Kriminalisierung Landesjugendausschuss DGB Thueringen

Vizepräsident Gentzel: Danke, Herr Staatssekretär. Ich rufe auf die Mündliche Anfrage der Abgeordneten König von der Fraktion DIE LINKE in der Drucksache 5/2521.

Abgeordnete König, DIE LINKE:
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren!
Mögliche Kriminalisierung des Landesjugendausschusses des DGB Thüringen

Laut einer Pressemitteilung der DGB-Jugend Thüringen drangen am 30. März 2011 mehrere Polizeibeamte auf das Gelände der Gewerkschaft ver.di in der Schillerstaße 44 in Erfurt vor und stellten von den anwesenden Mitgliedern des Landesjugendausschusses der DGB-Jugend Thüringen die Identität fest. Ebenso wurden die Kennzeichen aller Fahrzeuge, die sich auf dem Gewerkschaftsgelände zu diesem Zeitpunkt befanden, erfasst. Die Polizei habe versucht, in das auf dem Gelände befindliche Jugendbüro einzudringen, um Verdächtige zu suchen. Die Durchsuchung und die Identitätsfeststellungen sollen im Zusammenhang mit einer brennenden Mülltonne am Löberwallgraben gestanden haben. Die DGB-Jugend Thüringen protestierte auf das Entschiedenste gegen diese Kriminalisierung eines gewerkschaftlichen Gremiums.

Ich frage die Landesregierung:

1. Was war konkreter Anlass für die beschriebene polizeiliche Maßnahme gegen die auf dem Gelände der Gewerkschaft ver.di sich aufhaltenden Personen?

2. Von wie vielen Personen wurde die Identität aufgrund welchen konkreten Tatverdachts erfasst, verarbeitet und gespeichert?

3. Wie bewertet die Landesregierung die beschriebene polizeiliche Maßnahme vor dem Hintergrund der nach dem Polizeiaufgabengesetz notwendigerweise vorzuliegenden Voraussetzungen für einen Grundrechtseingriff und vor dem Hintergrund des § 4 PAG?

4. Welche Ermittlungsergebnisse liegen zwischenzeitlich vor und wurden angesichts dessen die erhobenen personenbezogenen Daten gelöscht?

Vizepräsident Gentzel:
Für die Landesregierung antwortet das Innenministerium, Herr Staatssekretär Rieder.

Rieder, Staatssekretär:
Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, die Mündliche Anfrage der Abgeordneten König beantworte ich für die Landesregierung wie folgt:
Zu Frage 1: Am 30.03.2011 wurde der Polizei gegen 20.13 Uhr mitgeteilt, dass in Erfurt im Bereich der Löberstraße/Löberwallgraben eine Personengruppe von etwa zehn Personen Mülltonnen umwirft bzw. anzündet. Nach Bestätigung dieses Sachverhalts – es wurde ein brennender Papiercontainer festgestellt – hat die Polizei eine Strafanzeige wegen Sachbeschädigung gemäß § 303 Strafgesetzbuch gefertigt und unverzüglich die erforderlichen Maßnahmen zur Aufklärung dieser Straftat ergriffen. Im Rahmen der sofort vor Ort durchgeführten Zeugenvernehmungen erklärte ein Zeuge, dass der Papiercontainer von einer Person angezündet worden sei, die aus einer Personengruppe heraus handelte. Nach Aussage von Zeugen waren die Personen dunkel bekleidet und führten eine Fahne mit einer Antifa-Symbolik sowie einer mobilen Musikanlage mit sich. Die Personengruppe sei nach Entzünden des Müllcontainers in Richtung des Thomaspark gelaufen. Eine entsprechende Absuche des Nahbereichs durch die eingesetzten Kräfte im Thomaspark verlief jedoch ergebnislos. Um 20.18 Uhr wurde von den eingesetzten Beamten vor der Einfahrt zu den Parkplätzen der Schillerstraße 44, der Rückfront des Gewerkschaftshauses ver.di, eine Personengruppierung von ca. 10 Personen festgestellt, auf welche die Personenbeschreibung passte. Ein zwischenzeitlich vor Ort erschienener Zeuge bestätigte, dass es sich um die Personengruppe handele, aus der heraus der Täter den Papiercontainer entzündete. Der Zeuge sagte jedoch auch aus, dass sich der Täter nunmehr nicht mehr in der Personengruppe befinde. Aus diesem Grund wurden die Personalien der anwesenden Personen festgestellt, um sie später als Zeugen zum Sachverhalt vernehmen zu können.

Zu Frage 2: Insgesamt wurden von 12 festgestellten Zeugen die Personendaten erhoben. Ferner wurden die Kennzeichen von zwei Fahrzeugen notiert, in die zwei weitere Zeugen vor Personalienfeststellung eingestiegen waren.

Zu Frage 3: Das Polizeiaufgabengesetz ist im vorliegenden Fall nicht einschlägig. Die polizeilichen Maßnahmen erfolgten im Rahmen der Strafverfolgung und nicht im Rahmen der polizeilichen Gefahrenabwehr. Insofern findet sich die Ermächtigung zum polizeilichen Handeln nicht im PAG, sondern in der Strafprozessordnung. Die Identitätsfeststellung erfolgte auf der Grundlage des § 163 b Abs. 2 Strafprozessordnung. Danach kann auch die Identität einer Person festgestellt werden, die einer Straftat nicht verdächtig ist, wenn und soweit dies zur Aufklärung der Straftat geboten ist. Die Maßnahme ist somit rechtlich nicht zu beanstanden. Eine der angetroffenen Personen, bei der es sich augenscheinlich um den Objektberechtigten handelte, stimmte einer Nachschau im Flachbau des Geländes zu und ermöglichte diese auch, so dass sich ein Rückgriff auf eine strafprozessuale Ermächtigungsgrundlage für die handelnden Polizeibeamten erübrigte.

Zu Frage 4: Das Ermittlungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen und befindet sich weiterhin in polizeilicher Bearbeitung. Aus diesem Grund wurden die erhobenen Daten bisher nicht gelöscht.

Vizepräsident Gentzel:
Es gibt eine Nachfrage durch die Fragestellerin.

Abgeordnete König, DIE LINKE:
Im Interview mit Radio Frei erklärte der Pressesprecher der Polizei, dass er die Maßnahme als Nacheile einordne. Ich würde Sie bitten, mir das zu erklären, insbesondere vor dem Hintergrund Ihrer Antwort auf die Frage 3, dass es eine Zustimmung seitens einer verantwortlichen Person gegeben hätte.

Rieder, Staatssekretär:
Es gab eine Zustimmung. Das habe ich ja eben gesagt. Ansonsten ist eine Straftat geschehen – Verstoß gegen § 303 Strafgesetzbuch. Nachdem die Polizei darüber informiert wurde, hat sie Maßnahmen zur Strafverfolgung eingeleitet und hat diese Identitätsfeststellung durchgeführt, um im Rahmen einer Zeugenbefragung dann auch den Täter ausfindig machen zu können.

Vizepräsident Gentzel:
Es gibt eine Nachfrage.

Abgeordneter Blechschmidt, DIE LINKE:
Danke, Herr Präsident. Herr Staatssekretär, die Nachfrage: Bei der Erfassung der Personalien der Anwesenden vor Ort – ist allen mitgeteilt worden, dass sie als Zeugen erfasst werden?

Rieder, Staatssekretär:
Aus dem Bericht der Polizei, der mir vorliegt, wurde die Maßnahme durchgeführt auf der Grundlage der Strafprozessordnung. Was vor Ort gesagt wurde, ist mir nicht bekannt.

Vizepräsident Gentzel:
Es gibt eine weitere Nachfrage durch den Abgeordneten Blechschmidt.

Abgeordneter Blechschmidt, DIE LINKE:

Danke. Herr Staatssekretär, ist es Ihnen möglich im Nachgang herauszubekommen, ob vor Ort den erfassten Personalien, den jeweiligen Personen mitgeteilt worden sind, weswegen sie aufgeschrieben worden sind und konkret als Zeugen befragt werden sollen? Können Sie das nachreichen?
Rieder, Staatssekretär:
Selbstverständlich.

Vizepräsident Gentzel:
Jetzt noch die zweite Nachfrage durch die Fragestellerin.

Abgeordnete König, DIE LINKE:
Ich konkretisiere jetzt meine Frage noch mal. Sie haben in Antwort auf Frage 3 erklärt, dass der Durchsuchung seitens eines Anwesenden zugestimmt wurde. Meine Nachfrage: Wieso erklärt dann der Pressesprecher der Polizei im Interview bei Radio F.R.E.I., dass die Maßnahme als Nacheile oder in Nacheile – der juristischen Einordnung Nacheile, ich weiß nicht, ob Ihnen das was sagt – einzuordnen sei?

Rieder, Staatssekretär:
Die Äußerung des Pressesprechers, so wie Sie sie wiedergegeben haben, ist mir nicht bekannt. Ich habe den Sachverhalt ja geschildert. Es handelt sich meines Erachtens nicht um eine Nacheile.

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