Schockzustaende

Das Wochenende in Freiburg im Breisgau ist vorbei – wir sind auf der Rückfahrt nach Jena. In Freiburg finden seit Freitag die „Thementage Antisemitismus“ statt. Veranstaltet wurden sie nicht nur in Reaktion auf die„Thementage Palästina“, sondern aufgrund einer wahrscheinlich nicht nur in Freiburg bestehenden Notwendigkeit der Aufklärung.

Dankbarerweise und glücklicherweise gibt es in Freiburg sehr engagierte Menschen und Gruppen, mit denen nicht nur ein spannendes und interessantes Wochenende stattfand, sondern die sich mit viel persönlichem Einsatz einbrachten, um die wirklich gelungenen und gut besuchten „Thementage Antisemitismus“ zu organisieren.

Neben vielen Gesprächen, witzigen Begebenheiten (Bananen, Bodyguards und Jogginghosen mit Schlagern dazu) bin ich immer wieder geschockt über „Freiburger Verhältnisse“. Sonnabend, nach einer langen Soliparty am Abend zuvor und noch längeren weiteren Geschehnissen, besuche ich den Infostand der Deutsch-Israelischen-Gesellschaft in der Freiburger Innenstadt. Neben verbalen Entäußerungen von Passanten àla „HAMAS ist gut“ und „Israel der Schurkenstaat“ kommt es zu Kritik aufgrund der hängenden Israel-Fahnen. Aber ebenso ist Interesse der Passant_innen zu verspüren genau wie Interesse an der Veranstaltungsreihe „Thementage Antisemitismus“. Nur wenige hundert Meter weiter bauen etwas später die Veranstalter der „Thementage Palästina“ einen Campingtisch mit Palästinensertuch auf. Ihr Publikumsmagnet soll Gilad Atzmon sein, ein bekannter israelischer Jazz-Musiker, von dem nicht nur ich erstmalig im Zusammenhang mit Freiburg höre.

Er scheint Provokationen zu lieben, beginnt die Hatikvah auf seiner Klarinette zu spielen, um – nachdem die Mehrheit erhört hat, dass es sich um die Hatikvah handelt – diese abbrechend verächtliche, hämisch klingende Töne zu erzeugen.

Begleitet wird er dabei von einem Fotografen, dessen vorrangiges Ziel es ist, Portraitaufnahmen von uns zu bekommen. Solch agieren ist mir bisher nur aus anderen Kreisen bekannt gewesen.

Eine Deutsch-Israelin kann aufgrund der Verunglimpfung der Hatikvah kaum ihre Tränen zurückhalten, die Kellnerin eines benachbarten Cafés beendet seine Provokationen mit dem lapidaren Hinweis, dass seine Musik die Gäste stören würde.

Gute Workshops finden den Tag über statt, am Abend schließlich die Podiumsdiskussion, welche meines Erachtens mit ca. 100 Menschen sehr gut besucht ist.

Sonntag – heute – fand der eigentliche „Thementag Palästina“ statt – eine Kundgebung ist vor dem Konferenzort „Bürgerhaus Zäringen“ angemeldet. Unter anderem mit Israel-Fahnen, Transparenten, Flugblättern und Redebeiträgen wird versucht auf antisemitische und israelfeindliche Positionen und Ausrichtungen von zumindest Teilen der Referent_innen hinzuweisen. Anstelle einer Beschäftigung mit Fakten kommt erneut Gilad Atzmon, der diesmal den Kundgebungsteilnehmer_innen mitteilt „The Hamas is wonderful“, „Israel is worse than Nazi-Deutschland“ oder eben auch „Gaza is a concentration-camp“. Die ihn umgebenden Teilnehmer_innen der „Thementage Palästina“ stimmen ihm kopfnickend zu, erfreuen sich ob unserer teils geschockten Gesichtsausdrücke und unterstützen ihn in seinen Positionen. Im Hintergrund erblicke ich eine Gruppe, die scheinbar zu den „Thementagen Palästina“ will – sie tragen Taschen mit dem Aufdruck „HIER IST DIE LINKE“.

Ja, sie gehen zur Konferenz. Auch sie werden u.a. Gilad Atzmon hören. Einem lupenreinen Antisemiten, der holocaustrelativierende Positionen vertritt und verbreitet, wird ein Podium geboten. Mitten in Freiburg. Mitten in einem kommunalen Bürgerhaus. Die dagegen Protestierenden hingegen werden als „Rechtspopulisten“ oder „Nazis“ abgestempelt.

Im Anschluß an die Kundgebung folgt ein letztes Gespräch, welches vorzeitig abgebrochen wird. Auf die kritische Frage, wieso ich hinter / an / neben einer Amerika-Fahne gestanden hätte (nein, ich habe keine gehalten), frage ich zurück, ob sie wüssten, was heute für ein Tag wäre. Ja ist ihre Antwort; der 10. Jahrestag des Angriffs Amerikas auf Afghanistan.

Ob sie sich als Antifaschisten verstünden wird ihrerseits ebenfalls bejaht. Ich frage, ob es nicht Aufgabe jedes sich als Antifaschist_in verstehenden Menschen wäre, bei solchen holocautsrelativierenden Positionen aufzustehen und NEIN zu sagen.

Nein – ist ihre Erwiderung – es wären zynische Aussagen von Atzmon, die man in die entsprechenden Hintergründe einordnen müsse.

Die Einordnung längst vollzogen, entscheiden wir uns zum Abbruch des Gespräches.

Nicht nur ich finde kaum Worte für das Geschehene. Unverständnis, Empörung, Wut, Kopfschütteln und mehr vermischen sich zu Sprachlosigkeit.

Diese bessert sich mit dem Spiel und Sieg von St. Pauli. Für die Rückfahrt gibt es zur weiteren Launebesserung von Familie Björn Peng Martini – juhuu und DANKE dafür 😉

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