ist ihr Geburtstag. Anetta und ebenso die Amadeu Antonio Stiftung werden überflutet mit Hass.

Anlässlich ihres Geburtstages wollten wir versuchen, dem etwas entgegenzusetzen; Anetta an einem Tag mit guten Erinnerungen, guten Bildern, Dank und Glückwunsch erreichen.

#ShalomAnetta

Viele haben mitgemacht. Teils erlebten sie für ihre positiven Tweets direkt die Wut, den Hass, die Abscheu, die sonst brodelnd bei der Stiftung eingehen. Der Anlass ist aktuell, die Veröffentlichung einer Broschüre gegen #hatespeech.

Ich weiß, was #hatespeech ist. Online wie offline. „Fette Käthe“ rufen Nazis und empfehlen mir, der „Pummelfee“, mal wieder Haare waschen. Alternativ Fettlöser. Für den ganzen Körper natürlich.

Die Bäume seien längst ausgesucht, an denen mein Vater und ich baumeln sollen. Bald. Ich solle mich darauf einstellen. Kein weiterer Geburtstag mehr heißt es in einem Brief.

Die E-Mails oder auch Facebook-Kommentare kommen mehrmals die Woche.
„Weisst du käthe das volk durchschaut dich schon längst. Wir gebendir einen gutgemeinten rat. laSS es! laSS es unsere kameraden öffentlich zu machen und laSS es journalisten informationen zuzuspielen. wir wissen das du es bist. auch wir haben freunde. mehr als du. alle haben deine adresse. qir werden dich wissen lassen wann es an der zeit ist“

„du dreckige bezahlte denunziantin!!!!!! schmarotzt hier auf unserm steuertgeld rum und verunklimfst gute deutsche bürger! hängen sollst du!“

“Hätte ich es mal gemacht und der fotze in ihre fette Kommunisten fresse geschlagen“.

„an die wand . bauchschuss deine eingeweide quellen raus deine familie vorher. Tot.“

„Du drecksau dreckige votze verdammtes stück scheisse. Wad zahlt dir der mossas eigentlich? Dich sollte man beschneiden so wie deine judenfreunde beschnitten sind“

„Na Käthe? Morgen wieder 7:38 ab Westbahnhof? 

„STück Dreck! Früher in den guten Zeiten gab es noch richtige Duschen für solche wie dich!“

„Wegballern! Dreksvieh! Nur tot gut!“

Ich ahne, dass Anetta bzw. die Amadeu Antonio Stiftung ähnliche E-Mails und Kommentare bekommen. Nur in viel höherer Anzahl.

Heute, an Anettas Geburtstag, gab es einige Statements, die auch öffentlich eingesehen werden können. Geprägt von Hass, Abscheu, Verachtung.

Auch ein führendes Mitglied der Jungen Union ist dabei. Sie thematisieren unter anderem die IM-Vergangenheit von Anetta. Ihr Hass entzündet sich an der Broschüre der Amadeu Antonio Stiftung zum Thema #hatespeech.

Anetta hat für das Ministerium für Staatssicherheit gearbeitet. Sie steht öffentlich dazu. Sie wird öffentlich dafür an den Pranger gestellt.

Was fast alle ignorieren, so auch der erwähnte JU-Kreisvorsitzende: dass Anetta selbst die IM-Tätigkeit aufgekündigt hat. 1982.

Wieviel Mut brauchte es, um 1982 eine Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit aufzukündigen und in Konsequenz erhebliche persönliche und berufliche Nachteile in Kauf zu nehmen?

1982
Nicht 1989, als alle schon immer dagegen gewesen sein wollten.
1982

Wieviel Mut braucht ein Tweet, voller Verachtung und Abscheu, losgeklickt an einem Geburtstag. Losgeklickt unter einem Hashtag, der einer beachtenswerten Frau Mut machen soll. Danke sagen will. Respekt zeigen will. Verbunden mit der Hoffnung, dass sie durchhält. Weitermacht. Stand hält. Auch für uns.

Wie beschämend ist euer Hass. Wie peinlich eure Abscheu. Wie verräterisch eure Verachtung. Losgelöst von (konkreten) Ereignissen und Anlässen. Zerstörerisch. In euch. Für euch. Nicht einen Tag könnt ihr ihn lassen. Nicht einen Moment lang.

Ich weiß, Anetta wird weitermachen. Euer Gift dringt nicht durch. Nicht zu ihr, nicht zu uns. Es bleibt euer Gift. Aber es sind Worte, die den Taten den Weg bereiten. Hasserfüllte Worte. Hasserfüllte Taten. Brände. Schüsse. Verletzte Menschen. Verängstigte Menschen. Ergebnis eures Hasses. Eures Giftes.

Ihr, die ihr das Abendland verteidigen wollt, euch selbsterklärend zu Schützern der Demokratie erhebt.
„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
Ihr versucht sie anzutasten.
Sie abzuschaffen.
Sie zu teilen nach Hautfarbe, Nationalität, Geschlecht und Religion.
Ihr fasst sie an.
Täglich.
Minütlich.

Wir halten dagegen.

Das. Alles Liebe zum Geburtstag.

#ShalomAnetta

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