Unrechtsstaatsdebatte: weiter gehts Teil II

Offener Brief

An den Vorsitzenden der Landtagsfraktion der LINKEN in Erfurt sowie An den Kreisvorsitzenden der Partei DIE LINKE.Saalfeld-Rudolstadt Genossen Treffurth

Betr. „Anstoß Juli 2010“ – Landtagsrede der Abgeordneten Katharina König

„Die DDR war ein Unrechtsstaat – dafür bedarf es für mich keiner Definition!“

Dass eine Landtagsabgeordnete unserer Partei Begriffe/Auffassungen unserer politischen Gegner im Landtag öffentlich vertritt und sich dann mit ihrer Geschichtslosigkeit noch arrogant brüstet, empört und erschreckt uns. Gehört es nicht schon seit Bebel zum politischen ABC, sich mit Auffassungen seiner Gegner auseinander zu setzen, sie zu hinterfragen, statt sie papageienhaft – anbiedernd einfach nachzuplappern? Mit ihrem Kniefall vor dem Zeitgeist hat sich die Abgeordnete König politisch selbst disqualifiziert; mit ihrer Arroganz erweist sie sich nach unserer Ansicht auch charakterlich als ungeeignet, erfolgreich die Ziele unserer Partei vertreten zu können.

Bei solcher historischen Blindheit bzw. Verblendung ist sie für uns nicht mehr wählbar, es sei denn, sie korrigiert sich umgehend und lernt dazu. Andernfalls sollte sie ihr Mandat niederlegen und damit einem nachrückenden Kandidaten Platz machen, der auf Grund umfassenderer historischer Kenntnisse unsere Interessen besser zu vertreten vermag!
Wer die Interessen des Volkes vertreten will, braucht heute mehr denn je historischen Sachverstand und dazu gehören auch die Besinnung auf konkrete Ziele, wie sie in der DDR schon verwirklicht waren, z.B.: Recht auf Arbeit, gleichen Lohn für gleiche Arbeit, gleiche Bildungschancen, ausreichend Kindergartenplätze, eine friedliche Außenpolitik, Zukunftssicherheit für alle Bürger, Freundschaft und Solidarität mit allen Völkern u.v.m. – alles Errungenschaften, wie sie durch die „konterrevolutionäre Wende“ verloren gingen, und als Nahziele in ähnlicher Weise auch im Parteiprogramm 2010 der LINKEN enthalten sind.
Wer sich heute hinter den Kampfbegriff vom „Unrechtsstaat DDR“ stellt, blockiert jedes alternative politische Denken, das jedem politischen Handeln immer vorausgehen muss.

Auch wir Genossen, die wir im Faschismus heranwuchsen, den Krieg mit viel Glück überlebten und aktiv an der Gestaltung einer neuen, humanistischen Gesellschaft in der DDR mitwirkten, sind für eine kritische Aufarbeitung unserer Geschichte, verwahren uns aber gegen die Geschichtsklitterung , wie sie von den sogenannten „Siegern der Geschichte“ seit 20 Jahren betrieben wird, unser Leben in der DDR ständig diskriminiert bzw. kriminalisiert und unsere Biographien beschädigt. Dass „Unrechtsstaat“ als Begriff weder juristisch noch geisteswissenschaftlich fassbar oder verwendbar ist, wurde durch Genossin Pätzold im Anstoß nochmals nachgewiesen.

Als Nachhilfe möchten wir noch einige Argumente hinzufügen:

1. Unbestreitbar gab es in der DDR Unrecht, Dogmatismus, Unterdrückung von Kritik usw. Aber in welchem Staat gibt es solche Erscheinungen nicht ? Das liegt objektiv am Klassencharakter des Staates und seines Rechtssystems, mit dessen Hilfe die bestehenden Herrschaftsverhältnisse gesichert werden sollen. Uns wird in diesem Zusammenhang die „Diktatur der SED“ und die
„Stasi-Überwachung vorgehalten. Gibt es eine ähnliche Grundstruktur der Herrschaft nicht auch im so oft gepriesenen „Rechtsstaat“ BRD? Widerspricht es nicht dem Demokratieprinzip und ist es nicht eine Parteien-Diktatur, wenn Parteien wie CDU, CSU, FDP usw. als Interessenvertreter einer Minderheit (Mitgliederzahl, Wahlbeteiligung, Geldgeber/Lobbyisten) zugunsten ihrer Klientel in der Regel
Gesetze gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung beschließen? „Alle Macht geht vom Volke aus“ ist doch weiterhin nur eine Phrase, denn Meinungsumfragen beweisen, dass eine Mehrheit unseres Volkes die Kriegseinsätze der Bundeswehr, die Verarmungsgesetze HARTZ 4, die Rente mit 67, die schrittweise Aufgabe des Solidaritätsprinzips im Gesundheitswesen, die Steuerreformen zum Schutz der Reichen/Vermögenden, die Rüstungsgeschäfte/Waffenexporte in Konfliktregionen usw. ablehnt. Ist nicht auch die Überwachung der Bürger inzwischen perfekter als je zuvor?

2. Die wirkliche, schamhaft und heuchlerisch verschwiegene Begründung, die DDR als Unrechtsstaat zu bezeichnen, ist doch der Tatsache geschuldet, dass wir gemäß dem Potsdamer Abkommen Kriegsverbrecher und Kriegsgewinnler (Flick, Krupp, IG Farben u.a.) im Gegensatz zur BRD damit bestraften und für immer entmachteten, indem wir sie auf der Grundlage von Volksentscheiden enteigneten. Solche Volksentscheide gab es auch im Westen, die Enteignung der Konzernbosse wurde aber von den Hochkommissaren verhindert, weil man Westdeutschland zum „Bollwerk gegen den Bolschewismus“aufbauen wollte und deshalb auch die Remilitarisierung des ehemaligen Feindes gestattete. Interessant ist, in diesem Zusammenhang einmal das von der CDU gleich nach dem Krieg beschlossene „Ahlener Programm“ zu lesen! Alles vergessen? Oder nie davon gehört?

3. Wer sich bis heute sein sachlich-kritisches Urteilsvermögen bewahrt hat und die DDR mit der BRD vergleicht, muss erkennen, dass gegenwärtig durch die Verarmungsgesetze Hartz 4, durch die Asylgesetzgebung (Abschiebungen, Bootsflüchtlinge) , die Beteiligung der Bundeswehr an Kriegseinsätzen sowie einer ständigen Politik zugunsten der Reichen usw. täglich tausendmal mehr Unrecht geschieht als in 40 Jahren DDR-Geschichte. Nicht zu vergessen sind die Berufsverbote, das Verbot demokratischer Organisationen während der Zeit des Kalten Krieges und die bis heute fehlende Entschädigung dieser Opfer der Staatswillkür in der BRD. Ähnlich ist die Situation bei Volksabstimmungen. In der DDR gab es Volksabstimmungen zu wichtigen Gesetzen, u.a. über die Verfassung der DDR, über Bildungsgesetze usw. Im Gegensatz dazu ist bis heute das Grundgesetz der BRD nur vom Parlament aber nicht vom Volk legitimiert.

Dem Volk der Dichter und Denker wurde jüngst auch verwehrt, über den Vertrag von Lissabon abzustimmen. Warum wohl? Weil damit Artikel des Grundgesetzes ausgehebelt werden, z.B. über militärische Auslandseinsätze der Bundeswehr oder bei sozialen Unruhen im Inland oder bei Verbündeten und der Wiedereinführung der Todesstrafe usw. Kann man bei soviel Rechtlosigkeit des Volkes noch von einem „Rechtsstaat“ BRD sprechen?

Wir empfehlen der Abgeordneten König zu diesem Thema die Auffassungen des Juristen Erich Buchholz „Unrechtsstaat DDR? Rechtsstaat BRD?“ (ISBN 10;3-360-01077-9) und „Liquidatoren“ von Ralph Hartmann (ISBN 978-3- 360-01091-9) zu lesen!
Wir Genossen der Basisgruppe „Montagstreff“ Bad Blankenburg können solche Entgleisungen/Haltungen nicht hinnehmen. Unsere Partei braucht politisch standhafte, kritische und von unseren politischen Zielen überzeugte parteiliche Kämpfer für eine politische
Wende, keine gespaltenen Persönlichkeiten, politische Irrläufer oder egozentrische Karrieristen.
Wir „Parteisenioren“ haben viel Geschichte erlebt und zu gestalten versucht und dabei sowohl Fehler geduldet als auch selbst begangen. Daraus haben wir Lehren gezogen.

Geschichtslosigkeit im Kopf, Borniertheit und Geltungsstreben einer Landtagsabgeordneten sind das Letzte, was wir gegenwärtig brauchen, um schrittweise das von Krisen und sozialen Katastrophen geschüttelte kapitalistische System zu überwinden und an seine Stelle eine gerechtere, die Umwelt schonende und den Humanismus und die Kultur fördernde friedliche Ordnung zu schaffen.
Wir erwarten eine Rückmeldung über die Konsequenzen der Parteileitung unserer Grundorganisation Saalfeld/Rudolstadt bzw. der Landtagsfraktion DIE LINKE im Thüringer Landtag zu diesem Geschehen und eine Veröffentlichung unserer Stellungnahme im „Anstoß“ und in der „UNZ“.

Bad Blankenburg im Juli 2010

Quelle

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